Brennstoffzelle: Warum die kommenden Monate entscheidend sind

Nicholas Loughlan zeigt auf ein Bild. Der Chef von Cellcentric, dem Gemeinschaftsunternehmen für Brennstoffzellen von Daimler Truck und Volvo, hat eine Satellitenaufnahme des Rasthofs Denkendorf an der A 8 südlich von Stuttgart an die Wand geworfen.

An einem normalen Mittag oder Abend sammeln sich dort teils bis zu 150 Schwerlast-Lkw, die aus den Fabriken der Autobauer oder Zulieferer kommen und dort Pause machen.

Im Ausbauplan des Bundes sind hier 15 Megawatt-Ladesäulen für batterieelektrische Trucks vorgesehen, die bis zum Jahr 2035 installiert sein sollen. Der Strombedarf aller Säulen entspricht dabei dem von 30.000 Vierpersonen-Haushalten. "Diese Fahrzeuge alle rechtzeitig wieder aufzuladen, wird sehr schwer zu realisieren sein", sagt Loughlan.

Der Plan der Europäischen Union ist klar: Im Rahmen des Green Deal müssen die Flotten ab 2025 den CO2-Ausstoß im Vergleich zum Jahr 2019 um 15 Prozent reduzieren, dies gilt auch für die Folgejahre. Ab 2030 fordert die Europäische Union eine Reduzierung von 45 Prozent des CO2-Ausstoßes der Neuwagenflotte.

Die erste Phase bis Ende des Jahrzehnts wird mit rein batterieelektrischen Fahrzeugen etwa für den Verteilerverkehr abgebildet werden, weil diese keine flächendeckende Infrastruktur benötigen und im Depot laden können.

Die Brennstoffzelle bleibt bis dahin eine Nische. Doch das dürfte sich mit der Verschärfung der Ziele ändern. Dann muss auch der Schwerlastverkehr auf der Fernstrecke dekarbonisiert werden, der heute noch vom Diesel dominiert wird.

Während ein batterieelektrischer Lkw selbst bei einer Ladeleistung von einem Megawatt eine halbe Stunde für das Laden benötigt, sind es an einer Wasserstoff-Tankstelle nur rund zehn Minuten.

Und da die Reichweite eines Brennstoffzellen-Lkw mit voller Nutzlast schon heute bei über 1000 Kilometer liegt, sind deutlich weniger Tankvorgänge notwendig. Hinzu kommt, dass der Netzausbau und der benötigte Energietransport für das Megawatt-Charging im europäischen Maßstab sehr viel Geld verschlingen würde.

"Tatsächlich ist es viel, viel günstiger, eine zweite Infrastruktur für Wasserstoff aufzubauen", so Loughlan. Dafür reichen seiner Ansicht nach die Hauptverkehrsachsen für den Fernverkehr in Europa.

Für ihn steht deshalb fest, dass es trotz der aktuellen Verzögerungen ohne Wasserstoff und Brennstoffzelle nicht gehen wird. Erprobungsfahrzeuge des GenH2-Trucks von Daimler mit dem aktuellen Stack von Cellcentric sind längst bei Kunden wie Amazon im Einsatz und haben sich bewährt.

Doch damit die Technologie Anfang der 30er Jahre in Europa auch wirklich flächendeckend zur Verfügung steht, braucht es mehr. "Wir müssen in den nächsten 12 bis 18 Monaten entscheiden, wie und in welcher Form die Infrastruktur aussehen und entstehen soll", sagt Loughlan.

Mit neuen Technologien sei es möglich, einen Standard für Lkw wie Pkw zu etablieren, der deutlich günstiger ist als die bisherigen Lösungen und eine Betankung mit gasförmigem oder flüssigem Wasserstoff ermöglicht.

Die Zeit drängt. "Europa hat schon die Werkzeuge, den gesetzlichen Rahmen sowie Förderpläne, aber sie müssen jetzt umgesetzt werden“, fordert die Global Hydrogen Mobility Alliance, in der Unternehmen wie Daimler Truck, Volvo, Bosch, Mahle, BMW, Toyota oder Hyundai engagiert sind.

Für Loughlan ist der Handlungsbedarf umso dringender, da Europa in der Technologie derzeit noch führend sei. "Wir befinden uns in einer entscheidenden Phase und müssen aufpassen, dass es uns nicht ähnlich geht wie bei der Batterietechnologie, wo asiatische Player, vor allem aus China, den Markt dominieren."

China habe das Ziel ausgerufen, auch beim Wasserstoff die ganze Wertschöpfungskette zu beherrschen und den Markt weltweit zu dominieren. Dabei könnte eine Wasserstoff-Industrie Hunderttausende Jobs in Europa sichern oder gar neu schaffen.

"Ein Durchbruch der Brennstoffzellentechnologie würde den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobil- und Zulieferindustrie unterstützen", sagt Stefan Dwenger, Chief Commercial Officer von EKPO, dem Brennstoffzellen-Joint Venture der Zulieferer ElringKlinger und Plastic Omnium.

Die technologisch hochwertigen Produkte könnten in ihrer ganzen Breite hergestellt werden, ohne dass eine kritische Abhängigkeit von ausländischem Know-how oder ausländischen Lieferketten bestehe.

Auch andere Zulieferer wie Bosch oder Mahle setzen auf Wasserstoff und investieren viel Geld in die Brennstoffzelle und Komponenten für eine Wasserstoffwirtschaft.

Ein Thema bleibt die Versorgung mit grünem Wasserstoff, der nachhaltig erzeugt wurde. Zwar gibt es zahlreiche Förderprogramme auf EU- und Bundesebene, doch die Produktion läuft nur schleppend an. Immerhin soll Mitte Oktober in Baden-Württemberg die erste kommerzielle Anlage zur Herstellung von grünem Wasserstoff eröffnen.

Der Zehn-Megawatt-Elektrolyseur wird mit Strom aus Windkraft- und Photovoltaikanlagen täglich bis zu vier Tonnen grünen Wasserstoff produzieren und einen Industriepark versorgen.

Aktuell ist jedoch erst etwa ein Prozent der für 2030 angestrebten Elektrolyseleistung installiert. Der Bundesverband Erneuerbarer Energien fordert daher verstärkte Anreize, um schneller voranzukommen. Wahrscheinlich ist, dass der Wasserstoff in der Anfangsphase importiert wird aus Regionen wie dem Nahen Osten, Indien oder China.

So hat Daimler Truck bereits mit einem Energieversorger aus Abu Dhabi eine Absichtserklärung zur Prüfung des Exports von grünem Flüssigwasserstoff nach Europa unterzeichnet. Auch könnten zunächst Anteile von blauem oder grauem Wasserstoff beigemischt werden, bis genügend grüner Wasserstoff zur Verfügung steht.   

Während für den Schwerlastverkehr das Rennen noch offen scheint, dürfte es die Brennstoffzelle im Pkw deutlich schwerer haben, sich gegen die Batterie durchzusetzen. So teilte der Konzern Stellantis vor wenigen Tagen mit, sein Entwicklungsprogramm für die Brennstoffzelle einzustellen.

Die bisher in einer Kleinserie produzierten Fahrzeuge der Marken Opel, Peugeot und Citroën werden nicht skaliert. Ursprünglich sollte in diesem Sommer die Serienfertigung starten – für mittlere Transporter im französischen Hourdain und für größere Transporter im polnischen Gliwice.

Stattdessen will der Konzern die Elektrifizierung von leichten Nutzfahrzeugen nun noch stärker über rein batteriebetriebene Fahrzeuge vorantreiben. "Der Wasserstoffmarkt bleibt ein Nischensegment ohne Aussichten auf mittelfristige wirtschaftliche Nachhaltigkeit“, erklärte Europachef Jean-Philippe Imparato.

Die bereits gebaute Brennstoffzellen-Fabrik des Joint Venture Symbio im französischen Saint-Fons mit einer Jahreskapazität von 16.000 Einheiten steht nun vor einer ungewissen Zukunft.

BMW-Chef Oliver Zipse hält dagegen an seinem Plan fest, ab 2028 in die Serienfertigung mit Brennstoffzelle einzusteigen: "Wasserstoff ist das fehlende Puzzleteil für emissionsfreie Mobilität, denn eine einzige Technologie wird nicht ausreichen, um klimaneutrale Mobilität weltweit zu ermöglichen."

Die Münchner planen mit vierstelligen Stückzahlen eines Brennstoffzellen-SUVs vornehmlich für den amerikanischen Markt. Schon jetzt sind rund 150 SUVs vom iX5 Hydrogen im Testeinsatz, um weitere Erfahrungen im Alltagsbetrieb zu sammeln. Ob die Nachfrage nach den Serienfahrzeugen dann aber wirklich da ist, muss sich zeigen.

Den Stack hat das Unternehmen zusammen mit Toyota entwickelt. Die Japaner waren zusammen mit Hyundai Vorreiter und haben bereits Serienfahrzeuge wie den Mirai oder den Nexo produziert, aber nur in sehr kleinen Stückzahlen verkaufen können. Trotzdem hat Toyota die Technik nicht aufgegeben und angekündigt, die inzwischen dritte Generation seiner Brennstoffzelle serienreif entwickelt zu haben.

Sie ist aber nicht mehr wie die Vorgänger-Generationen primär für den Pkw-Einsatz gedacht, sondern für den Einsatz in Nutzfahrzeugen. Wichtigstes Entwicklungsziel sei es gewesen, die gleiche Dauerhaltbarkeit zu erreichen, die ein bewährter Dieselmotor hat, erklärte Toyota.

Auch Cellcentric entwickelt trotz der Verzögerungen bereits die nächste Generation des Brennstoffzellen-Stacks. Dieser verspricht eine höhere Leistung bei weniger Gewicht und kompakteren Ausmaßen. Damit sollen 1500 Kilometer Reichweite machbar sein. Dann hofft Loughlan auch auf eine Skalierung im Industriemaßstab. Die Fabrik dafür ist bereits geplant, das Grundstück in Weilheim südlich von Stuttgart bis 2029 gesichert.

Eigentlich sollte der aktuelle Stack Jahr bereits 2027 in Serie produziert werden, jetzt rechnet Loughlan mit einem Start zum Ende des Jahrzehnts, wenn das "NextGen"-Brennstoffzellen-System zur Verfügung steht. Im sogenannten "Klima-Werk" sollen einmal 800 Menschen arbeiten.

Aktuell werden kleine Stückzahlen noch in einer Pilotfabrik in Esslingen gefertigt. Die Produktion im Industriemaßstab wäre eine große Chance für die derzeit gebeutelte Branche, in der bereits viele Jobs weggefallen sind. "Wir sind bestens vorbereitet und können jederzeit loslegen", sagt Loughlan.