Unfallreparaturen: Versicherungen erhöhen Druck – Werkstätten rüsten digital auf

Für Kfz-Versicherer sind es schlechte Jahre. Drei Milliarden Euro Verlust standen 2023 zu Buche, bis zu zwei Milliarden werden es in diesem Jahr. Viele Versicherer drehen an der Kostenschraube. Das jedoch bringt sie in Konflikt mit Autohäusern und Werkstätten.

Denn für diese ist angesichts knapper Margen bei Neuwagen der Aftersales – und darunter die Reparatur von Unfallautos – eine der wichtigsten Ertragsquellen. 33,8 Milliarden Euro erlöste das deutsche Kfz-Gewerbe 2023 im Service ­(Gesamtumsatz: 207,3 Milliarden Euro). Dabei entfällt in Autohäusern nicht selten ein Großteil der Erträge auf den Service. Und so setzen viele Betriebe alles daran, ihre Einnahmen dort zu steigern.

Meist entzünden sich Konflikte an Rechnungskürzungen. Dabei streichen Versicherer nach der Reparatur von Haftpflichtschäden in der Auflistung der Werkstätten aus ihrer Sicht ungerechtfertigte Posten. "Zehn Prozent Rechnungskürzung sind keine Seltenheit", sagt Detlef Peter Grün, ZDK-Vizepräsident und Bundesinnungsmeister.

Ein Problem angesichts knapp kalkulierter Preise: "Kürzt die Versicherung zehn Prozent der Rechnungssumme, ist schnell die gesamte Marge aufgezehrt."

Um sich einerseits gegen Kürzungen zu wehren und andererseits die ­Erträge sogar noch zu steigern, professionalisieren viele Betriebe ihr Schadenmanagement. In vielen Werkstätten gebe es gerade einen Digitalisierungsschub, berichtet Grün.

Doch es bleibt noch reichlich zu tun. "Bei der Professionalisierung des Schadengeschäfts liegen zwischen den einzelnen Kfz-Betrieben teilweise Welten", sagt Maximilian Küblbeck, Geschäftsführer von TÜV Süd Auto Plus. Hätten die ­einen bereits volldigitale Prozesse, ­arbeiteten andere noch mit Papier.

Viele Betriebe greifen zur Professionalisierung auf Angebote von Prüfdiensten wie TÜV Süd und TÜV Nord oder der Deutschen Automobil Treuhand (DAT) zurück. Herzstück dieser Angebote sind digitale Schadenportale, in denen sich für jeden Reparaturfall digitale Schadenakten anlegen lassen. Auch die Kfz-Werkstatt von Grün arbeitet mittlerweile damit.

Diese digitalen Akten sollen eine möglichst reibungslose und schnelle Abwicklung ermöglichen. Nach einem Unfall etwa kann die Werkstatt unmittelbar eine Schadenakte anlegen. In ihr werden alle Informationen zu Art, Hergang und Geschädigten erfasst und während der Abwicklung anfallender Schriftverkehr sowie Zahlungsströme und Dokumente wie Gutachten und Rechnungen abgelegt.

Aus der Akte beziehungsweise dem Portal heraus können in der Regel ­zudem Sachverständige und Anwälte beauftragt werden, die sich bei Haftpflichtschäden um die Durchsetzung der Ansprüche des Geschädigten kümmern. Die beteiligten Akteure können über die Plattform kommunizieren und auf die für sie relevanten Dokumente und Informationen zugreifen.

Indem man in den Schadenakten über alle Ausstände und eingehenden Zahlungen Transparenz herstelle, ­erleichtere man Werkstätten und Anwälten, gegen Rechnungskürzungen vorzugehen, sagt Timo Möller-Gomez. Er ist Geschäftsführer der Schaden­managementplattform Kaayo, einem Corporate-Start-up von TÜV Nord.

Mit Anwälten und Gutachtern zu ­arbeiten, ist aus Sicht von Grün entscheidend. Viele Betriebe würden derzeit noch mit den Versicherern allein auf Basis selbst erstellter Kostenvoranschläge abrechnen.

Die jedoch seien in puncto Kürzungen deutlich angreifbarer als Gutachten eines neutralen Sachverständigen. "Bei Haftpflichtschäden ziehen wir grundsätzlich Gutachter und Fachanwälte hinzu", sagt Grün.

Die Offenheit soll zugleich helfen, schnell im Markt Fuß zu fassen und durch rasches Wachstum Wettbewerber zu verdrängen. "Langfristig wird es nur einige wenige Anbieter geben", sagt Roman Meier-Andrae, Leiter IT und Digitalisierung bei TÜV Nord ­Mobilität und in der Anfangsphase zugleich Geschäftsführer bei Kaayo. "Wir werden mit unserer offenen Lösung die Konsolidierung vorantreiben."

Die Werkstätten dürfte es freuen. Die digitalen Schadenakten seien ein großer Mehrwert für die Branche, sagt Grün. Je mehr Wettbewerb es ­dabei ­gebe, desto besser werde das ­Angebot.

Die offiziellen Gutachten sind nicht nur schwerer angreifbar, Gutachter können auch mehr abrechnen. "Rechnet ein Betrieb mit der gegnerischen Versicherung auf der Basis von Kostenvoranschlägen ab, können Posten wie die Wertminderung des Fahrzeugs durch den Unfall nicht zugunsten des Kunden geltend gemacht werden", sagt Küblbeck. Durch das fehlende Detailwissen der Serviceberater würden ­zudem Tätigkeiten wie die Lackiervorbereitung eines Fahrzeugs häufig nicht abgerechnet.

Wie groß das zusätzliche Ertragspotenzial für Werkstätten ist, zeigt eine Auswertung von 106 Werkstatt-Kostenvoranschlägen durch Gutachter von TÜV Süd. Die Nachkalkulation der Gutachter lag mit in Summe 48.661 Euro mehr als zehn Prozent über den Kostenvoranschlägen – das sind pro Schadenfall durchschnittlich 460 Euro.

Neben dem finanziellen Vorteil versprechen die Prüfdienste daneben auch eine Zeitersparnis. "Ein normaler Schadenprozess bringt ohne Reparatur und Gutachten einen administrativen Aufwand von zwei bis drei Arbeitsstunden mit sich", sagt Küblbeck.

Digitalisiere man den Prozess mithilfe der Schadenakte, lasse sich etwa 20 Prozent der Arbeitszeit sparen, weil etwa Unterlagen automatisch erstellt oder Dokumente digital versandt werden könnten.

Angesichts wochenlanger Termin-Wartezeiten und einer Werkstattauslastung nahe 90 Prozent ist das für viele Betriebe ein Argument. "Die Zeit unserer Mitarbeiter ist unsere knappste Ressource", bestätigt Grün.

Bei manchen Angeboten, etwa von TÜV Süd, ist es möglich, Schadenmanager des Prüfdienstes im eigenen ­Betrieb zu stationieren und damit den kompletten administrativen Prozess auszulagern. Im Autohaus verbleiben dann lediglich Reparatur und Rechnungsstellung. Digitales Schadenmanagement und Gutachten sind in diesem Fall verknüpft und nur aus einer Hand möglich.

Einen anderen Weg geht TÜV Nord mit Kaayo. Bei deren Plattform ist es möglich, Schadenakte und Gutachten zu trennen und somit auch andere ­Prüforganisationen einzubinden. "Die Realität am Markt ist, dass viele Händler mit unterschiedlichen Sachverständigenorganisationen zusammenarbeiten. Das müssen wir im Interesse unserer Nutzer anerkennen", sagt Möller-Gomez.