BYD verspricht Megawatt-Laden: Wie es geht, was es bringt - die wichtigsten Fragen und Antworten

Mit seiner Ankündigung, das Megawatt-Laden zeitnah im Pkw in Serie zu bringen, hat BYD kürzlich – wieder einmal – für Aufregung gesorgt. Aktuelle Elektroautos laden im besten Fall mit rund 300 Kilowatt Strom, BYD will die Ladeleistung also mehr als verdreifachen. In fünf Minuten soll Strom für 400 Kilometer in den Akku fließen – zumindest theoretisch. Der Praxisbeweis steht noch aus, aktuell gibt es weder die Autos noch die Ladesäulen.  

Das aber soll sich bald ändern: An den Start gehen soll die Technik bereits im April mit der Markteinführung der überarbeiteten Modelle Han L und Tang L. BYD hat gleichzeitig angekündigt, ein Schnellladenetz mit 4000 Ladestationen aufzubauen. Die ersten rund 500 davon sollen rechtzeitig zum Anlauf der neuen Modelle in wenigen Wochen startklar sein.

So spektakulär die Ankündigung ist, so viele Fragen wirft sie jedoch auf. Automobilwoche hat sich mit verschiedenen Experten auf die Suche nach Antworten gemacht.

Ist das Megawatt-Laden eine echte Revolution oder ein Marketing-Trick? 

Vorausgesetzt, die Technik funktioniert – und davon muss und darf man erstmal ausgehen –, ist das Laden mit 1000 kW tatsächlich ein riesiger Sprung. BYD-Fahrzeuge laden aktuell Strom mit rund 150 bis 230 kW, die Ladeleistung steigt also um ein Vielfaches.   

Grundsätzlich neu ist die Technik allerdings nicht. Schon im Frühjahr 2024 hat Daimler Truck zum ersten Mal ein Fahrzeug mit einem Megwatt geladen – allerdings einen Lkw. Auch Schiffe werden bereits so geladen, im Pkw-Bereich gibt es derart hohe Ladeleistungen aktuell aber noch nicht.

Und: BYD hat die Ankündigung inzwischen etwas eingeschränkt. Das volle Potenzial von bis zu 1000 kW steht nur beim sogenannten Dual-Gun-Charging zur Verfügung – also mit zwei Ladesteckern. Aber: Mit nur einem Stecker sollen immerhin noch 800 kW möglich sein.

Hat das 1000-kW-Laden wirklich Vorteile?

Peter Fintl, Vice President Technology & Innovation bei Capgemini Engineering, erklärt, die Ladeleistung dürfte über kurz oder lang die PS als wichtige Kennzahl ablösen – und habe (nicht nur) am Stammtisch einen hohen Stellenwert. Für die Hersteller dürfte es sich seiner Meinung nach zu einem kaufentscheidenden Kriterium entwickeln; ein Faktor, der den Kunden ein gutes Gefühl bereitet und für den sie bereit sind, Geld auszugeben.

In der Praxis dürfte der Unterschied zwischen einem Megawatt und beispielsweise 700 oder 800 kW laut Prof. Martin Doppelbauer vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) allerdings relativ gering ausfallen. Zumal die maximale Ladeleistung in der Regel nur für sehr kurze Zeit erreicht wird.

Welchen Einsatzzweck gibt es für 1000-kW-Lader? 

Denkbar sind laut Fintl Elektro-Tankstellen in Großstädten, wo es keine ausreichende Ladeinfrastruktur für Laternenparker beziehungsweise in den Tiefgaragen großer Wohnblöcke gibt. Die extrem hohe Ladeleistung erlaubt Ladestopps, die kaum länger dauern als ein herkömmlicher Tankvorgang. 

Dazu kommen seiner Meinung nach ausgewählte Standorte entlang der Fernverkehrs-Routen. Dass die Megawatt-Lader die herkömmlichen Ladesäulen verdrängen, ist allerdings nicht zu erwarten. Die Kosten pro Kilowattstunde dürften zumindest in der Anfangszeit höher sein als an aktuellen High-Performance-Chargern und damit nur eine bestimmte Kundengruppe ansprechen, für die es entscheidend ist, zehn bis 15 Minuten Zeit einzusparen – beispielsweise eilige Dienstwagenfahrer, die gefühlt immer spät dran sind. 

Otto-Normal-Fahrer gerieten dagegen schon bei den heutigen Geschwindigkeiten in Ladestress, betont Prof. Doppelbauer. Das sieht auch der ADAC so: Der Automobilclub mahnt ohnehin regelmäßige Pausen bei längeren Fahrten an. Die heute üblichen 15 bis 30 Minuten Ladestopp würden bereits häufig nicht mal mehr zum Essen reichen, so der ADAC.  

Dazu kommt: In den meisten Fällen dürften Elektrofahrzeuge zukünftig "nebenbei" geladen werden – beim Einkaufen, während des Zoo-Spaziergangs oder des Restaurant-Besuchs. Die Zielgruppe, die darauf angewiesen ist, ihr Fahrzeug in wenigen Minuten vollzuladen, ist eher gering.

Warum bringt BYD das Schnellladen? 

Bis sich das Schnellladen finanziell für den Konzern lohnt, wird es wohl noch sehr lange dauern. BYD spielt laut Philipp Seidel, Automotive Mobility Strategist bei Arthur D. Little, hier seinen Trumpf als vollintegrierter Konzern aus. Um das Megawatt-Laden realisieren zu können, benötigt man neben dem Netzanschluss das Zusammenspiel von Fahrzeugelektronik, Ladesäulen und Batterien. BYD signalisiert: Wir können das alles. 
 
Diese Signalwirkung dürfte sich der Konzern einiges kosten lassen. Investitionsaufwand spiele aber in vielen Bereichen bei chinesischen Herstellern noch immer nicht die größte Rolle. Viele nähmen es in Kauf, nicht kostendeckend zu arbeiten, um dafür schnell zu wachsen und technologisch an die Spitze zu gelangen, so Seidel.

Wie lässt sich das Megawatt-Laden überhaupt realisieren? 

Laut Peter Fintl muss man dazu an mehreren Stellschrauben drehen. Neben einer passenden Batterie lautet die entscheidende Frage auch: Wie kriegt man die Energie ins Fahrzeug? Wichtig dafür ist laut Fintl die Leistungselektronik, speziell die Leistungshalbleiter.

Einerseits benötigt man eine hohe Spannungslage von 800 bis über 1000 Volt, um die maximal notwendige Stromstärke im Rahmen zu halten. Andererseits muss die Verlustleistung begrenzt werden, dies erfordert den Einsatz hocheffizienter Bauteile etwa in Silizium-Carbid-Technologie. Hier stehen die Ingenieure vor einer Kostenherausforderung, da diese Hochleistungschips derzeit noch deutlich teurer sind als Standardware. 

BYDs Vorteil: Der chinesische Autobauer entwickelt und fertigt die Silizium-Carbid-Chips selbst. Er sieht diese Bauteile derzeit als Kernelement seiner Wertschöpfung und als kundenrelevantes Unterscheidungsmerkmal. Das hohe Anfangsinvestment dürften der Hersteller in Kauf nehmen, um perspektivisch die Kosten über hohe Stückzahlen deutlich zu drücken. 

Dazu kommt das Thermomanagement. Wer schon mal neben einer aktuellen 350-kW-Ladesäule im Leistungsbetrieb stand, konnte fühlen, wie viel Verlustleistung beziehungsweise Abwärme beim Laden entsteht. Das Megawatt-Laden kann also nur mit entsprechend hocheffizienten Komponenten sowie leistungsfähigem Temperaturmanagement funktionieren.

Säule und Kabel – schon heute sind die Leitungen häufig wassergekühlt – entsprechend zu temperieren, ist laut Capgemini-Experte Fintl beherrschbar. Eine große Herausforderung sei es, die Technik im Fahrzeug zu kühlen – also Leistungselektronik und Batterie. Beschränkungen im Bauraum sowie ein enger Kostenrahmen fordern hier die Konstrukteure.

Hält die Batterie das schnelle Laden aus? 

Neben der Frage, wie der Strom ins Auto gelangt, stellt die Batterie die größte Herausforderung dar. Mit heute weit verbreiteten Nickel-Mangan-Cobalt-Akkus seien Ladeleistungen in dieser Größenordnung undenkbar, so KIT-Professor Martin Doppelbauer. BYD setzt auf Lithium-Eisenphosphat-Speicher (LFP), die günstigeren Speicher haben eine geringere Energiedichte. Was in der Praxis oft als Nachteil angesehen wird, zahlt sich in diesem Fall durch eine höhere Schnellladefähigkeit aus. Aber: Laut Prof. Doppelbauer sei LFP auch nicht das Material, das man so hoch laden kann.

Gemessen wird die Laderate in C. 1C bedeutet, dass ein Akku in einer Stunde vollgeladen werden kann. Übliche Laderaten für LFP-Akkus lägen bei 4 bis 5C, so Doppelbauer. BYD dagegen gibt Laderaten von 10C an, der Akku soll dank Megawatt-Ladung also in sechs Minuten voll sein. 

Dies sei derzeit eigentlich nur mit LTO-Akkus möglich (Lithium-Titanium-Oxid), die in Zügen zum Einsatz kommen. Aufgrund ihrer geringen Energiedichte seien sie für den Einsatz im Auto aber ungeeignet, so der Professor.

Auch Daimler Trucks setzt beim Megawatt-Laden auf LFP-Akkus im eActros. Hier ist allerdings ein Stromspeicher mit über 600 Kilowattstunden verbaut, das Laden von 20 auf 80 Prozent dauert etwa 30 Minuten – die Laderate liegt demnach nur zwischen 1 und 2C. BYD verbaut dagegen aktuell in seinem Top-Modell "nur" einen 86-kWh-Akku.

Ausschließen, dass das Megwatt-Laden bei Han L und Tang L funktioniert, will Prof. Doppelbauer aber nicht: "Wenn sie es ankündigen, wird es auch funktionieren – ich kann es mir nur nicht erklären. Da werden Dinge verbaut sein, die wir noch nicht kennen."

Sind die Stromnetze darauf ausgelegt?

Ein Megawatt, das entspricht in etwa der Anschlussleistung eines kleinen Straßenzugs oder einer kleinen Fabrik – die Belastung für das Stromnetz scheint groß, aber durch technische Maßnahmen handhabbar, sagt Peter Fintl. So setzt BYD bei seinen Ladesäulen auf Pufferbatterien, welche konstant geladen werden und bei Bedarf angeforderte Leistungsspitzen lokal abdecken können.

Auch andere Ladeparkanbieter setzen darauf, Energie zwischen zu speichern, um das Stromnetz zu entlasten. Dafür eigenen sich auch, dem Second-Life-Ansatz folgend, gebrauchte Akkus; darauf setzt unter anderem Audi bei seinen Charging-Hubs; die Ingolstädter betreiben eine Handvoll "Lade-Lounges", die zum Verweilen einladen sollen, während das Auto lädt. Allerdings liegt die maximale Ladeleistung hier bei rund 300 kW.

Bringt BYD das Megawatt-Laden auch nach Europa?

BYD verkauft hierzulande unter anderem die Modelle Han und Tang. Das Megawatt-Laden wird in China nun bei den neuen Fahrzeuggenerationen Han L und Tang L eingeführt. Ob diese auch nach Europa kommen, ist noch nicht bekannt; ein Start hierzulande ist aber sehr wahrscheinlich. Ob die Fahrzeuge hier direkt auch das ultraschnelle Laden beherrschen, ist aufgrund technischer Vorgaben und infrastruktureller Herausforderungen unklar. 

Laut Matthias Vogt, Elektro-Experte beim ADAC, stellt sich allein schon die Frage nach dem Stecker. Der in Europa verwendete CCS-Anschluss ist aktuell für Ladeleistungen von bis 350 kW ausgelegt; selbst im Dual-Gun-Model, also mit zwei Steckern, käme man nicht auf über 700 kW. 

Lkw setzen bei uns auf den MCS-Stecker, der größer und unhandlicher ist als der CCS-Anschluss. Rein theoretisch könnte BYD die Fahrzeuge auf diesen Stecker umrüsten, allerdings mit großem Aufwand, so Peter Fintl.

Ziehen andere Hersteller nach?

Philipp Seidel geht nicht davon aus, dass zeitnah europäische Hersteller auf das Megawatt-Laden aufspringen. Ziel müsse es sein, zunächst die bestehende Ladetechnik auszureizen und auszulasten. Dies sei für den Großteil der Lade-Use-Cases ausreichend. 

Seidel plädiert dafür, zukünftig andere KPIs in den Vordergrund zu stellen. Statt der maximalen Peak-Ladeleistung sollte das Augenmerk mehr auf die Ladekurve gelegt werden. Ein Fahrzeug, dass längere Zeit bei hoher Geschwindigkeit laden kann, ist am Ende vielleicht sogar schneller voll als eines, dass zwar mit einer extremen Spitzenleistung startet, diese dann aber recht zügig reduzieren muss. Auch sind die von BYD genannten 400 Kilometer in fünf Minuten seiner Meinung nach eher ein theoretisches Konstrukt. 

Auf längere Sicht aber hat das Laden mit 1000 kW – oder mehr – auch im Pkw eine Zukunft, erklärt Peter Fintl. In Europa wird derzeit ein Megwatt-Ladenetz für Lkw aufgebaut. Diese Infrastruktur könnte von Pkw mitbenutzt werden.