Mathias Miedreich führt ab Oktober den kriselnden Zulieferer ZF. Er übernimmt von Holger Klein, der vorzeitig gehen musste. Das Gespräch mit Miedreich wurde kurz vor Bekanntgabe der Entscheidung geführt – und wurde danach noch einmal angepasst.
Interview: Wie der neue ZF-Chef Mathias Miedreich die Chancen der Division E beurteilt
Die Division E gilt als Herzstück von ZF. Bis Ende September ist Mathias Miedreich noch ihr Leiter, dann rückt er an die Spitze von ZF Friedrichshafen.
Ganz ehrlich, wahrscheinlich nicht. Und zugleich war mir bei meiner Außensicht auf ZF auch nicht klar, welches Potenzial in der Division E steckt. Vor allem, was die Technologiekompetenz und insbesondere das Systemverständnis im Antrieb angeht.
Es gibt wahrscheinlich wenige Firmen auf der Welt, die eine solche Kompetenz und Historie haben. Das spiegelt sich auch in den Kundenbeziehungen wider, die viel tiefer und enger sind, als ich das gedacht hatte.
Wir haben das Papier bei der Aufsichtsratssitzung mit der beidseitigen Ambition und dem Verständnis unterschrieben, dass das funktionieren wird. Aber wir haben uns auch gegenseitig zugesichert, dass wir uns bis dahin nicht zum Stand der Verhandlungen äußern. Ich kann nur so viel sagen, wir hätten das damals nicht unterschrieben, wenn wir nicht gedacht hätten, dass es eine sehr gute Chance gibt, dass das funktioniert.
Wir arbeiten in unserem Restrukturierungsprogramm an vier Hebeln. Das eine ist ein sehr systematisches Programm zur Kostenoptimierung, das seit den letzten 18 Monaten läuft. Das hat uns geholfen, die Division im ersten Halbjahr wieder in die Gewinnzone zurückzuführen. Das ist zwar nur eine schwarze Null, aber wir haben das Ergebnis doch signifikant verbessert. Das werden wir weiterführen.
Wir machen keine divisionsspezifische Berichterstattung. Ich kann nur so viel sagen, dass sich der stabilisierende Trend im zweiten Halbjahr fortsetzt. Aber wir werden mit Sicherheit mit der Division auch im nächsten Jahr noch durch ein schwieriges Fahrwasser gehen. Das liegt gar nicht so sehr an der Division E, sondern an der Gesamtentwicklung im Automobilmarkt insbesondere im Bereich der E-Mobilität.
Das Zweite sind Überlegungen zum Thema Portfolio. Dazu gehört die Frage, was stellen wir in Zukunft selbst her, was kaufen wir ein und welche Kostenvorteile können wir dann für unsere Systeme gewinnen. Der dritte Punkt ist die Frage der Fertigungsstandorte. Können wir weitere Kostensenkungspotenziale heben, indem wir Produkte verlagern?
Und die wahrscheinlich schwierigste Maßnahme ist die Restrukturierung im engeren Sinne, also die Anpassung der Mitarbeiteranzahl, die wir vornehmen müssen. Das ist besonders schwierig, weil es um Menschen geht. Intern haben wir immer transparent kommuniziert, dass es besser ist diese Anpassungen vorzunehmen, damit die große Zahl der verbleibenden Mitarbeiter eine Chance für die Zukunft hat. Diese vier Säulen treiben wir in diesem und im nächsten Jahr voran.
Nein.
ZF-Zentrale Friedrichshafen. Beim Zulieferer stehen wichtige Entscheidungen an.
Wir teilen das bewusst nicht auf, weil es letztendlich um Standorte geht. Wir wollen das nicht auf die Divisionen herunterbrechen, weil wir wie etwa in Schweinfurt auch Multidivisionsstandorte haben.
Ja, aber Partnerschaften sind nichts, was uns die Notwendigkeit der Restrukturierung nimmt, sondern damit wollen wir uns Chancen auf mehr Wachstum erschließen. Partner sind dann gut, wenn sie komplementär sind. Komplementär im Marktzugang mit den Kunden, aber auch bei den Technologien und dem Portfolio, das die Partner gemeinsam zusammenbringen.
In der Antriebstechnologie, in der es so viel Veränderung gibt, ist es meiner Meinung nach sehr opportun sich mit Partnern zusammenzutun, um die gewaltigen Herausforderungen zu bewältigen. Ich bin davon überzeugt, dass ein oder mehrere Partner für uns eine hervorragende Chance bieten, um parallel zu einer erfolgreichen Restrukturierung als Basis in der Zukunft wieder mehr Wachstum zu ermöglichen.
Ja, aber ich will nicht besserwisserisch sein. Vor drei oder vier Jahren war auch ich der Meinung, dass sich die Mobilität im Pkw vom Verbrenner zum E-Motor eher digital entwickelt.
Aber es zeigt sich, dass die Endverbraucher in den verschiedenen Weltregionen eine weitaus diversifizierte Meinung haben, wie dieser Antriebsstrang ausschauen soll. In den USA ganz anders als in China und in Europa, wo wir Regularien haben mit dem Verbrennerausstieg im Jahr 2035. An der Stelle müssen wir unsere Hausaufgaben noch einmal machen.
Aus meiner Sicht sollten wir viel technologieoffener sein. Es stellt sich die Frage was besser ist: Ein Fahrzeug mit einem Range Extender der hoch optimiert in einem bestimmten Fenster arbeiten kann und sehr wenig CO2 ausstößt oder kein Elektrofahrzeug. Meine feste Überzeugung ist, dass der Range Exender die bessere Alternative ist.
In den Wachstumszahlen und den Neuakquiseprojekten sehen wir, dass der Plug-in-Hybrid vor allem für den chinesischen und europäischen Markt wichtig ist. In den USA spielt er so gut wie keine Rolle. Wir sehen, dass derzeit alle Hersteller mit uns und anderen Zulieferern an Konzepten arbeiten, die in Richtung Hybridisierung beziehungsweise Range Extender gehen.
Unser Hybridgetriebe, das 8HP, haben wir jetzt in einer weiteren Evolutionsstufe entwickelt. Das Getriebe erfährt eine große Nachfrage. Viele Hersteller, die in der Vergangenheit kein Hybridkonzept mehr entwickelt haben, sind jetzt interessiert und überlegen, wie sie eine Hybridisierung noch in ihren Antriebsstrang integrieren können. Und genau darauf zielt das 8HP Evo ab.
Das Getriebe zeigt unsere Kernkompetenz und steht für die Wurzeln der Division E. Es integriert den E-Antrieb im Getriebe ohne den Verlust von Bauraum. Jetzt gibt es noch einmal 20 Prozent mehr Drehmoment, 25 Prozent mehr elektrische Leistung und eine erhöhte Effizienz, die dann mindestens zehn Prozent mehr Reichweite bringt. Das ist schon ein Superstück Technologie.
Saarbrücken ist der Dreh- und Angelpunkt für das Getriebe. Es ist das Leitwerk für die anderen Werke in den USA und Asien und wird damit immer eine zentrale Bedeutung haben. Natürlich müssen wir uns auch den Herausforderungen stellen, wie wir die Wettbewerbsfähigkeit in Saarbrücken erhalten und verbessern können.
Unsere Kunden haben den Anspruch, dass das Getriebe nicht nur gut funktionieren soll, sondern sich auch kostenseitig weiterentwickelt. Die erhöhte Nachfrage ist aber mehr als eine Sonderkonjunktur. Diese Änderung im Markt wird auch vorteilhaft für Saarbrücken sein.
Produktion 8-Gang-Hybridgetriebe für Pkw am ZF-Standort Saarbrücken. Die wiedererstarkte Nachfrage nach dem langjährigen Erfolgsmodell des Zulieferers hält Vorstand Mathias Miedreich für mehr "als eine Sonderkonjunktur".
In China. Dort ist der Range Extender auch entwickelt worden. Es freut mich sehr, dass wir in dem hart umkämpften Markt unseren ersten Serienauftrag akquirieren konnten. Wenn man die Zeitachse zwischen dem Gewinn des Auftrags bis zum Serienstart betrachtet, ist das für deutsche Verhältnisse in einem sehr kurzen Zeitraum geschehen.
Wir übertragen den gleichen Ansatz jetzt auf Nordamerika. Dort gibt es für den Range Extender auch viele Anfragen. Wir wollen auch dort eine lokale Lösung. Die Zeiten mit globalen Plattformen und Produkten, die weltweit eingesetzt werden, sind vorbei. Man benötigt marktspezifische Lösungen, die auch lokal produziert werden. Das löst viele Probleme, die wir heute im Hinblick auf die Zoll-Politik haben.
Da stehen wir noch am Anfang unserer Bemühungen, aber wir arbeiten auch nicht in Silos. Unsere Kollegen sind weltweit in einem engen Austausch.
Ich bin überzeugt davon, dass das auch bei uns in diese Richtung gehen wird. Das hängt mit dem Markterfolg der chinesischen Fahrzeughersteller zusammen. Wenn neue Konkurrenten in den deutschen oder europäischen Markt eintreten, dann ist das erst ein Exportmodell wie das in der Vergangenheit bei den Japanern und später auch bei den Koreanern der Fall war. Später folgt dann die lokale Produktion.
Das heißt, wenn wir erfolgreich Geschäfte mit chinesischen OEMs in Deutschland und Europa abschließen wollen, müssen wir hier deren Geschwindigkeit mitgehen. Das ist neben den Kosten der Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit. Ich habe selbst sechs Jahre in China gearbeitet und weiß daher, dass Kosten nicht alles sind, was ein chinesischer OEM möchte. Geschwindigkeit ist fast genauso wichtig.
Nicht die Zölle an sich sind das Hauptproblem, sondern dass sie sich ständig ändern. Auf der anderen Seite bieten sich ZF auch Chancen, weil wir einer der wenigen Hersteller im Getriebe- und im E-Mobilitätsbereich sind, der komplett global vertreten ist. Wir verfügen in allen Weltregionen sowohl über Entwicklung als auch Fertigung. Das ist für unsere Kunden interessant, weil wir mit unserer lokalen Produktion den Zöllen entgegenwirken können.
Aber die Zölle sind natürlich auch eine administrative Belastung. Sie betreffen nicht nur unsere Endprodukte, sondern wir importieren auch Komponenten für unsere Fertigung in den USA. Die Kosten des Prozesses dafür sind immens. Doch diese Kosten aus der Zollbelastung müssen zu 100 Prozent von unseren Kunden getragen werden. Am Ende des Tages bezahlt der, der bestellt hat. Das heißt, die Preise für Fahrzeuge in den USA werden steigen und dann werden wir sehen, welche Auswirkungen das hat.
Die Kunden waren in der Vergangenheit in puncto Verlässlichkeit sehr unterschiedlich. Das hat sich nicht verändert. Teilweise geht die Schere sogar weiter auf.
Unser Team hat sich von Beginn an mit einer diversifizierten Lieferkette aufgestellt. Das heißt, wir haben keinerlei Probleme in unseren Projekten.
Indien ist in vielen Themen ein sehr dynamischer Markt. Ich sehe auch, dass es dort mit der E-Mobilität vorangeht. Aber auch da lebt die E-Mobilität von der Ladeinfrastruktur und von der Bereitschaft der Kunden sich darauf einzulassen. Das ist in Indien sehr heterogen.
Indien ist ein sehr großes Land, in dem der Verbrennungsmotor noch länger eine große Rolle spielen wird. Im Bereich der E-Mobilität ist dort wahrscheinlich die Hybridisierung die Antwort. Wir arbeiten mit ersten indischen Fahrzeugherstellern in Vorprojekten, die genau diese Technologie nachfragen. Eine Herausforderung in Indien ist die nochmals größere Kostensensitivität als beispielsweise in China.