Neue Modelle: Mercedes denkt nach seinen Elektro-Problemen radikal um

An der Technologie lag es nicht. Als der ADAC Ende Januar 2025 einen Test zur Reichweite von Elektroautos im Winter veröffentlichte, da gab es einen klaren Sieger. Als einziges Fahrzeug schaffte der Mercedes EQS die 582 Kilometer lange Strecke von München nach Berlin, ohne einen Ladestopp einlegen zu müssen. 

Das lag nicht nur daran, dass der EQS mit 118 Kilowattstunden eine besonders große Batterie an Bord hat, sondern auch an einem niedrigen Verbrauch, der unter anderem durch gute Aerodynamik begründet ist.

Genau hier liegt aber auch das Problem des Elektro-Flaggschiffs von Mercedes. Denn der avantgardistische Auftritt mit dem von Designer Gorden Wagener entworfenen Bogen-Konzept (One Bow) hat die eher traditionell eingestellten Mercedes-Kunden nicht überzeugen können.

Die Verkaufszahlen aller vier Modelle (EQS, EQE, EQS SUV, EQE SUV) auf der sogenannten EVA2-Plattform, die speziell für elektrischen Antrieb konzipiert wurde, blieben deutlich hinter den Erwartungen zurück. Daran dürfte auch das aktuelle Facelift des EQS nichts mehr ändern, obwohl damit sogar der Mercedes-Stern auf die Fronthaube zurückkehrt.

Beim Kapitalmarkttag im Rahmen der der Jahrespressekonferenz bekräftigte Ola Källenius daher noch einmal die Kurskorrektur bei den geplanten Modellen und besiegelte damit faktisch das Ende des Experiments EVA2. Keines der Fahrzeuge wird über ein Facelift hinaus einen Nachfolger erhalten.

Die kürzeste Laufzeit droht dem 2022 eingeführten EQE, der 2027 von einer neuen elektrischen E-Klasse abgelöst wird, die Källenius erstmals offiziell ankündigte.

Sie ist auch das Symbol der neuen Designphilosophie, die der Schwede so zusammenfasste: „Ein Mercedes muss auch aus dem Augenwinkel heraus sofort als solcher erkennbar sein.“

Während die kommenden Modelle auf der MMA-Plattform für Kompaktwagen (CLA, CLA Shooting Brake, GLA, GLB) noch auf Aerodynamik und progressiven Auftritt getrimmt sind, ändert sich dies spätestens mit dem elektrischen GLC und der elektrischen C-Klasse. Diese sollen im September auf der IAA in München erstmals gezeigt werden und auf der Plattform MB.EA aufbauen.

Zeitlose Eleganz, Sicherheit und Qualität, ein müheloser Komfort, all das kennzeichne die Marke. Man habe sich auf die Suche nach der Seele im Design begeben, schwärmt Källenius. Auffälligstes Merkmal ist dabei die Rückkehr zum traditionellen Kühlergrill mit aufgesetztem Stern, wie er bereits in den 70er Jahren typisch war.

Dabei sollen sich Elektromodelle und Verbrenner in Zukunft rein äußerlich wie technologisch kaum mehr unterscheiden.  „Sie werden in jeglicher Hinsicht ebenbürtig sein“, verspricht Källenius. Augenfällig wird dies auch in der neuen Nomenklatur, die schon mit den neuen Kompaktmodellen wie dem CLA Einzug hält, der am 13. März in Rom Premiere feiert. 

Statt das EQ im Namen zu tragen, kehrt Mercedes zur alten Bezeichnung der Modelle zurück und verwendet im Fall des rein elektrischen Antriebs nur noch den Zusatz „EQ-Technology“, um eine Unterscheidung zu ermöglichen.

Während der CLA noch ein Nischenmodell sein mag, soll spätestens mit elektrischem GLC und C-Klasse ein deutlicher Schub in Sachen Elektrifizierung der Marke erfolgen. Bisher hinkt Mercedes hier deutlich hinter Wettbewerbern wie BMW her. So betrug der Anteil elektrischer Fahrzeuge inklusive Plug-in-Hybriden im Jahr 2024 nur 19 Prozent, ein Jahr zuvor waren es noch 20 Prozent. 

Finanzchef Harald Wilhelm erwartet, dass dieser Anteil nach Einführung neuer Modelle 2027 auf über 30 Prozent steigt. Bei der 2021 ausgerufenen "Electric-Only-Strategie" war noch von einem Anteil von 50 Prozent EVs im Jahr 2025 ausgegangen worden, Ende des Jahrzehnts sollten praktisch alle neu ausgelieferten Fahrzeuge rein elektrisch sein. Jetzt sind die Prognosen deutlich zurückhaltender.

Daher werden parallel zu den elektrischen Fahrzeugen mit Milliardenaufwand auch die Verbrenner nochmals zukunftsfähig gemacht. „Wir werden die komplette Palette an Motoren tauglich machen für die EU7-Norm“, kündigte Entwicklungschef Markus Schäfer an. Erste Modelle werden der GLE, GLS und die S-Klasse sein, die allesamt im kommenden Jahr umfangreich überarbeitet werden.

Zu den modernen Aggregaten gehören neben sparsamen Vierzylindern wie in der neuen MMA-Plattform auch Sechszylinder, Achtzylinder und sogar Zwölfzylinder etwa für die leistungsstärksten Versionen der Maybach S-Klasse und bestimmter AMG-Modelle. Selbst der Diesel bleibt auf absehbare Zeit erhalten.

Statt streng nach Plattformen wie MMA oder MB.EA zu unterscheiden, setzt Schäfer in Zukunft auf einen modularen Ansatz. Dies bedeutet, dass die jeweilige Aufbauform wie etwa die E-Klasse für alle Antriebe optimiert werden kann. „Wir werden Kernwerte nicht opfern, um eine Flexibilität beim Antrieb zu erreichen“, so Schäfer.

So bekommen alle E-Autos in Zukunft ein 800-Volt-Bordnetz, um schnelles Laden zu ermöglichen. Außerdem ermöglicht die Architektur MB.EA eine bessere Nutzung des Innenraums. „Man wird als Passagier das Gefühl haben, eine Klasse höher zu fahren“, verspricht Schäfer.

So seien etwa GLC und C-Klasse ihren Wettbewerbern in allen Belangen überlegen. Die Grundausrichtung von Mercedes auf hochwertig ausgestattete Fahrzeuge in den oberen Segmenten bleibt gleich, auch wenn das Wort Luxus deutlich seltener zu hören ist.

Um die Investitionen in Grenzen zu halten, setzt Mercedes auf eine größtmögliche Standardisierung quer durch die Architekturen. Die wählbaren Ausstattungen sollen in Zukunft weniger Hardware-Varianten beinhalten. So zieht überall das Betriebssystem MB.OS ein, die Zahl der Steuergeräte sinkt, die Bildschirme für das Infotainment werden angeglichen. Außerdem soll verstärkt digital getestet werden, um die Flotte an Fahrzeugen für die Entwicklung zu reduzieren. 

In China will Schäfer noch stärker lokalisieren, also auch die Komponenten bei örtlichen Zulieferern beziehen, um die Kosten weiter zu senken. Bei den Fahrzeugen mit Assistenzsystem Level 2++ soll auf LiDAR-Sensoren und HD-Karten verzichtet werden können.

Mit der beispiellosen Produktoffensive, die binnen zwei Jahren 16 neue oder umfangreich überarbeitete Modelle beinhaltet, will Mercedes ab 2027 auch wieder beim Absatz wachsen und die Marke von zwei Millionen überschreiten.

Im vergangenen Jahr war er erstmals seit vielen Jahren darunter gefallen. In China allerdings geht Finanzchef Harald Wilhelm weiterhin von einer Seitwärtsbewegung aus. 

Der Schub muss also von Europa, den USA und neuen Märkten wie Saudi-Arabien kommen. Dort plant beispielsweise die Sportwagen-Tochter AMG ein riesiges Erlebnis-Zentrum nahe der neuen Formel-1-Strecke im Herzen der Retortenstadt Qiddiya City.

Auch Länder in Asien außerhalb Chinas wie Singapur, Malaysia, Indonesien oder Thailand versprechen Chancen.

Die Botschaft von Källenius beim Kapitalmarkttag ist klar: "Wir erfinden den Mercedes-Weg neu." Von den Mitarbeitern fordert er mehr Siegermentalität und Kampfgeist. Er weiß aber auch: Sollte dieser Weg nicht zu mehr Wachstum und Erfolg führen, ist auch er nicht mehr unumstritten.