Mercedes vs. BMW: Elektro-Strategie geht in die entscheidende Phase

Die deutschen Premiumhersteller BMW und Mercedes hatten beide ihre eigenen Antworten, als Elektropionier Tesla den Platzhirschen in den USA wie in Europa plötzlich Marktanteile streitig zu machen drohte.

BMW reagierte frühzeitig und brachte mit dem i3 im Jahr 2013 ein völlig neu entwickeltes Auto auf den Markt. Es war nicht nur speziell für den Elektroantrieb konzipiert, auch das Design hob sich deutlich von der klassischen BMW-Linie ab. Ein praktisches Fahrzeug für Öko-Avantgardisten sollte es sein, mit federleichter Karbon-Karosserie und recycelten Materialien im Innenraum. 

Mercedes dagegen fremdelte unter Ex-Konzernchef Dieter Zetsche mit dem E-Antrieb, schickte zunächst lediglich den Kleinstwagen Smart elektrisch ins Rennen und brachte eine mit Tesla-Hilfe umgemodelte B-Klasse, die aber floppte.

2016 präsentierte Mercedes auf dem Pariser Autosalon den EQC, für damalige Verhältnisse futuristisch gezeichnet, aber letztlich auch nur ein abgewandeltes Verbrennermodell. Immerhin versprach Mercedes eine neue Produktfamilie mit dem Beinamen EQ und eine eigene Plattform, die den Weg in die emissionsfreie Zukunft ebnen sollte. 2019 kam der EQC auf den Markt.

Der i3 war erfolgreicher, was den Absatz angeht. In zehn Jahren wurden 250.000 Einheiten in 74 Ländern verkauft, bevor die Produktion im Sommer 2022 eingestellt wurde.

Doch finanziell war das Elektro-Experiment ein Desaster, da die Karbon-Karosserie teuer und die Produktion komplex war. In Summe dürfte BMW einen Milliardenbetrag draufgelegt haben.

Mercedes dagegen fertigte den EQC in Bremen auf der gleichen Linie wie den GLC und konnte auf die schnell wieder sinkende Nachfrage mit einem Hochfahren der Verbrenner-Produktion reagieren.

Interessant ist, dass beide Hersteller aus dieser Phase unterschiedliche Lehren zogen: Zwar legte BMW mit dem iX im Jahr 2021 nach und brachte ein großes E-Auto im beliebten SUV-Segment an den Start. Doch BMW-Chef Oliver Zipse wurde fortan nicht müde, die Technologieoffenheit zu propagieren.

So sollte der Kunde in jedem Segment zwischen einem Verbrenner, einem Plug-in-Hybrid und einem reinen Elektroantrieb auswählen können. Während der iX mit seinem hohen Preis auf mäßige Nachfrage stieß, konnte der i4 mit seiner sportlichen Auslegung mehr Kunden begeistern. Zumindest festigte BMW so seinen Ruf, in Sachen Elektromobilität deutlich entschlossener zu agieren als die Konkurrenz aus Stuttgart.

Während BMW nach dem teuren Experiment mit dem i3 einen Schwenk vollzog und vorsichtiger agierte, gingen die Schwaben in der zweiten Phase voll auf Elektrokurs.

So propagierte Konzernchef Ola Källenius seinen "Electric Only"-Ansatz, wonach bereits im Jahr 2030 im Prinzip alle Neuwagen mit einem rein elektrischen Antrieb verkauft werden sollten.

Freilich ließ er sich mit der Beschränkung "wo die Marktbedingungen dies zulassen" schon zu diesem Zeitpunkt eine Hintertür offen, falls die Prognosen nicht wie erwartet eintreten würden.

Mit der EVAII-Plattform sollten konstruktionsbedingte Beschränkungen wie bei einem EQC wegfallen und Mercedes endlich mit den Topmodellen von Tesla gleichziehen.

So schaffte das aerodynamisch im One-Bow-Design gezeichnete Elektroflaggschiff EQS zwar bei Marktstart 2021 bis zu 770 Kilometer Reichweite nach WLTP.

Doch die eher konservative Mercedes-Kundschaft ging den Wechsel nicht mit, was auch am hohen Preis von mindestens 110.000 Euro gelegen haben dürfte.

Im Vergleich kommt die herkömmliche S-Klasse zwar traditioneller, aber eben auch deutlich luxuriöser daher als die Elektro-Flunder. Außerdem genügte das Platzangebot im Fond beim EQS nicht den Ansprüchen betuchter chinesischer Kunden, für die das Auto vorgesehen war.

Wie der EQS konnten auch der nachfolgende EQE sowie die jeweiligen SUV-Ableger den Elektroanteil nicht wesentlich nach oben treiben. Deutlich erfolgreicher sind bis heute die Kompaktfahrzeuge wie EQA und EQB. Sie beruhen zwar noch auf alten Plattformen, sind aber günstiger und bieten trotzdem alltagstaugliche Reichweiten von rund 400 Kilometern.

Zwar konnte Mercedes ohne Smart den Absatz rein elektrischer Fahrzeuge im Jahr 2023 auf 240.600 Einheiten steigern und erreichte in diesem Jahr mit knapp zwölf Prozent den vorläufigen Höhepunkt. Geplant waren jedoch 20 Prozent – und seither ging es wieder bergab.

Ohne die Tochter Mini und mit einem deutlich breiteren Angebot erreichten die Münchner im gleichen Jahr einen Absatz von 330.569 E-Autos, was einem Anteil von knapp 15 Prozent entspricht. 2024 konnten sie nochmals zulegen auf 368.523 BEV und liegen nach dem ersten Halbjahr 2025 bei über 18 Prozent.

Angesichts des schleppenden Absatzes kassierte Källenius im Frühjahr 2024 seine Elektrostrategie. Seitdem setzt er wie Zipse wieder stärker auf Technologieoffenheit und streckte die Laufzeiten für sämtliche Verbrenner-Modelle. Ausdruck der nun wieder konservativeren Strategie ist die neue MMA-Plattform für Kompaktfahrzeuge.

Die wurde zwar dezidiert für einen Elektroantrieb konzipiert, kann aber auch noch einen Verbrenner aufnehmen. So bleibt Mercedes in diesem Segment mit dem bereits vorgestellten CLA und CLA Shooting Brake sowie den geplanten SUVs GLA und GLB flexibel und kann auf unterschiedliche Marktbedingungen reagieren. Produziert wird weiter auf einer Linie, was die Investitionen in das Produktionsnetzwerk in Grenzen hält.

Richtig spannend wird der Zweikampf nun mit der nächsten und entscheidenden Phase, die auf der IAA in München eingeläutet wird: Dann stellt BMW das erste Modell seiner Neuen Klasse vor, die nicht nur für eine neue Generation an Elektrofahrzeugen steht, sondern die Architektur für alle ab 2026 neu kommenden Modelle bildet.

Wie schon beim i3 geht BMW ein hohes Risiko ein und tätigt die höchste Investition in seiner Geschichte nicht nur in die Technologie, sondern auch in das Produktionsnetzwerk.

So wurde im ungarischen Debrecen ein komplettes Werk nur für die Neue Klasse aus dem Boden gestampft, das erste Werk für rein elektrische Fahrzeuge des Unternehmens.

Der wohl symbolträchtigste Akt für den Start der Neuen Klasse vollzieht sich im Stammwerk München, das bei laufendem Betrieb zur Produktionsstätte rein elektrischer Fahrzeuge umgebaut wird. Dort, in der Produktionsheimat des Dreier-BMWs, soll Mitte nächsten Jahres die Produktion des rein elektrischen Dreiers starten.

Regelmäßig spricht Zipse im Zusammenhang mit der Neuen Klasse vom wichtigsten Zukunftsprojekt der Unternehmensgeschichte, das die Benchmark in der Industrie setzen soll.

Den Auftakt macht ein SUV, das den bisherigen iX3 ablösen soll und ähnliche Abmessungen hat. Mit 800 Kilometer Reichweite und 400 Kilowatt Ladeleistung sortiert sich das Fahrzeug weit oben in der Elektrohierarchie ein. Dabei setzt BMW außen wie innen auf ein puristisches Design.

Anders als Mercedes verzichten die Münchner beispielsweise auf einen raumfüllenden Bildschirm im Cockpit. Stattdessen setzt BMW auf den Panoramic i-Drive, eine Art digitales Infoband unterhalb der Windschutzscheibe, in dem individuell auf die wichtigsten Funktionen zugegriffen werden kann.

Das Bedienkonzept ist ganz auf Sprache ausgerichtet, es gibt aber für wichtige Funktionen im Lenkrad noch Druckknöpfe mit haptischer Rückmeldung. Den ursprünglichen Gedanken, auf diese ganz zu verzichten, hat man fallen lassen.

In Stuttgart ist die Nervosität groß, ob dieses Konzept aufgeht, da man selbst einen eher konservativeren Weg gewählt hat. Mercedes stellt mit dem GLC das erste Fahrzeug auf der neuen Plattform MB.EA vor und tritt damit im gleichen Segment an wie der iX3. Doch beim Design geht Mercedes im Vergleich zum EQS und EQE einen Schritt zurück. 

Statt gesichtsloser schwarzer Front wird der ikonische Kühlergrill aus den 70er und 80er Jahren neu interpretiert und optional mit 942 Lichtpunkten illuminiert.

Er soll das Auto in der Masse der Elektroautos sofort identifizierbar machen. Auch sonst ist im Innenraum alles auf gediegenen Luxus statt Minimalismus im Stil von BMW ausgerichtet.

Der riesige Bildschirm wird sich wie schon im CLA über die gesamte Front ziehen und soll vor allem chinesische Kunden überzeugen. Auch der GLC soll annähernd 800 Kilometer Reichweite haben und innerhalb von 15 Minuten 400 Kilometer Reichweite nachladen können.

Gemeinsam ist beiden Herstellern, dass die neuen Elektroplattformen als Design- und Technologiebaukasten auch für kommende Verbrenner herhalten. So hat Mercedes bereits das EQ aus dem Namen gestrichen und spricht vom GLC mit EQ-Technologie.

Das neue Betriebssystem MB.OS soll ebenso schnell wie das Lichtdesign in Sternoptik oder die neueste Bildschirmgeneration auch in bestehende Modelle übertragen werden. Den Auftakt macht das Facelift für die S-Klasse, das besonders umfangreich ausfallen dürfte. 

Auch bei BMW gibt die Neue Klasse den Takt vor für alle weiteren Modelle, die in den nächsten Jahren kommen sollen. So basieren die Nachfolger von i5 oder i7 zwar weiter auf der Verbrennerplattform. Sie erhalten aber laut Zipse alle wichtigen Elemente aus der Neuen Klasse.

Dazu zählen etwa die Hochleistungssteuereinheit "Heart of Joy", die neuesten Fahrassistenzsysteme, ein effizienteres Thermomanagement oder nachhaltigere Materialien. Zipse sieht darin eine "umfassende Neuausrichtung der Marke".

Wie Mercedes plant BMW in den kommenden Jahren die größte Modelloffensive der Geschichte. Bei Mercedes sind es über 20 neue Modelle, die bis 2027 zu den Kunden kommen sollen, bei BMW ähnlich viele.

Zipse und Källenius rechnen beide damit, dass der Anteil der Elektroautos im Jahr 2030 bei ungefähr 50 Prozent liegen könnte, Plug-In-Hybride sind dabei mit eingerechnet. Damit ist auch die Modellstrategie für die nächsten Jahre zementiert, größere Korrekturen wird es nicht mehr geben.

Entscheidend wird dabei auch sein, welches Konzept größeren Anklang in China findet. Die Reaktionen des Publikums auf der IAA Mobility in München ab 8. September dürften einen ersten Hinweis darauf geben, welcher der beiden Premiumhersteller in den kommenden Jahren die Nase vorn haben wird.