Extra-Boni und mehr freie Tage: Unter anderem bei Mercedes und Volkswagen werden IG-Metall-Mitglieder per Haustarif besser gestellt. Experten sehen einen Trend.
Die IG Metall setzt in Tarifverhandlungen auf Warnstreiks. Das kommt bei Arbeitgebern nicht gut an.
Die jüngst abgeschlossenen Tarifeinigungen in der Automobilbranche waren bemerkenswert: Dabei ging es nicht nur um Geld und Arbeitszeiten, sondern auch um bessere Bedingungen für Gewerkschaftsmitglieder.
So konnte die IG Metall in den Haustarifverträgen bei Mercedes und Volkswagen zusätzliche freie Tage und Sonderzahlungen für Gewerkschaftsmitglieder durchsetzen. Auch beim Sitzhersteller Sitech Brose, an dem VW beteiligt ist, sollen Gewerkschaftsmitglieder bevorzugt behandelt werden.
"Derzeit zeigt sich ein klarer Trend, dass Gewerkschaften Sonderkonditionen für ihre Mitglieder in den mit Arbeitgebern geschlossenen Verträgen verankern, vor allem in Haustarifverträgen", sagt Hagen Lesch, Leiter Themencluster Arbeitswelt und Tarifpolitik am IW Köln. "In der Chemie-Branche fand dies erstmals Eingang in einen Flächentarifvertrag, in der Metallindustrie ist es in der Fläche nicht geregelt."
Das Thema birgt Sprengstoff. Vor allem zwischen den beiden Tarifparteien: Was die Gewerkschaften jubeln lässt, sorgt für Ärger bei den Arbeitgebern. Als die Gewerkschaften das Thema bei den Tarifverhandlungen im vergangenen Jahr einbrachten, lief Südwestmetall Sturm.
"Für den Flächentarifvertrag in der Metall- und Elektroindustrie lehnen wir jedweden Gewerkschaftsbonus kategorisch ab", sagt ein Sprecher von Gesamtmetall. Man wisse von Haustarifen und Vereinbarungen, in denen solche Boni wirtschaftlich Sinn ergeben würden.
"In diesen Fällen übersteigen die Vorteile für das jeweilige Unternehmen im Ganzen oft die Vorteile, die dann ausschließlich Gewerkschaftsmitgliedern zugutekommen."
In den Fokus rückten die Sonderbehandlungen von Gewerkschaftsmitgliedern durch die Haustarifverträge von Mercedes im März 2025 (ein zusätzlicher freier Tag) und von Volkswagen im Dezember 2024.
Bei Volkswagen entfällt das bisher gezahlte erhöhte Urlaubsentgelt in Höhe von rund 1290 Euro, dafür erhalten IG-Metall-Mitglieder im Jahr 2027 Bonuszahlungen. Zunächst erhalten sie 254 Euro, zwölf Monate später 508 Euro. Ab 2030 beträgt der Mitgliederbonus dann tarifdynamisch 1271 Euro.
Bei der IG Metall ist man mit der Entwicklung zufrieden. Gewerkschaftsmitglieder würden eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe erfüllen und sollten "für ihr persönliches Engagement auch die entsprechende Wertschätzung erhalten", so eine IG-Metall-Sprecherin.
Laut der Gewerkschaft variieren die aktuellen betrieblichen Regelungen in fast 290 Betrieben der Metall- und Elektroindustrie von Freizeit bis zu mehr Geld. Es gibt beispielsweise Vereinbarungen über zusätzliche Abfindungen für IG-Metall-Mitglieder, höhere oder zusätzliche Einmal- bzw. Sonderzahlungen, zusätzliche freie T-ZUG-Tage (Tarifvertrag über ein tarifliches Zusatzgeld) oder monatliche Gutscheine fürs Tanken und den Lebensmitteleinkauf.
Doch die Zwei-Klassen-Gesellschaft führt auch zu Spannungen – nicht nur mit den Arbeitgebern, sondern auch mit anderen Gewerkschaften. Die Christliche Gewerkschaft Metall (CGM) steht den Vorteilen der IG-Metaller kritisch gegenüber, da sie befürchtet, zu den Verlierern zu gehören.
Aus Sicht von Sebastian Scheder, Bundesvorsitzender der CGM, sind die Regelungen "ein fatales Zeichen beim Thema gewerkschaftliche Gleichbehandlung" und sie führen zu einer Spaltung innerhalb des Gewerkschaftswesens. Adäquat wäre es, "Boni an alle im Betrieb vertretenen Gewerkschaftsmitglieder auszuzahlen".
Auch an anderer Stelle drohen Spannungen: "Es kann zu Unzufriedenheit in der Belegschaft führen, wenn ein Unternehmen seine Mitarbeiter unterschiedlich behandelt", so Lesch.
"Dazu gibt es bislang aber noch keine Befragung, insofern wissen wir es nicht." Zudem sei unklar, ob die Unternehmen den Bonus für Gewerkschaftsmitgliedern nicht doch allen Mitarbeitern anbieten – so wie sie auch nicht organisierten Mitarbeitern den Tariflohn zahlen.
Dies scheint zumindest in der Chemiebranche nicht der Fall zu sein. Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) konnte im vergangenen Jahr als erste Gewerkschaft Mitgliedervorteile im Flächentarifvertrag verankern. Das betrifft knapp 300 Tarifverträge mit mehr als 300.000 Mitgliedern. Dazu gehören auch diverse Automobilzulieferer, beispielsweise aus der Reifenbranche.
"Vorteile für Mitglieder kommen gut an", sagt IGBCE-Tarifvorstand und Verhandlungsführer Oliver Heinrich. In den Monaten nach dem Chemie-Tarifabschluss im Juni 2024 stiegen Mitgliederzahlen deutlich. Heinrich: "Dadurch gab es im vergangenen Jahr einen Rekord bei den Zugängen von Neumitgliedern: 35.000 Beschäftigte sind der IGBCE beigetreten, das war ein Anstieg um elf Prozent zum Vorjahr."
Das würde die IG Metall auch gerne erreichen. Doch die Situation ist eine andere. "Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Chemie haben eine Sozialpartnerschaft. Sie kommen zu ähnlichen Abschlüssen wie in der Metallbranche – allein durch normales Verhandeln", so Lesch.
Beide Seiten haben sozusagen ein Tauschgeschäft: Die Gewerkschaft verzichtet auf Warnstreiks und erhält dafür den Mitgliederbonus. Lesch ergänzt: "Die IG Metall übt dagegen regelmäßig mit Warnstreiks Druck aus. Das dient auch der Mitgliedergewinnung." Solange sich die Gewerkschaft bei Warnstreiks nicht zurückhalte, sehe er keinen Anlass, warum die Arbeitgeber einem Gewerkschaftsbonus zustimmen sollten.
