Weltpremiere VW ID.Buzz AD: Das erste Level-4-Serienauto kommt aus Deutschland

Autonome Mobilität sei einer der zentralen Zukunftsmärkte der deutschen Autoindustrie, ist sich Sascha Meyer sicher. Dass der CEO von Volkswagens Mobilitätsdienstleister Moia schon von Amts wegen an das Geschäftsmodell glaubt, ist nicht verwunderlich. Doch VW hat durchaus gute Chancen, demnächst mit dem Robo-Taxi-Business Geld zu verdienen. 

Ein Meilenstein auf dem Weg zur Skalierung des Geschäftsmodells ist die Weltpremiere des ID.Buzz AD, die Volkswagen nun in Hamburg gefeiert hat. Der autonom fahrende Elektro-Bulli ist das erste, serienreife Level-4-Auto der Welt – und das kommt weder aus den USA noch aus China, sondern aus Hannover.

Man habe längere Zeit im Hintergrund gearbeitet, erklärt Volkswagen-CEO Oliver Blume bei der Premiere, doch nun sei das autonome Fahren zum Greifen nahe, und zwar nicht irgendwann in den 30er Jahren, sondern in den 20ern. Christian Senger, Vorstand bei VW Nutzfahrzeuge und CEO der Volkswagen Autonomous Mobility sieht das Robo-Taxi als den besten Eisbrecher auf dem Weg zu Level-4-Autonomie – zunächst im B2B-Bereich, später aber auch in jedem privaten Auto.

Bislang erprobt Moia seine autonom fahrenden Shuttles in Hamburg, München, Oslo und Austin noch mit Prototypen, sukzessive wird die Testphase nun auf die Serienfahrzeuge umgestellt. Nach und nach sollen dann auch die Sicherheitsfahrer an Bord verschwinden. 

VW hat sich dafür klare Regeln gesetzt. Der Aufpasser fährt so lange mit, bis das Sicherheitsniveau in den Tests doppelt so gut ist, wie mit menschlichen Fahrern.

Gefühlt, ist das schon heute soweit: Bei einer autonomen Testfahrt steuerte die Technik das Shuttle souverän durch den Hamburger Stadtverkehr und schien auch bei kniffligen Kreuzungen oder unübersichtlichen Situationen nicht überfordert.

Ab kommenden Jahr schon soll der ID.Buzz AD schließlich auch von Dritten genutzt werden können. Die Zusammenarbeit mit Uber in den USA ist schon bestätigt, mit den Berliner Verkehrsbetrieben BVG gibt es Gespräche, dazu Anfragen aus aller Welt.

CEO Sascha Meyer: "Die Städte brauchen keine weiteren Protoypen oder Test-Projekte, sondern serienreife Lösungen."

Aktuell liegt der Umsatz autonomer On-Demand-Mobilität laut VW bei weniger als 100 Millionen Euro. Die wenigen großen Player sind Waymo in den USA oder Baidu in China. Doch für das Jahr 2035 sagen die Experten ein Umsatzpotenzial von 350 bis 400 Milliarden Euro voraus. Schon einen Bruchteil davon abzugreifen, würde sich für VW rechnen.

Während die zukünftigen Gewinnerwartungen in der Autobranche eher im oberen einstelligen Bereich liegen, und beim klassischen Geschäft der Mobilitätsanbieter sogar im unteren, ist die Prognose für sogenannte "physikalische KI", also etwa autonomen Shuttles, durchaus zweistellig.

Ein Robo-Taxi kann bis zu 20 Stunden am Tag unterwegs sein, dafür bräuchte man in herkömmlichen Modellen drei Fahrer – in Zeiten immer stärkeren Fahrermangels wächst das Potenzial der Autonomisierung. Die restliche Zeit des Tages wird übrigens für Reinigung, Wartung oder das Laden der Elektrofahrzeuge einkalkuliert. Das erfolgt nämlich noch nicht automatisch.

So disruptiv die Entwicklung ist, so bewährt ist die Technik: Der jetzt vorgestellte ID.Buzz AD basiert auf der Langversion des Elektro-Bullis und ist, wie die Prototypen, mit 13 Kameras, neun Lidar- und fünf Radar-Senosoren ausgestattet – inklusive aufwändiger Sensor-Reinigungs-Technik.

Die Vielfalt an Sensoren soll sicheres Fahren bei jedem Wetter ermöglichen und deckt ein weites Erkennungs-Spektrum ab, von 300 Meter Entfernung bis zum Nahbereich, in engen Stadtstraßen und auf der Autobahn bei bis zu 120 km/h. 

Volkswagens großer Vorteil: Nicht nur das Fahrzeug bauen die Niedersachsen in Großserie, sondern auch die Sensortechnik stammt weitgehend aus dem Regal. Volkswagen setzt vor allem auf seinen Partner Mobileye, dessen Kamera- und Radar-Technik auch in zahlreichen MEB- und PPE-Fahrzeugen verbaut wird.

Die Kosten sind dadurch deutlich geringer als beispielsweise beim früheren Partner Argo AI, der mit nahezu handgefertigten Kameras gearbeitet hat. Ende 2022 löste VW diese Zusammenarbeit auf.

Auch wenn die einzelnen Teile günstiger werden, kostet die Entwicklung viel Geld. Volkswagen hat bereits Milliarden in das autonome Fahren investiert – und beschäftigt tausende Mitarbeiter nur auf diesem Gebiet. 

Doch die Kombination aus langem Atem und finanzieller Stärke, aus Software-Know-how und Großserienkompetenz und einem weltweiten Händler- und Service-Netz soll das Robo-Taxi zum Erfolg führen, da sind sich Senger, Meyer und Blume sicher.

Dass der Konzern alles unter einem Dach vereine, sei der große Vorteil gegenüber Playern wie Waymo. Die Amerikaner müssten sich immer einen Partner suchen, der die Fahrzeuge liefere und die Intergration der Autonomie-Technik sei so deutlich aufwändiger, als bei den eigenen Produkten.

VW will zukünftig aber nicht nur die Fahrzeuge an Dritte verkaufen, sondern auch die dahinter steckende Mobility-as-a-Service-Plattform (Maas) in der Cloud. Denn: Das autonome Fahren selbst ist nur ein Teil der Herausforderung.

Damit ein Robo-Taxi-Dienst überhaupt funktionieren kann, braucht es zunächst eine funktionierende Buchungs-App, über die die Fahrzeuge überhaupt bestellt und bezahlt werden können – und ein reibungsloses Passagier-Management.

Unter anderem muss sicher gestellt werden, dass der Gast, der gebucht hat, auch Zutritt bekommt – per Smartphone oder Pin-Pad an der Tür – und sonst keiner. Dass noch ein weiterer Fahrgast unberechtigt mit einsteigt soll genauso verhindert werden, wie dass jemand den Ikea-Großeinkauf mitnimmt. 

Einen Großteil davon erledigt die KI, im Zweifel schreitet ein echter Mensch in der Leitstelle ein, der per Kamera und Gegensprechanlage Kontakt zu den Passagieren aufnehmen kann.

Der greift im Notfall auch ein, wenn ein Auto beispielsweise hinter einem defekten Laster steht und zum Überholen eine durchgezogene Linie überfahren muss oder wenn etwa Rettungseinsätze es erfordern.

Das meiste aber soll die Künstliche Intelligenz selber machen: Beispielsweise soll sie erkennen, ob alle Fahrgäste angeschnallt sind. VW hat sich deshalb für gelbe Gurte entschieden, da Gelb die am wenigsten getragene Farbe ist und der Sicherheitsgurt sich so besser von der Kleidung abhebt.

Aber auch ob Gepäck verrutscht ist oder es einem Passagier nicht gut geht, soll die künstliche Intelligenz feststellen. Das erfordert im Innenraum ähnlich viel Rechenleistung wie für die Umgebungserkennung.  

Damit das Robo-Taxi-Erlebnis erfolgreich wird, muss schließlich auch noch die Vernetzung mit der Infrastruktur sichergestellt werden. Was nützt es, wenn ein autonomes Shuttle den Gast zwar zum Flughafen bringt, aber dort nicht vorfahren kann, weil es die Schranke nicht öffnen kann? Solche Fragen müssen im Vorfeld geklärt werden, um einen reibungslosen Service anbieten zu können.

Volkswagen will den Service in Hamburg auch weiterhin selbst mit Moia anbieten, das aber als Pilotprojekt einzigartig bleiben soll. Andernorts setzt man auf örtliche Mobilitätsanbieter, die die On-Demand-Dienste in das eigene Angebot integrieren.

Das "Operator Enablement", also die Unterstützung der Betreiber, nicht nur beim Aufbau, sondern auch beim Betrieb der Flotte, ist das dritte Standbein des Geschäftsmodells.  

Die Vorlaufzeit für den Start in einer neuen Stadt dürfte zunächst bei rund zweieinhalb Jahren liegen. Schließlich muss das System an die lokale Infrastruktur angepasst werden und die Rahmenbedingungen geklärt werden.

Offene Fragen sind beispielsweise, wo und vom wem die Fahrzeuge geladen werden, wo die Leitstelle sitzt oder wie die Wartung der Fahrzeuge erfolgt. Später soll das alles in rund sechs Monaten erfolgen.

Relativ schnell dagegen dürfte das Kartieren eines neuen Geschäftsgebiets gehen, denn: VW fängt nicht erst mit dem Aufbau einer Entwicklungsflotte an einem neuen Standort an, hochpräzise Landkarten zu erstellen sondern greift auf die Daten aus allen Konzernfahrzeugen weltweit zurück.

"Wahrscheinlich sind wir fast jede Straße auf der Welt schon mehrfach abgefahren", sagt Christian Senger.