Crashtest: Highspeed-Röntgen bringt neue Erkenntnisse

Fahrzeuge immer sicherer zu machen, ist eines der obersten Ziele der Auto-Entwickler. Auf dem Weg zur Vision Zero, also dem Ziel, die Zahl der Verkehrstoten und Schwerstverletzten auf null zu reduzieren, rückt die Unfallvermeidung immer mehr in den Fokus. Aber auch an der passiven Sicherheit wird weiter geforscht.

Ein Schlüssel zu noch mehr Erfolg soll die Highspeed-Röntgentechnik vom "Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI" sein. Damit lassen sich deutlich detailliertere Erkenntnisse aus Crashtests ziehen, denn: Bislang ist der Blick ins Innere unmöglich. Klassische Hochgeschwindigkeitskameras sehen nur, was die Karosserie zulässt. Airbag-Vorhänge, Türverkleidungen oder Abdeckungen versperren häufig die Sicht auf entscheidende Details.

"Nachträgliche Analysen helfen nur bedingt – Bauteile entspannen sich direkt nach dem Crash wieder oder können beim Transport von der Crashbahn verändert, werden" erklärt Malte Kurfiß, Leiter des Fraunhofer-Crashzentrums. Die Experten arbeiten also bei manchen Fragen nur mit indirekten Hinweisen.

Das Fraunhofer EMI in Freiburg hat eine Anlage entwickelt, die den Röntgenblick im Bruchteil einer Sekunde ermöglicht, das sogenannte X-CC-Verfahren (X-ray-Car Crash). "Wenn Sie beim Arzt geröngt werden, heißt es immer 'bitte stillhalten', das funktioniert aber bei einem Crashtest nicht", so Kurfiß. Also musste das Röntgengerät schneller werden: 1000 Bilder pro Sekunde macht die Anlage der Freiburger.

Die rund zwei Tonnen schwere Röntgenquelle hat die Größe einer Kühltruhe und wurde zusammen mit einem Partner entwickelt. Der Linearbeschleuniger (Linac) mit Ein-kHz-Technologie erzeugt Röntgenstrahlen mit einer Photonenenergie von bis zu neun Megaelektronenvolt (MeV) – etwa das 60-fache der Energie eines medizinischen Röntgengeräts. Nur so lassen sich die tragenden Strukturen im Fahrzeug durchleuchten.

Zusammen mit einem großflächigen Detektor, rund eine Tonne schwer und in der Dimension eines Kühlschranks, in dem vor allem das Know-how des Fraunhofer-Instituts steckt, entsteht ein Super-Röntgengerät, das mitten im Crashprozess das Geschehen im Inneren eines Fahrzeugs sichtbar machen kann.

Forscher können so quasi live verfolgen, wie elastische und plastische Verformungen ablaufen. Strukturen, die nach dem Crash wieder zurückfedern, hinterlassen sonst keine Spuren. Mithilfe von speziellen Markern lassen sich dank der Röntgentechnik sogar Bewegungspfade von nicht sichtbaren Teilen aufzeichnen und nachverfolgen.

Bislang ist das High-Speed-Röntgengerät ein Einzelstück. Das Fraunhofer EMI erforscht seit fast zehn Jahren das Potenzial der Röntgendiagnostik bei Crashtests mit der X-ray-Car-Crash-Technologie, Anfang 2024 gab es im Rahmen einer ersten Technologiedemonstration einen aufgezeichneten Seitenaufprall-Crash mit einer Mercedes C-Klasse.

Mercedes-CTO Markus Schäfer sprach damals von einem "Meilenstein bei den Entwicklungstools der Zukunft". Der Röntgencrash könne mit dem direkten Blick ins verborgene Innere helfen, wichtige Rückschlüsse für die weitere Verbesserung der Fahrzeugsicherheit zu ziehen, so der Chef-Entwickler.

Auf der Dummy-Crashtest-Konferenz haben die Experten jetzt erstmals öffentlich die Entstehung einer solchen Röntgenaufnahme demonstriert. Noch arbeitet das Institut daran, die Anlage zur Serienreife zu bringen.

Dass die Forscher wie beim jüngsten Versuch ein ganzes Auto röntgen, ist allerdings gar nicht die Regel. "Häufig werden einzelnen Komponenten untersucht, gerade im Bereich der Batterieentwicklung", so Kurfiß.

Kommt es beispielsweise zum Akku-Brand, läuft der Thermal Runaway in Batterien extrem schnell und bislang unsichtbar ab. Mit dem hochdynamischen Röntgenverfahren und bewusst herbeigeführten Beschädigungen der Akkus kann nun dokumentiert werden, wie sich Gas bildet, Separatoren reißen oder sich ein Kurzschluss entwickelt. Diese Daten sind Gold wert für Entwickler, die Sicherheitsmechanismen verbessern wollen.

"Wir selbst verbessern die Sicherheit nicht, sondern unterstützen die Industrie darin, mehr Erkenntnisse zu erhalten", betont Kurfiß. Erkenntnisse, die am Ende nicht nur zur Vision Zero beitragen können, sondern auch Zeit und Geld sparen.

Jeder Prototyp, den ein Hersteller bauen muss, ist teuer, jede Iterationsschleife (Wiederholung) verzögert den Serienstart. Mit Röntgenaufnahmen sinkt der Interpretationsaufwand: Abweichungen zwischen Simulation und Realität lassen sich schneller identifizieren.

"Die Röntgenbilder bieten auch die Chance, die Modellqualität der digitalen Prototypen weiter zu erhöhen", erklärte beim C-Klasse-Crash 2024 auch Paul Dick, Direktor Fahrzeugsicherheit bei Mercedes.

"Manchmal stehen die Entwickler vor dem Problem, dass der Endzustand nach dem Crash nicht genau dem entspricht, was vorhergesagt wurde. Herauszufinden, wann im Sekundenbruchteil des Aufpralls etwas 'falsch abgebogen' ist, gleicht oft der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen", so der Experte 

Kurfiß erzählt von einem Kunden, der monatelang nach der Ursache geforscht hat, warum ein Teil im Innenraum sich beim Crashtest gelöst hat. Die Lösung brachte schließlich die Röntgenaufnahme eines erneuten Crashs – und das bereits mit einem einzigen Bild.