Die fünf Szenarien für das Audi-Werk Brüssel

Wie geht's weiter mit dem Audi-Werk in Brüssel? Am Dienstagabend hatte der Premiumhersteller verkündet, eine Umstrukturierung zu planen und Optionen bis hin zur Schließung des Werks zu prüfen. Die Beschäftigten im belgischen Werk, das seit 2007 zu Audi gehört, reagierten geschockt.

Jetzt beginnen Gespräche zwischen der Marke Audi, dem Mutterkonzern Volkswagen, der belgischen Politik und den belgischen Gewerkschaften, um eine Perspektive für den traditionsreichen Standort. Im Audi-Werk Brüssel arbeiten aktuell rund 3300 Personen, die in einer Schicht das Elektro-SUV Q8 e-tron bauen. Das Modell wird aber kaum mehr nachgefragt. 2023 wurden in Brüssel 53.555 Elektromodelle gefertigt.

Bei den zukünftigen Optionen für Brüssel ist zudem die Lage des Werks enorm nachteilig. Der Standort erstreckt sich schmal entlanggezogen im Südwesten Brüssels mit einer großen Bahntrasse auf der westlichen Seite und Wohngebieten auf der östlichen Seite. Möglichkeiten zur Erweiterung des Werks, oder für einen großen Umbau, gibt es nicht.

Die Automobilwoche sagt, um welche Zukunftsszenarien es in Brüssel jetzt geht und wie wahrscheinlich das jeweilige eintreten ist.

Es wäre die Wunschlösung des mächtigen Audi-Betriebsrats: Die 3300 Beschäftigten behalten ihre Jobs bei Audi und das Werk gehört weiter zum Produktionsnetzwerk der Ingolstädter. Dass dann in den Hallen im Südwesten Brüssels weiter Fahrzeuge gefertigt werden, gilt aber als ausgeschlossen.

Denkbar wäre eine neue Ausrichtung als Batterieproduktionsstätte, um dann Hochvoltspeicher mit dem direkt am Werk liegenden Gleisanschluss an andere Audi- oder auch Volkswagen-Standorte zu liefern. Eine Lösung, die auch den gering ausgelasteten Böllinger Höfen (Produktion e-tron GT) zu neuem Schub verhelfen könnte. 

Audis Betriebsrat gibt sich schon jetzt kämpferisch. Im Juni unterzeichneten die Mitglieder des Audi-Ausschusses, einem Netzwerk aller internationalen Standorte und Tochterunternehmen eine Solidaritätserklärung mit den Beschäftigten des Werks Brüssel und überreichten sie dem Audi-Vorstand. Auch die belgischen Gewerkschaften sind streitlustig und legten bereits im vergangenen Oktober die Arbeit nieder, um für ihre Zukunft zu kämpfen.

Audis Schritt an die Öffentlichkeit am vergangenen Dienstag ließ eine interne Lösung im Volkswagen-Konzern eigentlich als ausgeschlossen erscheinen – schließlich hätten die Ingolstädter sie finden können, ohne vorher die Beschäftigten von der geplanten Umstrukturierung zu berichten.

Doch eine Rettung des Werks durch eine andere Volkswagen-Marke ist weiter möglich. 2007 nahm Audi der Kernmarke Volkswagen den Standort ab, der dort unter anderem den Golf bauen ließ. Wird Brüssel jetzt weitergereicht?

Allerdings: Interessenten dürften aufgrund der beengten Lage und der geringen Kapazität von nur 150.000 Fahrzeugen jährlich nicht gerade Schlange stehen. Was aber möglich wäre: Volkswagen erhält den Standort mit weniger Beschäftigten als bisher als Komponentenfertigung.

Wie schon bei der möglichen Batterieproduktion würde Brüssel dann der gute Bahnanschluss helfen und zusätzlich die zentrale Lage in Westeuropa. Die Option liegt zumindest auf dem Tisch. Ob CEO Oliver Blume ein Herz für Brüssel entwickelt, ist aber noch offen.

Nach der Parlamentswahl in Belgien am 9. Juni sind die Regierungsverhältnisse im westlichen Nachbarland Deutschlands noch ungeklärt. König Philippe beauftragte am Mittwoch den flämischen Nationalisten Bart De Wever mit der Regierungsbildung.

Die Gespräche zur Zukunft des Werks Brüssels führte noch der abgewählte Ministerpräsident Alexander De Croo mit Audi. Jetzt müssten sich die Ingolstädter mit einer neuen, deutlich konservativeren Regierung über mögliche Subventionen und einen Rettungsplan für die 3300 Beschäftigten auseinandersetzen.

Klar ist aber: Eine hauptstadtnahe Industrieanlage mit guter Logistik ist für die belgische Wirtschaft grundsätzlich von Interesse, erst recht wenn auf politischer Ebene neue Subventionen ins Spiel kommen.

Dass im Brüsseler Stadtteil Forest zukünftig in den jetzigen Audi-Hallen andere Dinge als Autos gebaut werden, ist nicht abwegig. Vor allem, weil es rund um das Werk keine etablierte Zuliefererindustrie gibt, die Brüssel auf Automobilproduktion festlegt. 

Das Szenario geisterte schon durch Ford-Werk Saarlouis: Deal geplatzt – Vertrauen verspielt: Statt Hersteller Ford, die das Werk aufgeben werden, übernimmt ein neuer chinesischer Hersteller Produktionsanlagen und Personal. Immer wieder wurde in diesem Frühjahr BYD als Interessent genannt, doch der chinesische Autoriese errichtet inzwischen lieber zwei eigene, neue Werke in Ungarn und der Türkei.

Auch in Brüssel dürfte es schwer werden, einem neuen Hersteller aus China das Werk schmackhaft zu machen. Zu klein, zu beengt, zu hohe Lohnkosten – Brüssels Nachteile, die Audi zu einer Neustrukturierung zwingen, würde jeder Wettbewerber mit einkaufen.

Der Trend für große chinesische Hersteller geht zu "Greenfield"-Lösungen, also Neubauten mit viel Fläche, anstatt bestehende Strukturen zu übernehmen. Zudem buhlen in Europa schon Auftragsfertiger wie Magna um neue Player aus China. Auch für das VDL-Nedcar-Werk im holländischen Born unweit der deutschen Grenze fand sich schon kein Käufer. Brüssel ist unter den derzeitigen Gegebenheiten ebenfalls nicht attraktiv genug für einen externen Wettbewerber, dem Audi seinen Standort andrehen könnte.

Die ultimative Drohkulisse von Audi. "In diesem Prozess erörtert die Werkleitung gemeinsam mit den zuständigen Sozialpartnern Lösungen für den Standort. Dazu kann auch eine Einstellung des Betriebs gehören, sollte keine Alternative gefunden werden", heißt es scharf in der Mitteilung zur Umstrukturierung für Brüssel. Dass das Werk in Belgien allerdings komplett dichtgemacht wird, glaubt in der Branche aktuell kaum jemand. 

Vor allem, weil die rechtlichen Hürden extrem hoch sind. Seit der überraschenden Schließung eines Renault-Werks im belgischen Vilvorde 1997 gelten in Belgien scharfe Gesetze, sobald ein großes Werk gefährdet ist. Sämtliche möglichen Alternativen müssen zuvor geprüft, alle Szenarien durchgespielt werden. Dieser Prozess ist von Audi jetzt mit der Mitteilung vom Dienstag angestoßen worden. 

"Wir hoffen, dass im Zuge der Entscheidung, im nun eingeleiteten Konsultationsprozess, eine tragfähige und nachhaltige Lösung erarbeitet wird", sagt Audis stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Rita Beck. Die möglichen Szenarien zur Zukunft von Brüssel liegen auf dem Tisch.