Neue Klasse: Interne Planungen zeigen, wie vorsichtig BMW ist

Steyr, Oberösterreich: Hier, sagt eine Mitarbeiterin in einer Mischung aus Stolz und Vergnügen, schlage das Herz für die elektrische Zukunft von BMW. "Ein bisserl“ pathetisch findet sie die Formulierung. Aber es stimmt schon.

Der Ausbau des Standortes Steyr für die E-Antriebsfertigung ist ein zentraler Baustein der Neuen Klasse und somit für die Strategie des BMW-Konzerns insgesamt: In Steyr  wurde der Elektroantrieb für die Neue Klasse entwickelt. Dort werden auch alle E-Antriebe produziert und in die weltweiten Produktionsstandorte des Herstellers exportiert – China ausgenommen.

Bis 20230 investiert BMW rund eine Milliarde Euro in den Standort Steyr. Damit wird das Werk, bisher schon größte Motorenwerk für Verbrenner, fit gemacht für seine neue Rolle als Produktions-Hub der globalen E-Antriebsproduktion. Mehr als 500 Millionen Euro der Investitionssumme sind bereits geflossen, das meiste in Maschinen und Anlagen.

So sehr die Münchner die Marketing-Maschine zum Marktstart des ersten Neue Klasse-Modelle, des SUV iX3 im September am Laufen halten –  Prognosen zu Verkaufserwartungen oder gar Zahlen gibt es nicht.  Allerdings liefert die Produktionsplanung in Steyr ein Indiz, wie konservativ BMW bei der Neuen Klasse plant. Und das steht durchaus im Gegensatz zu den großen Ankündigungen.

Für die Fertigung der E-Antriebe stehen in Steyr zwei Produktionslinien zur Verfügung. Zum Vergleich: Für Verbrenner sind es 13. Auf der ersten Neuen-Klasse-Linie  werden zwei Versionen der stromerregten Synchronmotoren (SSM) gefertigt: eine für Fahrzeuge mit Heckantrieb und eine Allrad-Version.

Der SSM-Antrieb stellt im Prinzip die Basisversionen der E-Motorisierung dar. Für die Linie 1 wurde der Vorserienbetrieb im vergangenen Herbst gestartet, die Serienfertigung steht Ende August an. 

Analog zum Serienstart von Linie 1 beginnt die Vorserienfertigung auf der zweiten Produktionslinie in diesem Herbst; die Serienproduktion läuft dann ein Jahr später im Herbst 2026 an. Auf Linie 2 wird der PSM-Antrieb (permanenterregter Synchronmotor) produziert, mit dem BMW ein größeres Leistungsspektrum abdecken möchte. 

Bislang hat der Autobauer beim Fertigungsvolumen in Steyr nur eine Gesamtzahl von 600.000 E‑Antrieben pro Jahr genannt. Wie Automobilwoche erfahren hat, liegt das Volumen für den PSM-Antrieb etwa doppelt so hoch wie das für den SSM-Antrieb.

Bedeutet in Zahlen: Für die zwei Varianten des SSM-Antriebs auf Linie 1 rechnet der Autobauer nach dem erfolgten Hochlauf mit 200.000 Einheiten, beim PSM-Antrieb auf Linie 2 mit 400.000 Einheiten pro Jahr.

Legt man den BMW-Fahrzeugabsatz von 2,45 Millionen Einheiten aus dem Jahr 2024 zugrunde, liegt der E-Antriebsanteil von -Linie 1 rechnerisch bei acht Prozent. Nimmt man das Gesamtvolumen der E-Antriebsproduktion von 600.000 Einheiten, kommt man in etwa vier Jahren auf knapp 25 Prozent BEV-Anteil mit Neue-Klasse-Technologie.

Zum Vergleich: 2024 lag der BEV-Anteil bei BMW bereits bei 17,4 Prozent. Tendenz in diesem Jahr Richtung 20 Prozent steigend. Bedeutet: Mit dem ganz großen, schnellen Absatzschub plant man bei der Neuen Klasse offenbar nicht.

Der Autobauer macht indes eine andere Rechnung auf und verweist darauf, dass die Neue Klasse die aktuelle Generation an E-Motoren nicht ablöst, sondern die aktuelle Generation noch einige Jahre parallel zur neuen Klasse weiterlaufe. Mit der laufenden 5. Generation und den und dem Ende des Jahres kommenden ersten Modell der Neuen Klasse, dem iX3, die sukzessive ausgebaut werde, halte man am Ziel fest den E-Anteil bis 2030 auf rund 50 Prozent zu steigern.  

Gleichwohl ist die Zurückhaltung ganz auf Linie mit der Technologieoffenheit, die man bei BMW  bei sich jeder bietenden Gelegenheit propagiert. Auch wenn nun eine Milliarde Euro in den Aufbau der Elektroantriebe fließen: Die Dominanz in Steyr liegt weiter bei den Benzin- und Dieselmotoren.

Im vergangenen Jahr wurden dort rund 1,2 Millionen Motoren gefertigt. Von den 300.000 Quadratmetern Produktionsfläche sind gerade einmal 85.000 für die E-Antriebe vorgesehen. 

Auch für die nächsten Jahre geht Werksleiter Klaus von Moltke von einer stabilen Benziner- und Dieselproduktion aus. Mit der Aufstellung jetzt ist der Top-Manager zufrieden. Man sei auf jedes Szenario vorbereitet: "Wir haben hochflexible Produktionssysteme, die beide Welten bedienen können und wir haben Mitarbeiter, die in beiden Welten arbeiten können", so von Moltke im Automobilwoche-Interview.

Klaus von Moltke hatte im November 2022 die Leitung des Werks übernommen,  ais sich Steyr im Konzern-internen Wettbewerb als Standort für die E-Antriebsproduktion durchsetzte. Kurze Zeit später übernahm er auch die konzernweite Verantwortung für den Bereich Produktion Antriebsmaschinen.

Der Führungsstil des gebürtigen Venezolaners dürfte ganz nach dem Geschmack von Oliver Zipse sein. Von Moltke, der mit dem Diesel zwischen München und Steyr pendelt, sieht perspektivisch das Wachstum in der Elektromobilität, ist aber mit Blick auf die E-Mobilität – wie sein Chef Zipse - eher Pragmatiker als Enthusiast.

Seine Standortstrategie ist der reinen Lehre der Technologieoffenheit verpflichtet: "Unser Job ist es, alle möglichen Szenarien durchzugehen, uns auf jedes Szenario vorzubereiten und dafür zu sorgen, dass wir lieferfähig sind.“

Wenn der Markt Verbrenner verlangt, bekommt er Verbrenner-Motoren, wenn er E-Motoren verlangt, bekommt er E-Motoren Strategie. Am liebsten wäre ihm beides.