Seltene Erden: "Die Lage ist im Grunde noch ernster als bei der Chipkrise 2021"

Die Autobranche und weitere Industriezweige steuern auf eine ernste Versorgungskrise beim Bau von Elektromotoren zu, die ähnlich gravierende Folgen wie die Chipkrise der Jahre 2021 und 2022 haben könnte. Grund sind neue Ausfuhrbeschränkungen Chinas bei bestimmten Seltenen Erden, die für den Bau von modernen Elektromotoren unabdingbar sind.

De facto ist der Export dieser Seltenen Erden aus China seit einem Monat unterbrochen, eine schnelle Abhilfe ist nicht in Sicht. China beherrscht die globale Fertigung von Dauermagneten zu 90 Prozent. Ebenso hoch ist die Dominanz des Landes über alle Verarbeitungsstufen der 17 bekannten Seltenen Erden hinweg.

Experten rechnen damit, dass die Autobauer und deren Zulieferer nur noch über Vorräte von wenigen Wochen verfügen. "In vier bis sechs Wochen dürften die letzten Lagerbestände verbaut sein. Dann werden Teile der Produktion eingestellt werden müssen", sagte Christian Grimmelt, Partner bei der Unternehmensberatung Berylls by AlixPartners, der Automobilwoche.

Er schließt gravierende Folgen nicht aus: "Der Hochlauf der Elektromobilität in Europa könnte dadurch gefährdet werden."

"Die Lage ist im Grunde noch ernster als bei der Chipkrise 2021, es herrscht ein extremer Engpass und Alternativen sind derzeit nicht in Sicht," urteilt Grimmelt. "Sehr niedrige Bestände treffen auf ein De-facto-Exportverbot." 

Die Tier-1-Lieferanten in der EU und den USA verfügen seiner Einschätzung nach nur über einen Vorrat von maximal fünf Wochen. Fertige Module gebe es bereits so gut wie nicht mehr. "Das bedeutet, dass die Lagerbestände Mitte Juni erschöpft sind, wenn die Lieferungen bis dahin nicht wieder aufgenommen werden."

Während der Chipkrise hatte die Autobranche zehntausende unfertige Fahrzeuge abstellen müssen. Etliche Hersteller gingen angesichts des Mangels dazu über, nur noch die margenträchtigsten Modelle mit den wenigen Chips auszurüsten, die zur Verfügung standen.

Der Grund für Chinas Export-Stopp bei Seltenen Erden ist der Zollkrieg mit den Vereinigten Staaten. Als Antwort auf die Zölle von 145 Prozent, die US-Präsident Donald Trump pauschal auf chinesische Waren verhängte, erließ China nicht nur seinerseits erhöhte Zölle auf US-Produkte. Sondern es lässt nun die ganze Welt spüren, welche Hebel das Land bei der Versorgung mit unverzichtbaren Rohstoffen hat.

Nachdem China bereits im Dezember Export-Beschränkungen für Gallium, Germanium und Antimon erlassen hatte, weitete die Regierung die Beschränkungen nach den neuen US-Zöllen Mitte April auf sieben Seltene-Erden-Rohstoffe aus.

Sie werden vor allem benötigt, um die Dauermagnete (NdFeB) zum Bau moderner Synchron-Elektromotoren zu fertigen. Der Export dieser Materialien erfordert jetzt eine besondere Genehmigung, die erteilt werden kann - oder auch nicht. 

"China setzt damit gezielte Nadelstiche mit einer großen Hebelwirkung," urteilt Berylls-Berater Grimmelt. 

Ein Hoffnungsschimmer sind die Verhandlungen zwischen den USA und China in Genf. Dort hatten die Kontrahenten am 12. Mai vereinbart, die verhängten Zölle ab Donnerstag für 90 Tage um 115 Prozent auf beiden Seiten zu kappen.

Die US-Zölle sinken demnach vorübergehend von 145 auf 30 Prozent, die chinesischen Zölle auf Einfuhren aus den USA von 125 auf zehn Prozent. Allerdings wurden nach bisherigem Stand die Ausfuhr-Beschränkungen auf Seltene Erden nicht zurückgenommen.

Die betreffenden Magnete werden nicht nur zum Bau von Elektromotoren in Fahrzeugen benötigt. Auch elektrisch unterstützte Lenkungen, Sensoren, Katalysatoren, Lautsprecher, Klimaanlagen und große Generatoren wie sie beispielsweise in großen Windkraftanlagen verbaut werden, benötigen diese speziellen Magnete.

"Die vollelektrischen Fahrzeuge sind am stärksten durch den Engpass betroffen", sagt Grimmelt. Inzwischen würden Notfallmaßnahmen diskutiert: "Strategische US-Lagerbestände  könnten freigegeben werden, auch EU-Schnellverfahren für nicht-chinesische Abscheidekapazitäten wären denkbar oder eine vorübergehende Zollbefreiung für japanische Magnete."

Die Branche habe es vielfach versäumt, aus der Chipkrise die nötigen Konsequenzen zu ziehen, bedauert Grimmelt. "Höhere Lagerbestände sind immer ein Kostenfaktor. Und der Einstieg ins Recycling ist ebenfalls kostspielig und dauert überdies mehrere Jahre, bis dadurch eine neue Lieferkette entstehen kann."

Die Folge der Knappheit drücken sich auch in stark gestiegenen Preisen aus: "Die betreffenden Seltenen Erden kosten 40 bis 50 Prozent mehr als vor wenigen Monaten."