Auto-Innenraum: Kluge KI vs. Schalter und Knöpfe

Per Handbewegung öffnet sich ein neues Menü, per Sprachsteuerung startet die Navigation, berührungsempfindliche Glasoberflächen leuchten auf und zeigen Geschwindigkeit, Motordrehzahl, Akku-Kapazität und Reichweite, neben Infos über Wetter, Verkehr, Musik oder Kalendereinträge. Gesteuert wird mal per Sprache, mal per Handbewegung, Swipe oder über haptischen Druck.

„Das ist genau das, was die Kunden sich in den vergangenen Jahren gewünscht und auch vehement gefordert haben, denn es ist das, was sie aus der Consumer-Welt kennen, von ihren Handys und Tablets“, sagt Thomas Harter. Er ist Head of Interactive Digital Solutions (IDS) beim Technologie-Zulieferer Elektrobit und Fachmann für digitale Lösungen im Cockpit.

Harter ist nah dran an den Trends im Fahrzeug-Cockpit. Für ihn gibt es bei all den Vergleichen zwischen Auto- und Consumer-Industrie einen kleinen, aber sehr entscheidenden Unterschied. „Die Consumer-Industrie muss sich nicht den vielen Einschränkungen für Tablets und Smartphones unterordnen wie es die Fahrzeughersteller tun müssen“, sagt er.

Samsung, Apple und Co. sind darauf aus, von ihren Nutzern die vollumfängliche Aufmerksamkeit zu bekommen. Anders gesagt: Sie gestalten ihre Programme so, dass sie die User in ihren Bann ziehen.

Die Screens in den Autos hingegen sollten genau das Gegenteil bewirken: möglichst wenig Ablenkung vom Verkehrsgeschehen. Die Augen sollen auf der Straße bleiben und nicht dem folgen, was auf den Screens passiert.

Diesen Widerstreit versucht die Industrie jetzt mit immer schlauer werdender künstlicher Intelligenz zu lösen. So navigiert sich der Fahrer mit Hilfe von künstlicher Intelligenz künftig nicht mehr selbst durchs Infotainment, sondern die KI selbst wird zum Dirigenten des gesamten Wohlfühlklimas im Auto.

So kennt die KI durch frühere Wünsche und Anforderungen die Vorlieben des Fahrers und startet bestimmte Aktionen selbständig – führt durch die Navigation, erinnert an bevorstehende Calls, gestaltet den optimalen Fahrerplatz und temperiert und illuminiert den Innenraum so, dass das Auto im Nu zu einem Wohlfühl-Space wird

.„Dadurch fallen viele Einstellungsschritte, Klicks durch das Menü sowie die frustrierende Suche nach Funktionen in verschiedenen Ebenen weg, die man sonst gemacht hätte – auch während der Fahrt“, so Harter.

Das zeigt, wie tief KI künftig ins Cockpit integriert wird. Elektrobit ist dabei einer der wenigen Zulieferer, die eine solche Integration auf der CES in Las Vegas gezeigt haben.

Damit einher geht der Trend hin zu einem cleanen und zurückgehaltenen Innenraum, wie es BMW in der Neuen Klasse umsetzt. Hier findet man nur noch einen Screen in der Mitte und ein zwölf Zentimeter hohes Head-Up-Display auf voller Breite: Die „Panoramic Vision“. Dadurch unterstreichen die Münchener die Fokussierung auf das Wesentliche: den Verkehr – sofern man selbst fährt und nicht der Autopilot.

Parallel entwickelt sich jedoch eine zweite Bewegung – und zwar die, die wieder vermehrt haptische Elemente wie Knöpfe oder sogenannte „Dreh-Drück-Steller“ bevorzugt, ja sogar einfordert.

Denn ausschließlich Touch im Auto ist nicht ganz im Sinne der Sicherheit. Das findet zumindest Euro NCAP. Der Zusammenschluss verschiedener europäischer Verkehrsministerien, Automobilclubs und Versicherungsverbände mit Sitz in Brüssel hat im Frühjahr verfügt, dass die Touchbedienung von bestimmten Funktionen demnächst Strafpunkte kosten könnten.

Für die fünf Funktionen Blinker, Warnblinkanlage, Scheibenwischer, Hupe und SOS-Notruf sollen ab 2026 echte Schalter, Hebel oder Knöpfe vorgeschrieben werden, damit Autos die Fünf-Sterne-Sicherheitsbewertung von Euro NCAP erhalten. Euro NCAP würde es zudem gerne sehen, wenn noch mehr Grundfunktionen wie Sitz- und Spiegelverstellung oder die Belüftung wieder über separate, physische Elemente bedient werden können.

„Diese Entwicklungen – sei es die Reduzierung der Bildschirme, aber auch das Revival der Knöpfe und haptischer Elemente – zeigen den berühmten Pendel-Mechanismus, wie wir ihn von vielen Entwicklungen kennen“, sagt Andreas Nienhaus, Partner bei der Unternehmensberatung Oliver Wyman.

„Neue Technologien werden erstmal gehypt, der Bogen wird etwas überspannt und dann pendelt sich alles auf ein angenehmes Maß ein“, so der Berater. Manchmal brauche es dabei auch die Hilfe von Regularien.

Studien haben außerdem herausgefunden, dass es zu Recht Sicherheitsbedenken bei komplexen Menüführungen über Touchscreens gibt – obendrein, wenn riesige Bildschirme verbaut sind wie beispielsweise in Teslas Model X, wo ein 17-Zoll-Screen in der Mitte des Cockpits thront. Denn: „Der Blickwinkel zu einem Knopf ist ein anderer als zum unteren Ende eines Displays, wenn es zudem keine haptische oder akustische Rückmeldung des Systems gibt, ob die Funktion funktioniert“, sagt Nienhaus.

Die schwedische Automobilzeitung „Vi Bilägare“ hat vor einiger Zeit einen Test gemacht: Elf aktuelle Fahrzeuge verschiedener Hersteller sowie ein 17 Jahre alter Volvo V70 sollten dazu auf einem Flugplatz in Schweden eine Strecke mit 110 km/h fahren. Währenddessen sollten die Fahrer verschiedene einfache Aufgaben ausführen, wie den Radiosender wechseln oder die Klimaanlage einstellen.

Das Auto, was mit Abstand am einfachsten zu bedienen war, war der Volvo V70 aus dem Jahr 2005. Die Aufgaben wurden von den Testfahrern innerhalb von zehn Sekunden erledigt, der Volvo fuhr dabei 306 Meter. Die Fahrer brauchten hingegen im MG Marvel R 44,6 Sekunden für die Aufgaben und legten 1,37 Kilometer zurück – mehr als die vierfache Strecke im Vergleich zum alten Volvo.

„An der Kritik ist also was dran“, sagt Nienhaus. Man müsse das Ganze jedoch auch ein bisschen einordnen. Die Funktionen im Auto seien explodiert in den vergangenen Jahren. „Allein um ein ADAS-System steuern zu können, braucht man ein Infotainment-System“, sagt er.

Es gilt jetzt also für die Designer der Hersteller, hier die goldene Mitte zu finden. „Gar keine Knöpfe sind sicherlich keine Option“, so Nienhaus, „sondern die richtige Kombination aus Haptik, Voice und Touch, kombiniert mit schlauer KI – das wird die Zukunft sein.“