Es ist möglich, dass dieser Anteil weiter erhöht wird, aber das hängt auch von der wirtschaftlichen Entwicklung und unserer Zusammenarbeit mit Luxshare ab. Ich würde das begrüßen, aber die Entscheidung liegt natürlich nicht bei mir.
Leoni-CEO Rinnerberger: "Fest steht, dass es in den nächsten Jahren ein brutales Geschäft wird"
Nach Abschluss der Übernahme durch den chinesischen Zulieferer Luxshare spricht Leoni-CEO Klaus Rinnerberger im Interview über Synergien, neue Werke in Nordafrika und die Besonderheiten des Marktes in China.
Wir liegen dank des immensen Einsatzes der gesamten Mannschaft voll im Plan, und es gibt auch planmäßig in allen Bereichen noch offene Aufgaben, aber die wesentlichen Sanierungsschritte beim Abbau der Kosten und Teile der Anpassungen unseres Werkeverbunds sind umgesetzt. Aber eine erfolgreiche Sanierung besteht nicht nur aus Kostenreduktion – wichtiger ist die Neuausrichtung für die Zukunft.
Wir haben daher in weiten Teilen die Organisationsstruktur neu aufgestellt, Schwachstellen auf allen Ebenen des Managements ausgemerzt, signifikante Verbesserungen unserer "operational excellence" erreicht und das gesamte Unternehmen in Richtung "unternehmerische Performance" orientiert, das war in der Vergangenheit einfach nicht der Fall.
Absolut. Bislang haben wir davon rund 3500 in den Bereichen Bordnetze und Kabel abgebaut. Davon entfallen etwa 500 auf Deutschland, wobei hier auch die Abgabe einer kleinen Randsparte einfließt.
2024 haben wir rund fünf Milliarden Euro Umsatz erzielt, 2023 waren es knapp 5,5 Milliarden Euro. Ein Drittel des Rückgangs resultiert aus dem Verkauf von Unternehmenseinheiten. Die anderen zwei Drittel waren Rückgänge bei den Erlösen aufgrund exogener Faktoren, vor allem durch reduzierte Lieferabrufe wegen rückläufiger Absatzvolumina in den Märkten.
Für 2025 hatten wir eine flach verlaufende Umsatzentwicklung geplant und im ersten Halbjahr sieht es danach aus, dass wir drei bis fünf Prozent mehr Umsatz erreicht haben als im ersten Halbjahr 2024.
Für das zweite Halbjahr 2025 rechne ich mit einer ähnlichen Entwicklung. Allerdings kann momentan niemand beantworten, wie sich die US-Zölle entwickeln und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, wenn die Preiserhöhungen für Fahrzeuge beim Endkunden ankommen.
Unser Endziel haben wir noch nicht erreicht, aber zumindest der Turnaround ist geschafft – und sogar schneller, als dies irgendjemand erwarten konnte. Und den Turnaround haben wir aus eigener Kraft vor der Partnerschaft mit Luxshare erreicht. 2024 hatten wir operativ ein knapp dreistelliges positives EBIT-Ergebnis, allerdings ohne Berücksichtigung unserer Restrukturierungsaufwendungen.
Trotz dieser Kosten sind wir zwar immer noch EBIT-positiv geblieben, aber das tatsächlich ausgewiesene EBIT lag dann nur noch im unteren zweistelligen Millionen-Euro-Bereich. Beim Nettogewinn blieben wir 2024 durch die Restrukturierungsaufwendungen weiter negativ, aber dennoch leicht besser als von uns erwartet.
2025 werden wir im ersten Halbjahr ein positives EBIT im leicht dreistelligen Millionen-Euro-Bereich ausweisen. Darin sind bereits weitere Restrukturierungskosten im niedrigen zweistelligen Millionen-Bereich enthalten. Für dieses Ergebnis bin ich der weltweiten Mannschaft zu großem Dank verpflichtet.
Der wird trotz Restrukturierungsaufwendungen im ersten Halbjahr positiv ausfallen. Ein solches Ergebnis hat Leoni das letzte Mal Mitte des vergangenen Jahrzehnts gesehen. Das ist für mich der wahre Turnaround und darüber bin ich sehr glücklich. Auf diesem Erfolg können wir jetzt mit den Kollegen von Luxshare gemeinsam aufsetzen.
Für das zweite Halbjahr sehe ich daher keinen Grund, warum wir uns gegenüber dem ersten Halbjahr verschlechtern sollten. Aber natürlich haben wir beim Nettoergebnis ein höheres Endziel, das wir in den nächsten drei Jahren durch die Synergien in der Zusammenarbeit mit unserem Partner erreichen wollen. Immer unter der Voraussetzung, dass der Markt nicht völlig gegen uns arbeitet.
Nein. In Summe haben wir seit 2022 weltweit fünf Standorte geschlossen und bereits mit Verlagerungen begonnen. Parallel dazu haben wir in Nordafrika Kapazitäten aufgebaut.
Im marokkanischen Agadir ist ein komplett neuer Standort entstanden und in Tunesien und Ägypten haben wir unsere Kapazitäten erweitert. Dies werden wir weiter vorantreiben.
Die leider notwendig gewordene Schließung eines serbischen Standortes mit 2000 Beschäftigten haben wir erst kürzlich verlautbart. Alle weiteren Werke in Osteuropa haben die Chance zu beweisen, dass sie auch in Zukunft noch wettbewerbsfähig anbieten können. Entsprechende Anstrengungen sind allerorts zu beobachten und zeigen bereits erste Erfolge.
Ja, wenn auch nicht dramatisch. Das trifft die Fahrzeughersteller und macht auch vor den Zulieferern nicht halt. Speziell in Europa ist das Thema virulent. Der gesamte Markt wird in Europa in Zukunft kein nennenswertes Produktionswachstum mehr sehen. Nach Einschätzungen des Datendienstes IHS wird das europäische Produktionsvolumen bis zum Jahr 2030 gerade einmal auf 20 von derzeit 19 Millionen steigen.
Die Höchststände aus der Vor-Corona-Zeit werden gar nicht mehr erreicht werden. Das ist ernüchternd, stellt aber wohl die Zukunft dar, auf die wir uns alle einstellen müssen. Zudem glaube ich, dass sich das Produktionsvolumen im Europa des Jahres 2030 anders zusammensetzen wird als heute.
Bordnetze: Leoni will sich vom Systemspezialisten zum vollintegrierten Systemlieferanten entwickeln.
Zu Lasten der europäischen Fahrzeughersteller wird es einen veritablen Anteil chinesischer OEMs geben, die hier auch Produktionskapazitäten aufbauen. Um so wichtiger ist es für uns Zulieferer, rechtzeitig auch mit diesen chinesischen Herstellern Geschäftsbeziehungen aufzubauen.
Und diese sollten so tragfähig sein, dass die chinesischen OEMs bereit sind, sich von uns in Europa beliefern zu lassen. Das ist die allerbeste Chance, um unsere europäischen Kapazitäten auch künftig auszulasten.
Bis die kartellrechtlichen Genehmigungen vorlagen, durften wir nur sehr eingeschränkt zusammenarbeiten. Bis dahin wurden wir rechtlich als Wettbewerber gesehen. Es gab zwar Arbeitsgruppen, aber ein intensiver Datenaustausch war nicht möglich. Das geht jetzt erst richtig los. Ich bin froh über die Potenziale, die wir bereits sehen und nun umsetzen werden.
Das ist schön für uns, aber die Potenziale gehen weit über das hinaus. Wir sind heute als einer der Best-in-Class-Systemspezialisten und -Systementwickler anerkannt. Zudem sind wir bekannt für unsere Qualität, unser Können und unser Prozess-Know-how, wenn es um die Assemblierung, also die Herstellung des Endproduktes geht.
Alles andere, abgesehen vom Kabel selbst, müssen wir zu hohen Preisen zukaufen. Bislang war es so, dass der Kunde uns gesagt hat, was er gerne hätte, und wir haben geliefert. Weil wir jetzt mit Luxshare im Verbund agieren, und Luxshare in vielen Bereichen bereits Stecker anbieten kann, werden wir vom Systemspezialisten zum vollintegrierten Systemlieferanten.
Und das ist ein großer Unterschied. Dadurch treten wir mit den Kunden viel früher in Kontakt und dürfen häufiger bereits mit in die Architektur der Fahrzeuge eingreifen. Ich sehe Leoni gemeinsam mit Luxshare als Mitgestalter der zukünftigen Bordnetzarchitektur. Unsere wesentlichen Kunden begrüßen unsere Zusammenarbeit sehr und sind schon sehr neugierig darauf, was wir künftig als Paketlösungen anbieten werden.
Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen, weil das Anforderungsprofil eines chinesischen Automobilherstellers in puncto technischer Spezifikationen etwas geringer ausfällt als bei einem westlichen Fahrzeughersteller, obwohl die besten chinesischen OEMs mittlerweile in puncto Qualität auf westlichem Niveau liegen.
Luxshare hat bislang hauptsächlich die chinesische Automobilindustrie auf Basis dieses etwas niedrigen technischen Levels beliefert. Der deutschen Ingenieurskunst reicht das aber in einigen Bereichen nicht ganz. Um diese zusätzlich geforderten Validierungsspezifikationen durchgängig schnellstmöglich anbieten zu können, werden wir Luxshare intensiv mit unserer Systemkompetenz unterstützen.
Neben unserem komplementären Kundenportfolio ergänzen wir uns auch mit unserer Werkelandschaft. In China verfügt Leoni über vier Bordnetz-Werke im Norden, Luxshare über 14 im Süden. Zudem bedienen Luxshare und wir unterschiedliche Fahrzeugsegmente. Gemeinsam können wir die chinesischen Kunden wesentlich besser abdecken.
Dennoch, und das ist wichtig, bleiben wir rechtlich und organisatorisch zwei unabhängige Einheiten. Wenn es sinnvoll ist, werden wir aber beim Kunden gemeinsam auftreten und können uns wechselseitig Produktionskapazitäten zur Verfügung stellen. Wir versprechen uns dank Luxshare auch einen schnelleren und besseren Zugang zu chinesischen Herstellern im Süden des Landes.
Inklusive eines Joint Ventures setzten wir dort rund 700 Millionen Euro um. Aufgrund der momentan extrem disruptiven Entwicklung in China traue ich mir keine konkrete Umsatzprognose zu. Ich gehe aber natürlich von einem Wachstumsplan aus.
Was allerdings derzeit in China auf uns zukommt, als Folge von aufgebauten Überkapazitäten aufgrund massiver staatlicher Förderung chinesischer Unternehmen und der daraus nun resultierenden Notwendigkeit der Bereinigung, habe ich in der Form und Schärfe noch kaum einmal erlebt.
Es herrscht eine große Unsicherheit, weil die Wachstumsraten des Marktes nicht so groß sind, wie ursprünglich angenommen. Niemand weiß, wie sich der Preiskampf entwickelt. Seit kurzem werden teilweise Preise verlangt, die nicht einmal die variablen Kosten gesichert decken. Als Zulieferer muss ich mir überlegen, will ich in den nächsten zwei oder drei Jahren Aufträge annehmen, mit denen ich möglicherweise geplante Verluste schreibe, um in fünf Jahren vielleicht das doppelte Umsatzvolumen zu haben.
Oder schließe ich nur halbwegs vernünftige Aufträge ab, um dann durchzustarten, wenn die Hälfte der – meist neuen, chinesischen – Wettbewerber die notwendige Marktbereinigung nicht überlebt haben. Das ist die strategische Fragestellung, die wir beantworten müssen und die ich für uns noch nicht final beantwortet habe. Fest steht, dass es in den nächsten Jahren ein brutales Geschäft wird.
Noch ein zusätzliches Synergiepotential, auf welches wir setzen werden: Luxshare kommt aus der Consumerelektronik, kennt sich mit der Massenproduktion aus und hat große Kompetenzen in der Automation. Wir hoffen, dass wir gerade auch in diesem Bereich dank Luxshare noch große Fortschritte erzielen. Und es wird immer wichtiger, dass wir künftig im Bordnetzbereich stärker automatisieren, denn das Geschäftsmodell einer Verlagerung in Länder mit immer geringeren Lohnkosten ist endlich.