Humanoide Robotik: Darum kommt Schaeffler so schnell voran

Vor etwas mehr als einem Jahr hat Schaeffler Technologies den Einstieg in das Geschäftsfeld humanoide Roboter verkündet. Seither wurde das Thema intern mächtig vorangetrieben.

Inzwischen stehen die Strukturen und die Mannschaft. Und bereits im April präsentierten die Herzogenauracher auf der Hannover Messe ein breit gefächertes Produktportfolio. 

Das Tempo, das der Zulieferer anschlägt, passt zu seinen Ambitio­nen: Mit Blick Richtung 2030 will man im Bereich humanoide Robotik, der als das nächste globale Multimilliarden-Wachstumsgeschäft gehandelt wird, eine Schlüsselrolle einnehmen. Das sagt ­Jürgen Stölzle, Leiter Sales Humanoid Robotics bei Schaeffler.

Roboter als Arbeitskräfte in der Industrie sind eigentlich nicht neu. Mercedes etwa hat sich ­bereits 1971 damit befasst, wie man eintönige und belastende Fabriktätigkeiten auf Roboter übertragen kann.

Lange blieb das Thema unter dem Kapitel "Vision" stecken. Und wo es darüber hinauskam, brauchten die Akteure einen langen Atem. Inzwischen scheint die Schwelle zur Industria­lisierung genommen.

Wirtschaftlich betrachtet haben die humanoiden Roboter das Zeug, zum Gegenstand des nächsten großen technologischen Wettlaufs zwischen dem Westen und hier insbesondere den USA und auf der anderen Seite China zu werden. 

Laut einer Prognose von Goldman Sachs aus dem vergangenen Jahr könnte die globale Liefermenge humanoider Roboter – je nach Optimismus-Grad – 2035 zwischen 6,5 und elf Millionen Einheiten pro Jahr liegen. Durch den Einsatz humanoider Roboter sollen die Produktionskosten laut Industrieschätzungen um 20 bis 50 Prozent sinken.

Ungeachtet ­aller Milliarden-Zahlenspiele sind humanoide ­Roboter auch für Andre Heskamp, Leiter Advanced Automation Technology bei Schaeff­ler, dem Hype entwachsen und in der Realität angekommen. Ausschlaggebend sind für ihn die technologischen Durchbrüche.

"Wir sehen neue Formen von ­Humanoiden, die gänzlich neue Einsatzmöglich­keiten bieten. Die virtuelle Welt erlaubt es, Humanoide effizienter zu trainieren und direkt in reale Anwendungen zu übertragen", sagte er.

"Zum anderen sorgt generative KI dafür, dass Humanoide nicht mehr programmiert, sondern trainiert werden und selbstständig lernen." Diese Kombination und der Umstand, dass das Anwendungsgebiet der humanoiden Robotik weit über die ­industrielle Produktion hinausreicht, mache es zu einem Geschäftsfeld mit großem Potenzial.

Humanoide Roboter sieht man bei Schaeff­ler als Bereich, den man mit dem vorhandenen Know-how und der schon bestehenden Positionierung nahezu ideal­  bespielen kann. So sind Leichtbau, Effizienz und Präzi­sion von großer Bedeutung für den Einsatz der Humanoiden.

Beispielsweise verfügen die menschenähnlichen Roboter typi­scherweise über 25 bis 30 Gelenke, die Bewegung präzise und energieeffizient steuern müssen. Die dazu benötigten Komponenten wie Aktoren, Lager und E-Antriebe zählen zur Kernkompetenz von Schaeffler, wenn auch bislang nicht primär für Humanoide bestimmt.

Wie etwa das ursprünglich für den Einsatz in Industrierobotern entwickelte zweireihige Schrägnadellager XZU, das sich in einer kompakten, gewichtsoptimierten Variante auch für humanoide Anwendungen eignet. "Wir nutzen Synergien bestmöglich, um technologische Lösungen zu finden", sagt Stölzle.

Die Zielsetzung, agil und effi­zient die Synergien im Unternehmen zu nutzen, spiegelt sich auch in der Organisationsform wieder. Schaeffler hat sämtliche Aktivitäten bezüglich humanoider Robotik in einem eigenen, von Produktionsvorstand Andreas Schick ­geführten Bereich gebündelt.

I­nhaltlich arbeiten abteilungsübergreifend Teams zu. Zudem hat man den Bereich von Anfang an global aufgestellt mit Teams in Asien, Amerika und Europa.

Damit trägt man auch in der Organisationsform der Erwartung Rechnung, dass sich die humanoide Robotik in den Nordamerika, Europa und Asien mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und unterschiedlicher Ausprägung entwickeln wird.

Einen Vorteil verortet Heskamp im "jahrzehntelangen Wissen aus der Anwenderperspek­tive" in Robotik. Erst kürzlich hat Schaeffler eine Kooperation mit Nvidia verkündet, in der es darum geht, alle 100 Werke in das Nvidia Omniverse einzubinden.

Mitarbeiter können dann KI-gestützte Produktionsprozesse simulieren und optimieren. Zudem ermöglicht die Plattform den flexiblen Einsatz von Zukunftstechnolo­gien wie humanoiden Robotern in der Fertigung.

Eine weitere wichtige Kooperation, um das Thema in der Produktentwicklung und auf der Anwenderseite voranzutreiben, ist die Kooperation mit  Agility Robotics. Das Unternehmen hat mit dem Digit bereits einen menschenähnlichen Roboter im Einsatz.

Im vergangenen November hat Schaeffler die Übernahme einer Minderheitsbeteiligung an dem US-Unternehmen bekannt gegeben. Perspekivisch will man humanoide Roboter des US-Unternehmens im gesamten globalen Schaeffler-Werksnetz einsetzen.

Darüber hinaus arbeiten die Unternehmen gemeinsam an einen Use Case, der derzeit am Standort Frauenaurach vorangetrieben wird: Dabei geht um ein Materialhandling-Szenario. Der Humanoid muss erkennen, welche Objekte vor ihm liegen, wie er sie optimal greifen kann, in welcher Reihenfolge die Entnahme erfolgen soll und wie er den Weg von A nach B möglichst effizient und sicher gestaltet.