Chefwechsel bei Dacia: Ende eines Machtkampfs

Bei Renault können viele nicht fassen, was der Konzern am Montagvormittag kundtat: Das Gesicht und der Gestalter der erfolgreichen Budget-Marke Dacia, Markenchef Denis Le Vot, hat das Unternehmen verlassen. Zu seiner Nachfolgerin bestimmte der neue Renault-Konzernchef François Provost die frühere Smart-Managerin Katrin Adt.

Der Abgang Le Vots ist das Ergebnis eines Machtkampfes und bedeutet eine Zeitenwende für Renaults Budget-Marke – aber auch eine veränderte Organisation im Gesamtkonzern. Dacia scheint einigen Führungskräften im Konzern zu selbstbewusst geworden zu sein. Schon ist die Rede von einer Verschlankung der Organisation, vom Eindampfen etlicher Posten auf der dritten und vierten Führungsebene, die unter Le Vot aufgebaut wurden, um der Marke mehr Eigenständigkeit einzuhauchen. 

Fest steht: Die neue Dacia-Chefin Adt berichtet nicht mehr direkt an den Konzernchef, wie dies unter Le Vot geschah, sondern an Renault-Markenchef Fabrice Cambolive, der seine Befugnisse deutlich ausbauen kann und weitere zentrale Aufgaben erhält.

Cambolive erhält zusätzlich zu seiner Rolle als Renaults Markenchef die neu geschaffene Position des "Chief Growth Officer". Damit steht er organisatorisch ab sofort auch an der Spitze von Dacia. Ziel dieser neuen Funktionsbeschreibung sei es, "einen einheitlichen strategischen Ansatz sicherzustellen und den Umsatz in allen Märkten zu maximieren," erklärte der Konzern dazu.

Die Renault Gruppe könne damit "die Vorteile der Markenidentität und Marktpositionierung jeder Marke voll ausschöpfen" und gleichzeitig ihre markenbasierte Organisation auf Ebene einer nationalen Vertriebsgesellschaft beibehalten.

Mit anderen Worten: Dacia soll im Verkauf weiterhin autonom agieren können, aber bei strategischen Entscheidungen deutlich stärker als bisher koordiniert mit der Marke Renault vorgehen. Eine mit den dahinter stehenden Konflikten vertraute Person sagte der Automobilwoche, die Entscheidung von Le Vot, mit dem neuen und erfolgreichen Bigster erstmals in das C-Segment vorzustoßen, sei im Konzern nicht unumstritten gewesen. Es habe Stimmen gegeben, die vor einem wachsenden Kannibalisierung in diesem ertragsstarken Segment gewarnt hätten. 

Der neue starke Mann neben CEO Provost, Renault-Markenchef Fabrice Cambolive, soll daneben auch auch die internationale Entwicklung der Group leiten. Als wichtigste Zielmärkte nannte Renault dabei am Montag Indien, Lateinamerika und Korea. 

Darüber hinaus soll Cambolive weitere Verantwortung in den Bereichen Finanzdienstleistungen, Kundenerlebnis, Marketing, Händlernetz, Kundendienst und Renault-eigener Einzelhandel übernehmen. Dies deutet darauf hin, dass er operativ große Teile des Konzerns führen soll, während Provost die strategischen und finanziellen Aufgaben im Konzern regeln dürfte.

An diesem Montag, dem Tag der Rückkehr der meisten Franzosen aus ihrem Sommerurlaub, machte der scheidende Dacia-Chef keine Angaben zu den Gründen für sein Ausscheiden. Doch bei Renault kennt jeder die Hintergründe: Bei der jüngsten Entscheidung für die neue Spitzenposition in der Renault-Gruppe war Le Vot Ende Juli leer ausgegangen.

Neuer Konzern-CEO wurde nicht der quirlige und entscheidungsfreudige Bretone Le Vot, sondern ein erfahrener, aber weitgehend unbekannter Konzern-Vorstand: der bisherige Einkaufschef François Provost. In ihm sehen viele in erster Linie einen Finanzexperten und weniger einen Autonarren.

Nach dieser Zurücksetzung sah sich Le Vot offenbar gezwungen, das Unternehmen zu verlassen, so berichten mehrere Renault-Insider im Gespräch mit der Automobilwoche. Seine jetzige Entscheidung komme nicht überraschend, sagte ein Renault-Verantwortlicher in Paris.

Er sei von vielen im Unternehmen als Favorit bei der Suche nach dem Posten des Konzernchefs gesehen worden, nachdem Luca de Meo Mitte Juni überraschend seinen Rücktritt erklärt hatte und zum französischen Luxuskonzern Kering wechselte. "Denis hatte den Rückhalt der meisten Arbeitnehmer in der Gruppe. Die Enttäuschung nach der Wahl des neuen CEO (Provost) war dann bei allen groß", sagte die Person der Automobilwoche.

Le Vot selbst schwieg am Montag zu den Gründen für seinen Rückzug. Auf der Karriereplattform LinkedIn erklärte er lediglich: "Es ist Zeit, mich zu verabschieden. Ich habe mich entschlossen, die Gruppe zu verlassen, um mich persönlichen Projekten zu widmen." Einen neuen Arbeitgeber im Automobilsektor scheint es somit für Le Vot derzeit nicht zu geben.

Le Vot prägte seit Januar 2021 die Marke mit rumänischen Wurzeln wie kein anderer zuvor – und machte sie zu einer festen Größe im europäischen Neuwagengeschäft. Im ersten Halbjahr 2025 kam Dacia in Europa auf 308.957 Pkw-Verkäufe, was eine Steigerung um 1,1 Prozent bedeutet. 2024 hatte das Plus nach mehreren Jahren ständig neuer Rekordverkäufe erneut eine neue Höchstmarke erreicht mit 676.340 verkauften Fahrzeugen, was einem Wachstum von 2,7 Prozent gegenüber 2023 entspricht.

Grund für das etwas geringere Wachstum im zurückliegenden Halbjahr war ein schwächeres Abschneiden des Einstiegsmodells Sandero, der stärker unter der Konsumflaute litt als die höher positionierten Modelle.

Der neue Konzernchef Provost stellte das Ausscheiden von Le Vot am Montag in den Kontext einer größeren organisatorischen Veränderung. "Um sich in einer zunehmend komplexen Welt zurechtzufinden und zukünftige Herausforderungen zu meistern, müssen Unternehmen schneller entscheiden, besser handeln und näher an ihren Kunden sein. Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, einige Veränderungen im Führungsteam der Renault Group vorzunehmen, wobei der Schwerpunkt auf internationalem Wachstum, Wertschöpfung, Innovation und Schnelligkeit, robusten industriellen Abläufen und kontinuierlicher Transformation liegt." 

Details hierzu nannte Provost noch nicht. Bislang war erwartet worden, dass Renault im Herbst einen neuen Langfrist-Plan namens "Futurama" ankündigen würde, der auf den von Luca de Meo ausgerufenen "Renaulution"-Plan folgen sollte. Wegen des CEO-Wechsels sei "Futurama" nun aber verschoben worden und werde überarbeitet, hieß es bei Renault. Voraussichtlich werde er im kommenden Frühjahr veröffentlicht.