Überblick: Wie Hersteller und Zulieferer den Elektromotor neu erfinden

In der E-Motoren-Entwicklung sind die Potenziale noch längst nicht ausgeschöpft. Automobilzulieferer und Fahrzeughersteller arbeiten an immer leistungsfähigeren, kostengünstigeren und kompakteren Aggregaten.

Am 25. Juni feierte am Mercedes-AMG-Stammsitz Affalterbach das erste Fahrzeug auf der neuen Plattform AMG.EA Premiere. Der elektrische Nachfolger des AMG GT Viertürers soll 2026 zu den Kunden kommen.

Er verfügt über 1360 PS und dürfte in rund zwei Sekunden auf Tempo 100 beschleunigen. Eine Besonderheit dabei ist der Antrieb: Zum ersten Mal setzt Mercedes-Benz hier auf den Axialfluss-Motor der Tochter Yasa. Dieser zeichnet sich gegenüber einem herkömmlichen Radialfluss-Motor durch eine kompakte Bauform, geringes Gewicht und eine hohe Leistungsdichte aus.

Der Hauptunterschied liegt in der Richtung des magnetischen Flusses. Bei herkömmlichen Motoren strahlt das Magnetfeld vom Zentrum nach außen, während bei Axialfluss-Motoren der magnetische Fluss entlang der Motorachse übertragen wird, was die Motoren effizienter macht.

2021 hatte Mercedes die britische Firma Yasa übernommen, um mit dem Motor der Konkurrenz voraus zu sein. Mercedes-Chefentwickler Markus Schäfer spricht von einer "einzigartigen Technologie".

Die Produktion der Motoren im Werk Berlin-Marienfelde ist bereits testweise angelaufen. Die Motoren sind derart komplex, dass die Herstellung rund 100 Produktionsschritte umfasst. Zirka 65 davon waren bei Mercedes bisher unbekannt, 35 stellen sogar eine Weltneuheit dar.

So wurden unter anderem neue Entwicklungen im Bereich Laser mit Künstlicher Intelligenz kombiniert. Diese neuen Prozesse wurden größtenteils intern entwickelt und führten zu mehr als 30 Patentanmeldungen.

Neben den geplanten neuen AMG-Modellen GT Viertürer Limousine und SUV kommen die Axialflussmotoren auch bei den Performance-Modellen von CLA, GLA, GLB, GLC und C-Klasse sowie ab 2027 auch in der elektrischen E-Klasse zum Einsatz.

In der höchsten Leistungskategorie arbeiten drei Motoren im Antrieb. Zwei Motoren sind an der Hinterachse verbaut, ein Motor an der Vorderachse. Im Werk Marienfelde müssen also 150.000 Motoren vom Band laufen, um 50.000 Fahrzeuge bestücken zu können.

Der Wettbewerber BMW vertraut bei der Neuen Klasse auf eine stromerregte Synchronmaschine (SSM). Das Aggregat ist Bestandteil der mittlerweile sechsten Generation der eDrive-Technologie des Fahrzeugherstellers, die der Hersteller als Gen6 bezeichnet.

Dabei handelt es sich um Synchronmotoren, bei denen das Magnetfeld im Rotor nicht durch Permanentmagnete, sondern durch eine mit Gleichstrom erregte Wicklung erzeugt wird.

Die Stärke des Rotormagnetfelds lässt sich dabei an den jeweiligen Lastzustand anpassen. Laut BMW führt das zu "sehr guten Wirkungsgraden" sowie zu konstanten Leistungen auch bei hohen Drehzahlen.

Der Synchronmotor sitzt wie in der Vorgängergeneration über der Hinterachse. Elektrische Antriebsmaschine, Leistungselektronik und Getriebe sind in einem Gehäuse vereint. Allein auf den in Steyr produzierten Rotor entfallen laut BMW mehr als zehn Patentanmeldungen.

In der Gen6 kommt mit der Asynchronmaschine (ASM) noch eine zusätzliche E-Motoren-Technologie zum Einsatz. Das Magnetfeld des Rotors wird hier weder durch Permanentmagnete (PSM) noch durch eine elektrische Erregung erzeugt, sondern per Induktion (Stromerzeugung) durch den Stator.

Der Rotor besteht bei dieser Bauart aus einem metallischen Käfig. Als Vorteile der ASM nennt BMW ein kompakteres Design sowie geringere Kosten. Die ASM-Varianten will der Autohersteller auf der Vorderachse in den xDrive-Varianten (Allrad) der Neuen Klasse einsetzen.

Zu den Einsparungen nennt BMW diese Zahlen: Beim Vergleich eines der künftigen Modelle der Neuen Klasse inklusive SSM- und ASM-Technologie mit einem xDrive-Modell der Gen5 sinken die Energieverluste um 40, die Kosten um 20 und das Gewicht um zehn Prozent.

Auch die Automobilzulieferer beschäftigen sich intensiv mit der E-Motoren-Technologie, um abnehmendes Verbrennergeschäft zu kompensieren. Schaeffler bietet je nach Antriebsstrangkonfiguration – ob reiner E-Antrieb, Hybrid oder Range-Extender – verschiedene E‑Motoren an.

Wegen der hohen Erwartungen an Leistungsdichte und Wirkungsgrad kommen für Hauptantriebe in der Regel PSM oder fremderregte Synchronmotoren (FSM) zum Einsatz.

Bei zusätzlichen Sekundärachsen, bei denen es auf ein geringes Schleppmoment ankommt, werden hingegen häufig ASM oder FSM genutzt. Schleppmoment ist das Drehmoment, das auf die Achse wirkt, wenn ein Motor im Leerlauf läuft.

Entscheidend für eine hohe Leistung der E-Motoren ist für den Zulieferer das Kühlsystem. Abhängig von den spezifischen Anforderungen hinsichtlich Leistung und Preis kombiniert Schaeffler die Motorentechnologien mit verschiedenen Kühlungen.

Dank der Integration des Zulieferers Vitesco in den Konzern hat Schaeffler nun mehr Produkte und Lösungen für den elektrifizierten Antriebsstrang im Programm. So bietet das Unternehmen Reparatursysteme für das Getriebe und den Motor der E-Achse.

Zuvor war der Austausch der kompletten Antriebseinheit erforderlich. Die Aftermarket-Tochter Schaeffler Vehicle Lifetime Solutions vertreibt ihre Reparaturkits in ganz Europa. Laut einer Unternehmenssprecherin folgt Nordamerika im Laufe des Jahres.
 
Um die Entwicklung magnetfreier E‑Motoren voranzutreiben, arbeiten die Zulieferer Mahle und Valeo zusammen. Im Fokus der Kooperation steht eine magnetfreie E-Achse mit einer maximalen Leistung von 350 kW für batterieelektrische Fahrzeuge im gehobenen Segment.

"Der Projektfortschritt liegt im Plan", sagt eine Unternehmenssprecherin. Der Prototyp läuft bereits auf einem Prüfstand.

Bereits im Sommer 2022 hatte Mahle seinen SCT-Motor vorgestellt. SCT steht für Superior Continuous Torque, übersetzt etwas "überlegenes dauerhaftes Drehmoment". Der E‑Motoren-Baukasten mit Hairpin-Technologie (spezielle Wickeltechnologie für Statoren in E-Motoren) eignet sich sowohl für den Einsatz in Pkw als auch in Nutzfahrzeugen.

Die Auslegung des E-Motors ist dabei mit Permanentmagneten und auch magnetfrei möglich. Das Angebot werde insbesondere in Europa, Nordamerika und Indien nachgefragt. "Aktuell laufen Musterversuche parallel mit mehreren Kunden. Eine bereits erfolgte Kundenbeauftragung für den Traktionsmotor einer 800-Volt-Anwendung mit Hairpin-Wicklungstechnologie befindet sich derzeit im Serienentwicklungsprozess", so die Sprecherin.

Der Zulieferer ZF Friedrichshafen hat kürzlich die E-Antriebsplattform Select vorgestellt. Einer der vier Hauptteile der modular aufgebauten Plattform ist neben Inverter, Konverter und Reduziergetriebe ein E-Motor.

Der Komponentenbaukasten em:SELECT umfasst E-Maschinen von der PSM über die ASM bis hin zur i2SM. Diese fremderregte Synchronmaschine soll laut Unternehmen die Leistungsdaten einer PSM ohne Dauermagneten mit Seltenen Erden erreichen.