VW-China-Chef: "Werden nie so schnell sein wie ein Start-up"

Als Ralf Brandstätter Mitte 2022 nach China wechselte, stand eine entscheidende Frage im Raum: Wie muss sich Volkswagen im dynamischsten Automarkt der Welt aufstellen?

"Wir haben gesehen, wie sich der Markt rasant in Richtung Elektromobilität und digitale Technologien entwickelt. Damit sind auch viele neue Wettbewerber entstanden, die neue Produkte und Technologien zu einem sehr niedrigen Preisniveau anbieten – darauf haben wir uns schnell eingestellt", sagt der CEO von Volkswagen China im Gespräch mit der Automobilwoche im Rahmen der IAA Mobility.

Doch der Wandel vollzog sich schneller, als es selbst die chinesische Regierung erwartet hatte. 2020 wurden im Fünfjahresplan bis 2025 noch 25 Prozent New-Energy-Vehicles prognostiziert, also reine E-Autos und Hybride. Tatsächlich sind es heute schon 50 Prozent.

Volkswagens Antwort auf die neue Herausforderung heißt Lokalisierung. Schon immer habe man in China produziert, nun geht es aber um weit mehr: "In unserem Entwicklungszentrum in Hefei arbeiten 3000 Experten von uns direkt vor Ort. Wir können Fahrzeuge für China in 24 bis 36 Monaten entwickeln – diese Geschwindigkeit war noch vor zweieinhalb Jahren undenkbar", sagt Brandstätter.

Die Nähe zu chinesischen Partnern, die enge Zusammenarbeit mit Zulieferern schon in der Konzeptphase und die Möglichkeit, Kosten- und Geschwindigkeitsvorteile unmittelbar mitzunehmen, sprechen für die Strategie:  "Wir sind nicht mehr 9000 Kilometer entfernt, sondern direkt da, wo Innovationen entstehen."

Auch technologisch hat sich Volkswagen neu aufgestellt. "Eine global entwickelte Elektro-Architektur wird in China perspektivisch nicht oder nur eingeschränkt nutzbar sein – zum einen aufgrund der unterschiedlichen Innovationsgeschwindigkeiten in den Regionen, zum anderen aufgrund der zunehmend unterschiedlichen gesetzlichen Vorgaben", erklärt Brandstätter.

Deshalb hat VW Joint Ventures gegründet und ist Partnerschaften eingegangen, etwa mit Horizon Robotics beim Autonomen Fahren. Das gemeinsame Unternehmen Carizon beschäftigt 500 Software-Ingenieure und entwickelt einen eigenen ADAS-Stack.

"Ende des Jahres bringen wir Level 2+, 2026 folgt Level 2++, mit klarer Roadmap zu Level 3", sagt Brandstätter: "Das ist unsere eigene Entwicklung – wir sind damit nicht länger von Blackbox-Systemen der Zulieferer abhängig."

Zugleich verfolgt Volkswagen konsequent das Ziel, Wertschöpfungsketten vor Ort aufzubauen. "Ein überwiegender Teil unserer Produkte und Technologie soll in China für den lokalen Markt entwickelt werden", sagt Brandstätter. Nur so lasse sich Resilienz gegenüber geopolitischen Risiken sichern.

Entscheidend für den Manager: "Alles, was wir hier investieren, erwirtschaften wir auch hier – auch über ein nach wie vor profitables Verbrennergeschäft. 2024 haben wir in einem sehr herausfordernden Umfeld eine sehr ordentliche Rendite von über sieben Prozent erwirtschaftet. Ein Spitzenwert in China."

Bis 2027 will Volkswagen in China 30 neue New Energy Vehicles auf den Markt bringen. "2030 erwarten wir einen NEV-Anteil am Gesamtmarkt von ungefähr 80 Prozent." Verbrenner bleiben dennoch ein wichtiger Teil des Geschäfts, betont der China-Boss.

Von 28 Millionen Fahrzeugen werden dann noch immer 20 Prozent reine Verbrenner sein und 35 Prozent Plug-ins und Range-Extender. Über die Hälfte der Autos hat also einen konventionellen Antrieb an Bord. "Wir können hier auf lokaler Technik aufsetzen – wir haben Motorenwerke und entwickeln ein neues Getriebe für PHEV und EREV", sagt Brandstätter.

Besonders hebt Brandstätter den Unterschied zum europäischen Markt hervor: "Der durchschnittliche Neuwagenkunde in China ist im Schnitt 20 Jahre jünger als in Europa, Erstkäufer und hat eine geringe Markenloyalität. Außerdem ist er sehr technikaffin, verdient gut und wünscht sich ein cooles Auto."

Gleichzeitig gibt es aber Werte, die in China wie in der westlichen Welt ganz oben stehen: Sicherheit und Qualität. Allein deshalb gilt: "Wir werden und wollen nie so schnell sein wie ein chinesisches Start-up."

Darin liege auch eine Chance. "Neben digitaler Raffinesse beobachten wir, dass vor allem Qualität und Sicherheit den Kunden wieder zunehmend wichtiger werden."

Der Konzern hat in China deutlich an Tempo zugelegt. Autos, die jetzt auf den Markt kommen, waren bei Brandstätters Amtsantritt noch nicht im Cycle-Plan.

Mit Blick auf die Dynamik des Markts sagt er: "Früher hatte der große Hersteller über seine Skalen die Kostenvorteile. In China erobert heute der Schnelle den Markt und morgen der mit dem besten Gesamtpaket aus Tech, Verlässlichkeit und Sicherheit."

Zuletzt, das zeigt der Blick auf die Zahlen, gehörte Volkswagen in China nicht zu den Markteroberern. Das soll sich mit der neuen Strategie ändern – und nicht nur dort. Brandstätter: "Der ASEAN-Raum, aber auch der Mittlere Osten, Afrika oder Südamerika sind offen für diese Technologien."