Antonio Filosa: Was der neue Stellantis-CEO jetzt anpacken muss

Nach fünfmonatiger Suche ist John Elkann fündig geworden: Der seit Herbst amtierende Amerika-Chef von Stellantis wird neuer CEO des 15-Marken-Konzerns. Auf ihn wartet jede Menge Arbeit - und vieles davon wird nicht auf den Beifall der Betroffenen stoßen. Die Automobilwoche nennt die sieben größten Baustellen, die angepackt werden müssen.

Zunächst einmal scheint die sichtbarste Baustelle fertiggestellt worden zu sein: Der neue CEO steht fest. Verwaltungsratspräsident Elkann suchte allerdings fünf Monate lang nach einer Führungskraft, die längst im Hause war und die er auch schon lange gut kennt: Antonio Filosa ist schließlich ebenso wie Elkann Italiener, er ist seit 25 Jahren im Konzern und beide haben ihre Laufbahn überwiegend im Fiat-Konzern verbracht. Die lange Suche nach dem Naheliegenden wirft einen Schatten auf die Wahl Filosas.

Der Neapolitaner wird diesen Makel aber mit seinen herausstechendsten Eigenschaften vergessen machen: Tatkraft, Entscheidungsfreude und ein ungewöhnlich breiter Erfahrungsschatz in der Automobilwelt (siehe Porträt).

Noch am Tag der Verkündung seines neuen Amtes inspizierte Filosa am vergangenen Mittwoch das Peugeot-Stammwerk in Sochaux - und besuchte das nahegelegene Peugeot-Museum. Tags darauf war er schon im Fiat-Stammwerk in Mirafiori, am Freitag in Spanien und am Montag wollte er in Rüsselsheim Guten Tag sagen. 

Bei den europäischen Marken kommt das gut an. Peugeots neuer Markenchef Alain Favey zeigt sich zuversichtlich: "Antonio hat ein großes Gespür für Marken. Und er zeigt mit seinem Besuch, dass ihm völlig klar ist, wie wichtig Europa für Stellantis ist", sagte Favey der Automobilwoche.

Offiziell soll Filosa zwar erst am 23. Juni seinen Posten antreten, kurz darauf soll eine außerordentliche Hauptversammlung die Berufung absegnen. Doch schon jetzt arbeitet er an seiner Konzern-Agenda. 

Und die fängt bei einem neuen CEO häufig mit einem neuen Team an. Ein personeller Umbau ist zu erwarten, denn das Unternehmen kündigte bereits an: "Zu diesem Zeitpunkt (am 23. Juni) wird Antonio Filosa auch das neue Führungsteam von Stellantis bekannt geben." 

Fakt ist: Die lange CEO-Suche hat bei Stellantis einen Entscheidungsstau hervorgerufen.

Am drängendsten sind Konzepte gegen den schleppenden Absatz und die sinkende Profitabilität. Die Verkäufe sanken im ersten Quartal um neun Prozent auf 1,2 Millionen Einheiten. In Nordamerika brachen sie gar um 20 Prozent ein, dort sacke der kumulierte Marktanteil der Stellantis-Marken innerhalb von zwei Jahren von 12,5 auf 8,0 Prozent - ein Debakel.

Grund waren vor allem überhöhte Preise, die der damalige Konzernchef Carlos Tavares unbedingt durchsetzen wollte, gepaart mit einer beschränkten Modellpalette und einer Überproduktion von Fahrzeugen, die auf die Höfe der Händler geschoben wurden. Das führte zu Standzeiten von teilweise mehr als 100 Tagen. 

Aber auch in Europa lief es in den ersten vier Monaten mit einem Minus von 11,1 Prozent nicht rund.  Fiat verlor mit 21 Prozent am meisten, aber auch Opel hatte mit minus 19 Prozent alles andere als einen guten Start ins Jahr.

Filosas Vorgänger Carlos Tavares hatte sich auf die Fahnen geschrieben, bei der Profitabilität zu den Branchenführern zu gehören. Zweistellige Margen hatte er wiederholt erreicht, allerdings hatte dies seinen Preis: Ein Sparprogramm jagte das nächste, in der Folge kämpften mehrere Stellantis-Marken mit Qualitätsproblemen.

Ein höherer Profit würde vor allem einen drastischen Kapazitätsabbau insbesondere in Italien erfordern. Die Folge davon wären massive Auseinandersetzungen mit der italienischen Regierung und den Gewerkschaften. Aber auch in Frankreich vereitelte die Regierung bisher jeden Versuch, über kosmetische Einschnitte hinaus Kapazitäten zu reduzieren.

Nur sieben von 25 Stellantis-Werken im Großraum Europa waren 2024 zu wenigstens 80 Prozent ausgelastet, das hatte die Automobilwoche jüngst unter Bezug auf Daten des Analyseunternehmens Inovev berichtet.

Verwaltungsratspräsident Elkann will mehr Profitabilität nicht mit dem Brecheisen erreichen. Doch die Investoren fordern endlich wieder mehr Return. Ihre Unzufriedenheit drückt sich in einer schwachen Börsen-Performance der Stellantis-Aktie aus. 

Mitte April notierte das Papier auf einem historischen Tiefstand von 7,26 Euro, seither hat es sich wieder auf neun Euro erholt. Das ist allerdings noch weit entfernt vom Höchststand im März 2024 von fast 27 Euro. 

Wie Filosa in dieser Lage den Spagat zwischen Profitabilität und geringer Auslastung schaffen will – das dürfte auf seiner Agenda ganz oben stehen. Ohne echte Einschnitte dürfte aber kaum eine nachhaltige Verbesserung gelingen.

Auch die Behandlung der Handelspartner litt stark unter dem Margendruck. So manchem Händler verging der Spaß an Peugeot, Citroen oder Opel, weil die Gewinnmargen heruntergedrückt wurden oder zuvor übliche Bonus-Regelungen verschlechtert wurden.

Die Zeit des Händler-Knechtens soll vorbei sein, das versichern inzwischen alle Markenvertreter. In Deutschland veranstaltete Stellantis in der vergangenen Woche ein "Connect"-Event für die Händler aller Konzernmarken, bei dem Besserung gelobt wurde.

Die Träume vom Agenturmodell sind ausgeträumt, das klassische Vertragshändler-Modell soll wieder im Zentrum des Vertriebs stehen - auch wenn digitale Kanäle weiter an Gewicht gewinnen werden.

Die erratische US-Zollpolitik ist gerade auch für Stellantis eine ernste Herausforderung, weil der Hersteller bedeutende Kapazitäten in Mexiko hat und Zulieferer in in Kanada und Mexiko.

Filosa weiß als Amerika-Experte, was auf dem Spiel steht. Diplomatie ist hier gefragt statt Effizienz-Sturheit à la Tavares.

Wie Filosa das anpackt, wurde vor wenigen Tagen deutlich: Da kündigte er noch als Amerika-Chef an, die Stellantis-Marken würden sich im kommenden Jahr mit einer großen Fahrzeugflotte von Jeep, Ram, Dodge und Chrysler an den Feierlichkeiten zum 250. Jubiläum der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten (America250) beteiligen.

Langfristig wird der neue CEO  auch schmerzhafte Antworten finden müssen auf die bislang defizitäre Premium-Sparte der Gruppe. Vor allem die von seinem Vorgänger Carlos Tavares betriebene Wiederbelebung der Marke Lancia könnte bei nüchterner Betrachtung  zu den Akten gelegt werden.

Maserati ist 2024 zu einem Verlustbringer geworden und erfordert viel Aufmerksamkeit und Investitionen, um wieder zu einer Ikone zu werden. Womöglich wäre ein Verkauf der Marke ein Ausweg.

Ungewiss ist generell, ob es sich Stellantis erlauben sollte, weiterhin mit vier Premium-Marken gleichzeitig (Alfa Romeo, DS, Lancia, Maserati) zu operieren. Unter dem Strich könnte Stellantis im Premium-Segment mehr verdienen, wenn sich der Konzern auf weniger Marken fokussieren würde.

Gegen einen Kahlschlag spricht allerdings die tiefe Verwurzelung der italienischen Nobel-Marken in der Historie des Konzerns - und nicht zuletzt im Selbstverständnis des Verwaltungsratspräsidenten Elkann.

Ein dickes Brett ist für Stellantis auch die unbedeutende Marktposition in China. Dort werden zwar noch ein paar tausend Jeep und Peugeot-Modelle pro Jahr verkauft, doch vom einstigen Anspruch, auf dem weltgrößten Automobilmarkt ein relevanter Player zu sein, ist Stellantis weiter entfernt denn je.

Klar ist: Ohne neue Kooperations-Strategie wäre ein Neustart in China chancenlos. Angesichts des überbesetzten und extrem wettbewerbsintensiven chinesischen Marktes scheint es nicht ratsam zu sein, sich auf den riskanten Versuch "China reloaded" einzulassen. Womöglich kann ein Ausbau der Beziehungen zum Joint-Venture Partner Leapmotor für etwas Dynamik sorgen.