Berlin/Hamburg. Die deutsche Automobil- und Zuliefererindustrie befürchtet hohe Millionen-Schäden durch den für Donnerstag angekündigten Lokführerstreik im Güterverkehr. Ausmaß und Zeitraum der Streiks sowie eventuelle Folgen für den Personenverkehr mitten in der Urlaubszeit sind zwar noch völlig offen. Manche Betriebe wie Stahlkocher oder Autohersteller sind aber sehr stark auf pünktliche Lieferungen der Bahn angewiesen und haben kaum Ausweichmöglichkeiten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) warnte, flächendeckende Streiks im Güterverkehr bei der Bahn könnten mehrere Millionen Euro Schaden pro Tag bedeuten.
Der Sportwagenhersteller Porsche wäre durch die Bahnstreiks ab Mitte nächster Woche im Montagewerk Leipzig besonders betroffen. Bis zum 13. August ruht dort aufgrund der Werksferien die Produktion. “Die Zulieferung der vorgefertigten Karossen des Geländewagens Cayenne aus dem VW-Werk in Bratislava erfolgt ausschließlich mit der Bahn”, so ein Sprecher. Aufgrund der speziellen Vorrichtungen zum Be- und Entladen sei ein alternativer Transport mit dem Lkw nicht möglich. Sollten die Streiks nächste Woche noch andauern, würde damit die Produktion von 180 Fahrzeugen täglich komplett ausfallen. “Dies würde uns hart treffen, weil der Cayenne weiter stark nachgefragt wird”, so der Sprecher weiter. Der Abtransport der fertigen Fahrzeuge, der normalerweise auch per Bahn zum Exporthafen Emden stattfindet, kann dem Sportwagenhersteller zufolge jedoch auch per Lkw erfolgen.
Keine Produktionseinschränkungen erwartet das Unternehmen im Werk Zuffenhausen, wo der Sportwagen 911 vom Band läuft. Dort dauern die Betriebsferien noch bis Ende nächster Woche an. Sowohl bei der Zulieferung als auch beim Abtransport der dann geplanten Tagesproduktion von 160 Fahrzeugen könne per Lkw organisiert werden, so der Sprecher.
Ein VW-Sprecher sagte am Dienstag, falls es in einem VW-Werk durch das Ausbleiben von Lieferungen zu einem Produktionsausfall komme, würde das Volkswagen täglich Millionen kosten. Dies sei aber derzeit noch nicht absehbar. Entscheidend werde sein, ob und welche Knotenpunkte lahmgelegt würden. Ein Sprecher des Stahlkonzerns Salzgitter betonte: "Für die Stahlindustrie ist das Verkehrsaufkommen, das wir mit der Bahn haben, gewaltig."
Der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) warnte vor Engpässen bei der Rohstoffversorgung.
Mercedes erklärte: "Wir verfolgen das Thema schon seit einigen Wochen sehr intensiv. Um vorbereitet zu sein und im Falle eines Streiks schnell reagieren zu können, haben wir haben deshalb entsprechende Maßnahmen getroffen."
Bei BMW werden sich die Auswirkungen zumindest in den kommenden Tagen in Grenzen halten, da derzeit Werksferien sind. Wichtig sei der Schienenverkehr vor allem für den Transport der fertigen Autos, sagte ein BMW-Sprecher am Dienstag in München. Mehr als die Hälfte der Fahrzeuge verlassen die Werke auf der Schiene. Für den Fall, dass sich ein Streik bis Ende August hinzieht, arbeitet BMW an Notfallplänen. Diese sehen unter anderem vor, zusätzliche Kapazitäten bei Lkw-Spediteuren einzukaufen.
Normalerweise werden bei BMW 3.500 Autos pro Tag in den vier Werken gebaut, 55 Prozent davon werden per Bahn abtransportiert. “BMW sondiert zurzeit den Markt, was er hergibt an Speditionskapazitäten – nicht nur für die kommende Woche, sondern versuchen auch mittelfristig Vorsorge zu treffen”, sagte der Sprecher.
Auch bei Audi bereitet man sich "auf einen Streik bei der Deutschen Bahn und mögliche Auswirkungen gründlich vor.” So kann das Messegelände in Ingolstadt kurzfristig angemietet werden, um dort zusätzliche Stellplätze für Neufahrzeuge zu schaffen. "Im Werk Ingolstadt haben wir maximal 6000 Stellplätze für neue Autos und schaffen uns mit der zusätzlichen Fläche in Ingolstadt noch einmal 2.500 Plätze", sagte ein Sprecher.. Bei 60 Prozent der Neufahrzeuge wird der Transport über die Bahn abgewickelt.
Ford sieht seine Produktion nach Angaben eines Unternehmenssprecher von den drohenden Bahnstreiks zunächst zwar nicht beeinträchtigt. Probleme gäbe es aber beim Abtransport der komplett montierten neuen Fahrzeuge von Köln aus. “Wir produzieren hier in Köln zu 88 Prozent für den Export, den wir bisher überwiegenden mit Ganzzügen, zum Beispiel nach Italien, bewerkstelligt haben.” sagte der Sprecher. Jetzt müsste Ford die in Köln hergestellten Ford Fiesta und Fusion verstärkt auf Binnenschiffe laden, die nach Antwerpen gehen und dort auf Hochseefähren umgeladen werden. “Wir haben das seit einigen Tagen schon umgestellt in Erwartung der Bahnstreiks.”
Der Nachteil sei die wesentlich längere Lieferfrist für die Kunden, Vorteil sei allerdings der wesentlich günstigere Preis der Schifftransporte. Bei der Zulieferung der Komponenten habe Ford in Köln bisher Bleche aus Valencia und Instrumententafeln von Visteon aus Berlin per Zug erhalten. Diese Zulieferung wurde schon vor einiger Zeit auf LKW umgestellt. Das zweite deutsche Werk in Saarlouis sei von den Bahnstreiks nicht betroffen, da dort noch die Werksferien andauern.
Auch ein Sprecher von GM Europe verwies auf die Werksferien. (bis auf Gleiwitz (PL) und Bochum). "Da unser Zwischenwerksverkehr von Komponenten- und Fahrzeugwerken in Europa fast gänzlich auf der Schiene stattfindet, sind auch die beiden derzeit tätigen Werke betroffen. Wir werden das nötige Transportvolumen jedoch auf Lkw und Schiff verlagern können, da sind jetzt unsere Logistiker gefordert."
Bosch sieht sich eher in einem geringen Maß betroffen. "Einschränkungen dürften sich beispielsweise im In- und Export ergeben. In diesen Fällen sind wir dabei, die Belieferung auf Lkw umzustellen.”
Die Spediteure halten durch den Streik eine Verteuerung der Gütertransporte auf der Straße um bis zu 20 Prozent für möglich. "Die Straße kann die Transporte nur sehr bedingt aufnehmen. Es gibt auch jetzt in der Sommerzeit aufgrund der guten Wirtschaftskonjunktur kaum freie Kapazitäten beim Laderaum", sagte der Geschäftsführer des Verbands Verkehr und Logistik Berlin und Brandenburg, Gerhard Ostwald. Lkw-Fahrer seien zudem inzwischen knapp. Das dürfte sich auch auf die Transportpreise für Fahrzeugteile auswirken.
Während Betriebe der Nahrungsmittelbranche im Notfall noch auf Lkw umsteigen könnten, seien insbesondere die Stahlhersteller und Metallverarbeiter "stark auf die Bahn angewiesen", sagte DIW- Verkehrsexpertin Claudia Kemfert.
Der Chemiekonzern BASF, der auch als Zulieferer in der Automobilindustrie tätig ist, will bei einem Streik im Güterverkehr der Deutschen Bahn auf private Anbieter ausweichen. Das Unternehmen verfüge über Alternativen, sagte eine Sprecherin. So sei die BASF zu 25 Prozent am Eisenbahnunternehmen Rail4chem beteiligt.
Deutschlands größter Autovermieter Sixt sieht sich für eine höhere Nachfrage im Falle eines Bahnstreiks gut gerüstet. Man werde bei einem Streik den Kunden "Fahrzeuge aller Kategorien in ausreichender Zahl anbieten können", teilte der Konzern mit. "Mögliche Erhöhungen der Nachfrage infolge eines Bahnstreiks können bis auf Weiteres durch eine flexible Disposition im Rahmen der professionellen Flottensteuerung von Sixt abgedeckt werden."
Die Lokführergewerkschaft GDL hatte den Streikbeginn nach Auszählung der Urabstimmung mit 95,8 Prozent Ja-Stimmen am Montag angekündigt. Sie fordert einen eigenständigen Tarifvertrag für die Lokführer und 31 Prozent mehr Geld. Die Bahn kritisierte den Arbeitskampf scharf und lehnte es ab, einem Ultimatum für ein neues Tarifangebot bis Dienstagabend nachzukommen.
(Mitwirkung von: Matthias Krust, Michael Knauer, Pia Krix, Jens Dralle)