Die beiden Wissenschaftler Andreas Herrmann und Zheng Han beschäftigen sich seit Jahren mit dem Thema digitale Geschäftsmodelle. Herrmann war ab 1997 Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Marketing an der Universität Mainz, bevor er 2001 an die Universität St. Gallen wechselte. Dort ist er Direktor des Instituts für Mobilität.
Han ist Inhaber des Lehrstuhls für Innovation und Unternehmertum an der Tongji Universität in Schanghai. Zuvor hat er an der TU in Braunschweig Maschinenbau studiert und an der Universität St. Gallen promoviert.
Herr Herrmann, sind digitale Geschäftsmodelle in der Automobilindustrie Umsatz- und Gewinnbringer oder nur Luftschlösser?
Eher Luftschlösser. Es gibt so gut wie keine digitalen Geschäftsmodelle mit dem Konsumenten, die funktionieren. Zum einen sind es die Hersteller seit Jahrzehnten gewohnt, Fahrzeuge zu verkaufen. An Carsharing-Angeboten wie Drive Now oder Car2go haben sie schnell die Lust verloren.
Der Vorstand eines Automobilherstellers hat mir mal gesagt: Wir sammeln keine Groschen. Zudem gehen die Konsumenten im digitalen Bereich immer davon aus, dass sie Services umsonst bekommen. Bei den Versuchen der Automobilzulieferer verhält es sich ähnlich. Ich sehe derzeit nicht, dass sich durch digitale Angebote der klassische Verkauf von Zulieferteilen auch nur in Ansätzen kompensieren lässt.
Aber vor wenigen Jahren war das Thema doch noch sehr angesagt...
Es gab Projekte mit Automobilherstellern, die den Ansatz verfolgt haben, alle Zusatzausstattungen ins Fahrzeug zu bringen, damit sich der Kunde diese dann gegen Bezahlung freischalten lassen kann. Beispielsweise um eine Sitzheizung über einen gewissen Zeitraum nutzen zu können oder damit sich der Autofahrer für eine Autobahnfahrt 50 zusätzliche PS freischalten lassen kann.
Aber diese Modelle haben sich nicht durchgesetzt. Neuerdings gibt es Projekte rund um das Thema Sicherheit. Beispielsweise können Autos die Müdigkeit des Fahrers via Augenscanning zu erfassen oder bestimmte Krankheitsbilder früh erkennen. Aber ich erwarte nicht, dass sich solche Lösungen im großen Stil durchsetzen.
Herr Han, welche Bedeutung hat das Thema digitale Geschäftsmodelle in der chinesischen Automobilindustrie?
In den letzten Jahren haben chinesische Automarken große Fortschritte gemacht, wenn es um kostenpflichtige digitale Dienste im Fahrzeug geht. Man sieht klar, dass dieses Geschäftsmodell nicht mehr experimentell ist, sondern sich zunehmend als fester Bestandteil der Produktstrategie etabliert hat.
Momentan dominieren Abo-Modelle. Die meisten Hersteller bieten monatliche oder jährliche Abos für Software-Funktionen an. Einmalige Käufe gibt es noch, aber sie verlieren an Bedeutung.