Oliver Blume und Cariad-Chef Bosch: "Der Volkswagen-Konzern setzt da Maßstäbe"

Oliver Blume: Auf einem ganz anderen Level. Wir haben in den vergangenen drei Jahren unsere Hausaufgaben erledigt und bei der Software sehr große Fortschritte gemacht. Wir haben unsere weltweite Softwarestrategie neu aufgesetzt.

Mit Xpeng für den chinesischen Markt und Rivian für die anderen Weltregionen konnten wir starke Partner für den Volkswagen-Konzern gewinnen. Und zusätzlich haben wir unsere Softwaretochter Cariad neu ausgerichtet – mit professionellen Liefereinheiten und der Konzentration auf automobile Schlüsseltechnologien: autonomes Fahren, Infotainment, Cloud-Services, Datenverarbeitung und Back-End-Lösungen.

In unseren Fahrzeugen steckt tolle Software. Und wir gewinnen damit Vergleichstests. Die Arbeit geht natürlich immer weiter und wir lassen in unseren Ambitionen nicht nach. Gleichzeitig sind wir stolz auf die Leistung aller Beteiligten.

Peter Bosch: Wir haben eine grundlegende Neuausrichtung von Cariad und der Software im Konzern begonnen. Strategisch und operativ. Wir liefern jetzt im Zeitplan und in Qualität. Inzwischen haben wir Software für über 14 Modellfamilien auf den Markt gebracht, die erfolgreich bei unseren Kunden ist.

Ein klarer Fortschritt, den wir gemeinsam mit den Marken erzielt haben. In der Entwicklung haben wir Kosten gesenkt und das Tempo erhöht. Mit den Mitarbeitenden haben wir Prozesse und Organisation verschlankt und nach der Logik eines Technologieunternehmens gestaltet.

Wir lösen uns vom traditionellen Lieferantenmodell mit Lastenheft und schreiben den Code mit unserer internationalen Entwickler-Community zunehmend selbst. Außerdem haben wir zukunftsweisende Technologiepfade bei Architekturen und Schlüsseltechnologien eingeschlagen.

Dabei arbeiten wir häufig mit Partnern zusammen. Unser Ziel ist eine schlanke Software-Einheit mit hoher Eigenentwicklungsquote, die führende Automotive-Software-Produkte zu wettbewerbsfähigen Kosten anbietet.

Bosch: Wir sehen bei der Software deutliche Erfolge. Schauen Sie sich den elektrischen Porsche Macan, Audi A6 e-tron, Volkswagen ID.7, Skoda Elroq oder Cupra Tavascan an, die Fahrzeuge gewinnen Tests, auch wegen ihrer digitalen Lösungen.

Die dynamische Routenplanung mit optimalen Ladestopps ist zum Beispiel Testsieger. Fahrzeug, Batterie, Ladeinfrastruktur und Verkehrsinformationen sind optimal mit dem Kundenwunsch einer optimalen Route vernetzt.

Und die Innovationskraft unserer Lösungen wird auch wissenschaftlich bestätigt: Im neuesten globalen Innovationsranking des Center of Automotive Management liegt der Volkswagen-Konzern auf Platz eins. Viele der darin genannten Software-Technologien für Sicherheit, Fahrerassistenz, Konnektivität oder die Benutzeroberfläche stammen von Cariad.

Blume: Weil sie das Erlebnis des Autofahrens noch attraktiver macht. Ob Navigation, Assistenzsysteme, Infotainment. Software ist einmal entwickelt und wird dann vielfach eingesetzt. Der Volkswagen-Konzern hat die Kraft des Skalierens. Und das bringt uns Kostenvorteile und Geschwindigkeit.

Wir spielen dabei unsere Stärke als Plattform-Champion aus: eine gemeinsame Lösung als Basis, aber klare Differenzierung im Erleben jeder Marke.

Wer in der Zukunft der Mobilität eine Rolle spielen will, muss schon in der Entwicklung der Fahrzeuge von der Software her denken und nicht wie früher üblich von der Hardware her: unsere Software Defined Vehicle-Architekturen, die wir mit unseren Partnern für die westlichen Märkte und China entwickeln. Der Volkswagen Konzern setzt da Maßstäbe.

Blume: Diese Strategie war nicht erfolgreich und deshalb habe ich sie vor drei Jahren geändert. Entscheidend sind unsere Kundinnen und Kunden – mit verschiedenen Bedürfnissen in den verschiedenen Weltregionen.

Im Sinne der besten Lösung für die Kunden entscheiden wir, was wir selbst machen, was mit Partnern und was wir zukaufen. Wir entwickeln Funktionen selbst, die den Kern unserer Marken betreffen. Unsere Partner wiederum werden in der Kooperation mit uns zu Innovationsbeschleunigern, die uns schneller und besser machen.

Blume: Ein gutes Beispiel ist die Automated Driving Alliance: Die Unternehmen Bosch und Cariad arbeiten hier gemeinsam daran, eine Softwareplattform für das assistierte und automatisierte Fahren zu bauen. Wir gehen also weg vom klassischen Hersteller-Lieferantenverhältnis hin zu echten Entwicklungspartnerschaften.

Dafür haben wir einen Software-Baukasten für unseren Konzern aufgestellt, also die Basis mit allen zentralen softwarebasierten Technologien, den "Group Software Stack". Diesen neuen Weg stellen wir bei der IAA Mobility in München vor.

Bosch: Der Konzern-Softwarebaukasten umfasst drei Architekturfamilien für alle unsere Fahrzeuge. Dazu gehören die Global Architectures, die wir aktuell mit vielen kontinuierlichen Innovationen konzernweit ausrollen. Außerdem je eine zonale Architektur nach dem Software-Defined Vehicle Prinzip für die westliche Welt und eine für China.

Querschnittlich haben wir vier Stacks für unsere Schlüsseltechnologien: Die "Driver Stacks" zum Beispiel für Assistenzsysteme und Funktionen für das automatisierte Fahren, die "Experience Stacks" mit Software für ein intelligentes Nutzererlebnis im Auto wie digitale Assistenten oder den Group Application Store, die "Motion Stacks"-Software für Fahrwerk und Antriebe.

Die Vernetzung der Fahrzeuge erfolgt über die "Cloud Stacks". Dies ist ein gemeinsamer Software-Rahmen für den Konzern, bei der jede Marke klar erkennbar bleibt und regionale Bedarfe berücksichtigt werden.

Bosch: Bei Architekturen haben wir eine konsequente Zuordnung nach Technologiegenerationen und Weltregionen vorgenommen. Bei den Schlüsseltechnologien setzen wir auf Synergien. Ein Beispiel dafür sind die Group-Cloud-Stacks: Mit über 45 Millionen vernetzten Fahrzeugen entwickeln und betreiben wir die größte Automotive Cloud Infrastruktur der Welt.

Technische Differenzierung durch Eigenentwicklung streben wir unter anderem dort an, wo wir das Fahrerlebnis und den Charakter der Marken bestimmen. Ein gutes Beispiel dafür sind die "Motion Stacks", also die Teile des Software-Baukastens, die unter anderem für Fahrdynamik zuständig sind.

Das dynamische Fahrerlebnis als technisches Ergebnis aus Physik und Code haben wir im Konzern seit Jahren perfektioniert.

Blume: Wir schauen auf viele Parameter. Im Kern geht es immer darum, unsere Kundinnen und Kunden noch zufriedener zu machen. Software-Funktionen wie smarte Assistenzsysteme oder ein digitales Innenraumerlebnis, das perfekt zum eigenen Alltag passt, sind heute immer wieder ausschlaggebend beim Autokauf.

Niedrige Fehlerquote und Kundenzufriedenheit sind für uns die wichtigsten Messlatten. In den Top Ten der deutschen E-Auto-Neuzulassungen im ersten Halbjahr kommen acht Fahrzeuge aus dem Volkswagen-Konzern.

Alle ausgestattet mit den modernsten Versionen unser globalen Software-Architekturen. Das ist ein großer Erfolg der Teams in den Marken des Volkswagen-Konzerns, und auch bei Cariad. Darauf dürfen wir stolz sein.

Blume: Vom Gesamtaufwand des Volkswagen-Konzerns entfallen etwa zwei Drittel in Elektrifizierung und Digitalisierung – dazu zählen wir Forschung und Entwicklung und Sachinvestitionen. Mit diesen Investitionen stellen wir das Unternehmen zukunftsfest auf.

Bosch: Und unsere Investitionen wirken bereits. Lassen Sie mich das an drei Beispielen verdeutlichen. Wir bündeln unsere Fahrzeuginformationen konzernweit in einem Ökosystem des Group-Cloud-Stacks und sparen damit Entwicklungskosten. Im Bereich Infotainment haben wir eine synergetische Android-Plattform, mit der unsere Kundinnen und Kunden mehr als 100 Apps in unserem Group-Application-Store nutzen können.

Und rund um Fahrerassistenzsysteme entsteht gemeinsam mit Partnern wie Bosch ein durchgängiger Funktions-Baukasten für Assistenzsysteme und automatisiertes Fahren. Von der gemeinsamen Entwicklungsleistung profitieren also am Ende alle – modell- und markenübergreifend.

Blume: Gleichzeitig ist klar: Wir müssen und werden auch beim Thema Software weiter an unseren Kosten arbeiten.

Blume: Mit unserer Strategie, auf starke regionale Partner zu setzen. Um darüber mit unseren Software-Architekturen trotz unterschiedlicher Rahmenbedingungen erfolgreich zu sein. Der Volkswagen-Konzern und Rivian ergänzen sich technologisch und kulturell hervorragend.

Die ersten Ergebnisse sind positiv: Hardware und Architektur für den ID.1 sind bereits definiert. Dies wird das erste Fahrzeug sein, das auf der neuen Softwarearchitektur aufsetzt. Ebenso steht die technische Richtung für weitere Projekte, unter anderem für bestimmte Modelle von Audi und Porsche. Wir kommen hier sehr gut voran.

Aus der erweiterten Kooperation mit Xpeng in China ist unser Innovationszentrum in Hefei entstanden. Dort arbeiten mittlerweile rund 3000 lokale Entwickler. Wir sind dichter dran an den lokalen Markttrends, können deutlich schneller und zunehmend eigenständig entwickeln.

Von Xpeng lizenzieren wir modernste Software-Technologie, aus der die Cariad China einen eigenen Code für unsere China Electronic Architecture entwickelt. Das erste Fahrzeug mit dieser Architektur ist bereits Ende dieses Jahres fertig.

Blume: Europa ist eine der wettbewerbsfähigsten Regionen der Welt. Mit Top-Universitäten, gut ausgebildeten Talenten und einem lebendigen Start-up- und Tech-Ökosystem. Daher investieren wir in europäische Software- und KI-Kompetenz.

Darüber sichern wir die europäische Souveränität bei wichtigen Schlüsseltechnologien der Automobilindustrie. Partnerschaften mit Bosch zum automatisiertem Fahren oder Mobileye zum autonomen Fahren sind dafür gute Beispiele.

Bosch: Bereits seit Beginn der Partnerschaft setzt die Automated Driving Alliance auf KI. Mittlerweile kommt KI entlang der gesamten Software-Technikkette zum Einsatz: von der Objekterkennung, der Fusion verschiedener Sensoren wie Kameras und Radare, über die Entscheidungsfindung bis hin zur Umsetzung in die sichere automatisierte Steuerung von Antrieb, Lenkung und Bremse.

Die automatisierten Fahrfunktionen basieren zukünftig auf einer durchgängigen, sogenannten End-to-End-KI-Architektur, in der alle Module durch den Einsatz von KI nochmals leistungsfähiger und intelligenter werden.

Bosch: So wie Sprachmodelle komplexe semantische Zusammenhänge verstehen, kann der neue KI-Stack der Automated Driving Alliance urbane Verkehrsszenarien analysieren und sowohl aktuelles als auch potenzielles Verhalten von Verkehrsteilnehmern aus unterschiedlichen Sensormodalitäten antizipieren.

Ist auf der Straße ein starres Hindernis oder ist es nur Dampf aus einem Gully? Wie kann man sicher, aber bestimmt in eng fließenden Verkehr einfädeln? Besteht das Risiko eines unerwartet auftauchenden Fußgängers? Diese Aufgaben kann künstliche Intelligenz in Zukunft besser als der menschliche Fahrer bearbeiten.

Bosch: Sicherheit und Compliance sind integrale Bestandteile all unserer Softwareprodukte und tief in der DNA des Konzerns verankert. Wir setzen dabei nicht nur konzernintern hohe Standards, sondern fordern die Einhaltung dieser Werte auch in der Lieferkette ein.

Wir integrieren Qualitäts- und Sicherheitsstandards von Anbeginn in den Entwicklungsprozess und gewährleisten ihre Anwendung durch umfangreiche Tests. Gerade beim autonomen Fahren ist das zentral, wenn sich Fahrer mehr und mehr auf ihr Auto und die Software verlassen.

Bosch: Wir entwickeln Software, die auf verschiedene lokale Bedürfnisse eingeht und je nach Nutzer und Fahrzeug hochpersonalisierbar ist. Dafür ist unsere Zusammenarbeit mit den Konzernmarken und unserem Partnernetzwerk essenziell.

Nehmen wir den Group-Application-Store, über den Fahrer personalisierte Apps wie Spotify, DAZN oder Bloomberg nutzen können. Den Store haben wir auf Basis des Android-Automotive-Betriebssystems entwickelt.

Blume: Ob Software, Batterietechnologie, Plattformen, autonomes Fahren: Wie kein anderer Hersteller können wir auf allen relevanten Technologiefeldern über Marken, Segmente und Regionen hinweg skalieren. Wir denken dabei global und handeln lokal, können unsere Produkte also passgenau auf die regionalen Bedürfnisse unserer Kundinnen und Kunden zuschneiden.

Auch dank unserer zielgerichteten Zusammenarbeit mit starken lokalen Partnern. Das ist es, was wir unter dem globalen Technologie-Treiber der Automobilindustrie verstehen. Und genau das stellen wir auf der IAA Mobility ins Zentrum mit einem beispiellosen Programm – mit Thementagen voller Innovationen und Impulse auf all diesen Technologiefeldern.