Proteste und Bangen: Tage der Entscheidung bei ZF

Mit Spannung, aber auch großer Sorge sehen die Beschäftigten des Zulieferers ZF Friedrichshafen der Aufsichtsratssitzung am Dienstag entgegen. Dort werden unter Vorsitz von Rolf Breidenbach nicht nur die nächsten strategischen Schritte des Konzerns verabschiedet, sondern voraussichtlich auch Einschnitte für die Belegschaft beschossen.

Dagegen formiert sich erneut Widerstand. Die IG Metall und ZF-Betriebsräte rufen am Dienstag an über 20 deutschen Standorten zu Protesten auf. Bevor ZF-Gesamtbetriebsratschef Achim Dietrich an der Sitzung des Gremiums teilnimmt, will er mit 5000 Beschäftigten zur Friedrichshafener Konzernzentrale marschieren.

Bereits Anfang September 2024 hatte der Gesamtbetriebsrat mehrere Tausend Mitarbeiter an verschiedenen Standorten des Zulieferers auf die Straße gebracht, um gegen den Abbau von bis zu 14.000 Arbeitsplätzen des Zulieferers in Deutschland zu protestieren.

Der Auslöser für die jetzigen Proteste sind Aussagen von ZF-Managern an mehreren Standorten des Unternehmens. Für Aufregung sorgten insbesondere Äußerungen von Personalvorständin Lea Corzilius auf einer Betriebsversammlung in Friedrichshafen. Demnach sind auch betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr ausgeschlossen.

Eigentlich sind betriebsbedingte Kündigungen am Stammsitz des Unternehmens bis Ende Juni 2028 ausgeschlossen. Grundlage dafür ist die im Sommer 2024 ausgehandelte Zielvereinbarung zwischen Zulieferer und Arbeitnehmervertretung.

Laut Gesamtbetriebsrat soll es zudem erneut Kürzungen bei Lohn und Gehalt geben. Auch an den Standorten Schweinfurt und Saarbrücken habe das Management weitere Einschnitte angekündigt und die Belegschaft aufgefordert, den Kurs der Führungsmannschaft zu unterstützen.

Um das Unternehmen aus der Krise zu steuern, setze der Vorstand auf ein Maßnahmenpaket: "Entwicklungsprojekte stoppen, Vertriebsaktivitäten einbremsen, Fabriken nach Best-Cost-Countries verlagern, Standorte in Deutschland schließen und Stellen nach dem Rasenmäherprinzip abbauen", empört sich der Gesamtbetriebsrat. Die Beschäftigten und ihre Vertretung würden sich angesichts der aktuellen Lage fragen: "Wohin hat uns denn der eingeschlagene Kurs des Vorstands bislang geführt? Nicht hinaus aus der Krise, sondern immer weiter hinein."

Der Zulieferer hatte laut Dietrich auf mehreren Betriebsversammlungen von der Belegschaft Gehaltseinbußen von deutlich über fünf Prozent angekündigt. "Der Vorstand drückt den Panikknopf."

Vorstandschef Holger Klein erkläre zwar in der Öffentlichkeit immer wieder, dass er einen klaren Plan verfolge, doch bislang sei offen, wie weit es tatsächlich zu Ausgliederungen und Desinvestitionen kommen wird. Auch sei unklar, ob sich das Unternehmen in der schwierigen Branchensituation gesundschrumpfen könne.

Unter welchem großen Spardruck das Unternehmen steht verdeutlichte auch Vorstand Peter Holdmann im Interview mit der Automobilwoche: "Wir werden in Europa noch deutlich konsolidieren müssen." Das Volumen in der europäischen Fahrzeugproduktion liege 30 Prozent unter der von 2018. "Wir stellen auf dem Kontinent jetzt so viele Fahrzeuge her wie 1997. Das heißt, im Markt gibt es mindestens 30 Prozent Überkapazität." Das sei für jeden Zulieferer eine Herausforderung "und trotz voller Orderbücher auch für unsere Chassis-Division".

Aufgrund der Synergieeffekte durch die Zusammenlegung der Divisionen Aktive Sicherheitstechnik und Pkw-Fahrwerktechnik zur Division Chassis Solutions Anfang 2024 und dem im Oktober 2023 gestarteten Performance-Programm seien in Summe mehr als 3000 der weltweit 33.000 Mitarbeiter abgebaut worden. "Dadurch sind wir schon deutlich effizienter geworden, aber dieser Weg ist noch lange nicht beendet", Holdmann weiter.

Zur Gewinnsituation sagte der Vorstand: "Wir sind aber noch lange nicht zufrieden mit dem Ergebnis. Die Ausgangslage ist halt schwierig. Wenn sich kein Wachstum mehr darstellen lässt, weil der Markt stagniert, wenn inflationäre Effekte hinzukommen, dann lässt sich eine Ergebnisverbesserung nur erreichen, wenn harte Einschnitte in der Kostenstruktur vorgenommen werden."

Vor allem am Getriebestandort Saarbrücken ist die Anspannung groß. Die IG Metall fürchtet sogar um das Überleben des Standorts. Patrick Selzer, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Saarbrücken, erklärte gegenüber der "Saarbrücker Zeitung", dass die Belegschaft bis 2030 von derzeit rund 8500 auf nur noch 2900 Mitarbeiter schrumpfen könnte. 

Für ihn stelle sich die Frage, ob das Werk dann überhaupt noch "überlebensfähig" wäre. Mit einem Drittel der Belegschaft und weiter hohen Fixkosten werde es schwierig, zu wettbewerbsfähigen Preisen zu produzieren.

Bis Ende dieses Jahres werden 1800 Jobs in Saarbrücken gestrichen. Wenn sich die Auftragslage nicht bessert, könnten bis Ende des Jahres 2028 sogar noch mehr Stellen wegfallen, insgesamt bis zu 4500 Arbeitsplätze, hieß es im Oktober vergangenen Jahres.

Doch der Zulieferer investiert auch am saarländischen Standort. So hat das Unternehmen in Saarbrücken 300 Millionen Euro in den Bau einer neuen Produktionslinie für E-Getriebe investiert. Der Konzern will Saarbrücken zum Leitwerk für E-Mobilität ausbauen.

Für Aufruhr sorgt auch eine interne Ankündigung des ZF-Vorstands, einen Teil der Produktion ins ungarische Eger zu verlagern. Davon sollen verschiedene Automatikgetriebe sowie der elektrischen Achsantrieb betroffen sein. Der Zulieferer hat in das Werk in Eger rund 100 Millionen Euro investiert und um eine 40.000 Quadratmeter große Produktionshalle erweitert.

In einem offenen Brief an ZF-Vorstandschef Klein fordert Saarbrückens Oberbürgermeister Uwe Conradt Aufklärung zur Zukunft des Standorts. Das hat eine Vorgeschichte: Im Februar waren die Oberbürgermeister großer ZF-Standorte an den Konzernsitz nach Friedrichshafen gereist und hatten eine enge Abstimmung zwischen Unternehmensführung, Kommunen und Beschäftigten vereinbart. "Jetzt ist der Moment gekommen, in dem der Vorstand zeigen muss, ob er dieses gemeinsame Verständnis ernst meint", sagte Conradt.

Vor einer Ausgliederung der Division E warnt die IG Metall Bayern. Mit Protestaktionen an allen fünf bayerischen ZF-Standorten der Division E (Schweinfurt, Nürnberg, Auerbach, Thyrnau, Bayreuth) will die Gewerkschaft auf die Gefahr aufmerksam machen. "Diese Protestaktionen sind ein Warnschuss für die ZF-Spitze. Wenn die ZF-Bosse ihre Kahlschlag-Pläne durchziehen, riskieren sie einen Großkonflikt mit der IG Metall und den eigenen Beschäftigten", erklärte Bayerns IG Metall-Bezirksleiter Horst Ott.

Vorstandschef Klein hatte im März auf der Bilanz-Pressekonferenz des Unternehmens allerdings klargestellt: "Es gibt im Moment keine Planungen diese Sparte zu verkaufen." Der Bereich steht für rund 11,5 Milliarden Euro Umsatz – mehr als 25 Prozent der Konzernerlöse. Zirka 32.000 Mitarbeiter sind dort beschäftigt. Der Zulieferer bündelt hier alle Pkw-Antriebsarten – von konventionellen über Plug-in-Hybrid- bis zu rein elektrischen Antrieben.

Klein sieht darin einen Geschäftsbereich mit klaren Synergien für das ZF-Kerngeschäft, dessen Potenziale er aber mit Partnern entwickeln will. Die Expertise der Division werde der Konzern auch in Zukunft benötigen, beispielsweise für die Nutzfahrzeug- und Industrietechnik.

Es brauche allerdings Investitionen, um zu wachsen und die nötigen Skaleneffekte zu erzielen. "Es gibt dazu keine Entscheidungen, aber wir bereiten die Antriebssparte darauf vor, so eigenständig zu werden, dass sich ein Partner beteiligen kann."

Im Geschäftsjahr 2024 hatte ZF mehr als eine Milliarde Euro Verlust gemacht. Der Umsatz reduzierte sich 2024 gegenüber dem Vorjahr um elf Prozent auf 41,4 Milliarden Euro. Insgesamt lastet auf dem Konzern eine Schuldenlast von rund 10,5 Milliarden Euro, der vor allem durch die Übernahmen von TRW Automotive und Wabco entstanden ist. Zudem drückt das Unternehmen eine jährliche Zinslast von mehr als einer halben Milliarde Euro.

Um die Schuldenlast zu mindern, will sich der Zulieferer von der auf passive Sicherheitssysteme spezialisierten Sparte ZF Lifetec trennen. Dort werden Airbags, Gurte und Lenkräder hergestellt.

Die Einheit soll in Teilen oder komplett verkauft werden. Auch ein Börsengang ist möglich. Doch noch kann der Konzern dafür keinen Käufer präsentieren. ZF hatte in der Vergangenheit mehrfach betont, nicht unter Zeitdruck zu stehen. Auch für die Antriebssparte wurden bislang keine Partner gefunden.