Fahrzeugentwicklung: Wenn Software dominiert, ändern sich die Spielregeln

Die Automobilindustrie befindet sich mitten in einem historischen Umbruch. Die Fahrzeugarchitekturen von morgen unterscheiden sich grundlegend von allem, was bisher auf die Straße kam.

"Die Methoden, mit denen wir in der Vergangenheit erfolgreich waren, tragen uns nicht mehr in die Zukunft", sagt Elmar Pritsch, Partner bei Deloitte und ehemaliger CIO von Bosch. Der Wandel betrifft nicht nur die Technologie, sondern auch das Lieferkettenmanagement, die Entwicklung und die strategische Ausrichtung der gesamten Branche.

Bisher beruhte der Erfolg auf einem feinjustierten System: das Fahrzeug in tausende von einzelnen Komponenten zerlegt, effizient ausgeschrieben mit bis zu 30 Anbietern je Komponente, günstig eingekauft, zur Entwicklungsabteilung gebracht und dort zu einem Gesamtfahrzeug zusammengefügt.

Dieses von Hardware dominierte Modell stößt jedoch an seine Grenzen, sobald Software zur dominanten Komponente wird. Pritsch bringt es auf den Punkt: "Level-3-Autonomie mit über 100 Steuergeräten zu ermöglichen, ist eine Meisterleistung der Ingenieure und verdient meinen größten Respekt – aber aus Software-Sicht ist es ein Alptraum an Komplexität."

Fahrzeuge von morgen werden eben nicht mehr durch unzählige Steuergeräte befähigt, sondern durch wenige High-Performance-Computer, die Funktionen zentral verarbeiten – gesteuert von ständig weiterentwickelter Software.

Damit wird auch die Fahrzeugentwicklung zu einem kontinuierlichen Prozess. Software ist nie fertig, sie muss regelmäßig aktualisiert werden. Over-the-Air-Updates werden zur Voraussetzung, nicht zur Kür. Doch viele Hersteller haben dafür noch nicht die richtige Infrastruktur.

Pritsch plädiert für offene Plattformen, modulare Architekturen und ein digitales Ökosystem, in dem Drittanbieter mitspielen können – ähnlich dem App-Store-Prinzip aus der Smartphone-Welt. Dabei könnte Open Source eine zentrale Rolle spielen.

Millionen Entwickler weltweit könnten Innovationen vorantreiben, während Autohersteller weiterhin für Qualität und Sicherheit sorgen. Die Trennung zwischen sicherheitsrelevanter Echtzeit-Software und nicht-kritischen Komfortfunktionen sei architektonisch lösbar, so Pritsch.

Auch für Zulieferer bietet die Transformation Chancen. Unternehmen wie Bosch haben mit Lösungen wie dem ABS gezeigt, wie herstellerübergreifende Plattformen funktionieren können. Diese Kompetenz müsse nun auf Software übertragen werden – plattformfähig, skalierbar und unabhängig von der Hardware. 

Europa, ist sich Elmar Pritsch sicher, hat in diesem Rennen noch alle Chancen. Während China und die USA teils mit Geschwindigkeit punkten, haben auch die dortigen Autobauer und Tech-Unternehmen die Lokalisierung ihrer Fahrzeuge über regionale Apps für andere Märkte noch nicht wirklich umgesetzt.

Zudem kann Europa mit Sicherheit, Datenschutz und klaren Regularien neue Maßstäbe setzen. Eine "digitalisierte Homologation", eine moderne TÜV-Plakette für Softwareupdates, klare Standards – das sind Felder, in denen Europa Vorreiter sein kann. "Das Rennen ist noch nicht verloren", sagt Pritsch. "Aber wer jetzt nicht handelt, wird es nicht mehr mitbestimmen." 

Die nächsten zwei Jahre seien entscheidend. Hersteller und Zulieferer müssen sich jetzt strategisch neu aufstellen, mit den richtigen Partnern zusammenarbeiten und den Wandel aktiv gestalten – nicht nur reagieren. Denn am Ende entscheidet nicht nur die Hardware über den Erfolg eines Fahrzeugs, sondern das Ökosystem dahinter.