Exklusiv: Warum Audi einen Teil der Q3-Produktion nach Ingolstadt verlagert

Es war eine der zentralen Forderungen der Arbeitnehmerseite bei den Verhandlungen um die Audi-Zukunft: Ein weiteres Verbrenner-Modell soll im Werk Ingolstadt gebaut werden. Angesichts des schleppenden Hochlaufs der Elektromobilität befürchtete der Betriebsrat, das größte Werk der Marke könnte mit der Fokussierung auf rein elektrische Fahrzeuge sehenden Auges auf die nächste Auslastungs-Krise zufahren.

Entsprechend groß war die Erleichterung, als Betriebsrat und Unternehmensführung Mitte März als Teil der Zukunftsvereinbarung verkündeten, dass das Werk Ingolstadt – neben einem weiteren "Elektromodell im Einstiegssegment" – auch ein zusätzliches Verbrenner-Modell zugeschlagen bekommt.

Dazu gab es offiziell die dürre Information, die nächste Generation des Audi Q3 werde "im Verbund mit dem Werk Györ gefertigt". Hinter der harmlosen Formulierung verbirgt sich eine ungewöhnliche Hauruck-Aktion.

Sie lässt erahnen, wie hart im Hintergrund zwischen dem Betriebsrat und der Unternehmensleitung um Lösungen gerungen wurde – und wie sehr der Vorstand letztlich der Arbeitnehmerseite entgegengekommen ist.

Denn die Fertigung im Verbund bedeutet nichts anderes, als dass ein Teil der Q3 Produktion aus dem Werk im ungarischen Györ abgezogen und nach Ingolstadt verlagert wird: "Der Q3 wird parallel in Györ und in Ingolstadt produziert", bestätigt ein Audi-Sprecher auf Anfrage der Automobilwoche. 

Die Vorbereitungen für die Q3-Fertigung in Ingolstadt laufen bereits. Wann die Fertigung dort anläuft, ist noch nicht bekannt. Ebenso wenig weiß man, was das Werk Györ im Gegenzug erhält.

Dass eine solche Entscheidung nur wenige Monate vor dem Marktstart des Fahrzeugs und mitten in der Vorbereitungsphase auf die Einführung der nächsten und letzten Q3-Verbrennergeneration fällt, ist "einigermaßen ungewöhnlich", sagt der Automobilexperte Stefan Bratzel. Aus produktionstechnischen, aber auch aus Kostengründen sei es am effizientesten, eine Modellfamilie dort zu fertigen, wo auch das Basismodell vom Band läuft.

In Györ wird das am Q3 bislang idealtypisch durchexerziert. Gefertigt werden dort Audi Q3, und der Q3 Sportback als Verbrenner sowie als Mild-Hybrid und Plug-in Hybrid.  Abweichungen von dieser Praxis können aber durchaus sinnvoll sein. Etwa, wenn es um die Werksauslastung geht, um Kosten, um die Flexibilisierung des Produktionsnetzes oder eben um unternehmenspolitische Aspekte.

Letzteres dürfte bei der Entscheidung über die künftige Q3-Produktion der ausschlaggebende Faktor sein.

Beispiel Kapazität:  Selbst zum Ende seines Zyklus zählte der aktuelle Q3 im Jahr 2024 mit 215.174 Auslieferungen hinter dem Q5 (297.912 Einheiten) und dem A6 (243.364) Einheiten zu den Top 3 der meistverkauften Audi-Modelle. Und mit der Markteinführung des neuen Q3 im zweiten Halbjahr 2025 dürften die Absatzzahlen des Kompakt-SUV auch wieder deutlich anziehen.

Aus Kapazitätsgründen gibt es dennoch keine Veranlassung, die Fertigung zu splitten. Die Auslastung des Werks Györ ist 2024 um 8,1 Prozentpunkte auf 161.985 Einheiten zurückgegangen und liegt damit etwa bei 60 Prozent der Auslastung.

Selbst wenn der neue Q3 am Markt richtig durchstartet, dürfte das Werk nicht an seine Kapazitätsgrenzen von mehr als 300.000 Einheiten stoßen.

Auch der Aspekt, sich durch den Produktions-Split des wichtigen Modells breiter und damit flexibler aufzustellen, zieht nicht. Beide Werke liegen in der EU, wodurch eine Verlagerung keinerlei Vorteil bringt, etwa in der hitzigen Debatte um Zölle. 

Von den politischen Kapriolen Victor Orbans haben sich die deutsche Automobilindustrie und auch Audi bislang nicht beeindrucken lassen. Mercedes und Audi betreiben große Werke in Ungarn, aktuell fährt BMW im neuen Werk in Debrecen die Fertigung des ersten Modells der Neuen Klasse hoch.

Im Falle Audi liegt der Fall einfacher. Aus Unternehmenskreisen ist zu hören, dass CEO Gernot Döllner sehr viel daran gelegen war, den Konflikt mit dem einflussreichen Audi-Betriebsrat noch vor der Bilanz-Pressekonferenz am 18. März zu lösen. Er wollte nicht durch einen Dauerstreit sein übergeordnetes Ziel gefährden: den Umbau der Audi-Organisation.

Dafür nimmt Audi erheblichen Zusatzaufwand auf sich: Die Fertigung für den Q3 muss in Ingolstadt eingerüstet werden, die Arbeitskosten in Deutschland sind höher als in Ungarn, ebenso die Energiekosten.

Technisch relativ unproblematisch ist dagegen die Vorbereitung auf die Fertigung des Q3, der auf der MB-evo-Plattform produziert wird. Die Audi-Produktion ist in einem hohen Maße auf Flexibilität ausgelegt. Da mit dem A3 ein ähnlich dimensioniertes Fahrzeug bereits in Ingolstadt gefertigt wird, dürfte die Vorbereitung auf den Q3 nicht viel länger als vier bis fünf Monate in Anspruch nehmen.

Den Mehraufwand nimmt Audi offenbar gerne in Kauf, um Ruhe an den größten Standort mit 40.000 Mitarbeitern zu bringen. Dort hatte es rumort, nachdem die Produktionszahl im Jahr 2024 um 16,1 % auf unter 337.000 Einheiten abgerutscht war. 

Bereits im Vorfeld der Sondierungen Ende des vergangenen Jahres und später während den Verhandlungen um die Audi-Zukunft hatten Gerüchte die Runde gemacht, dass auch in der Produktion ein umfangreiche Jobabbau geplant sei.

Diese Sorge ist nun vom Tisch. Nach der Verkündung, dass der Q3 als weiteres Verbrenner-Modell nach Ingolstadt kommt, herrscht hörbar Aufatmen in den Werksfluren. Und wohl auch in der Vorstandsetage: Es war "die schnellste und einfachste Lösung, einen Teil der Q3-Produktion nach Ingolstadt zu holen", beantwortet ein Audi-Mann die Frage nach den Gründen kurz und knapp.