Online-Teilehändler Autodoc: "Wir haben den Börsengang nicht platzen lassen"

Eigentlich sollte der 25. Juni ein großer Tag für Autodoc werden. Mit einer angestrebten Bewertung von 2,4 Milliarden Euro wollte der Berliner Online-Autoteilehändler einen der größten Börsengänge des Jahres hinlegen. Wirtschaftlich schien alles angerichtet: 2024 stieg der Umsatz um 19 Prozent auf 1,56 Milliarden Euro, das Ergebnis (EBITDA) um 13 Prozent auf 151 Millionen Euro.

In letzter Minute kam dann doch die Absage. Im Interview erläutern CEO Dmitry Zadorozhny und CFO Lennart Schmidt die Hintergründe und ihre ambitionierten Expansionspläne.

Dmitry Zadorozhny: Wir haben den Börsengang nicht platzen lassen, sondern beschlossen, ihn zu verschieben. Autodoc ist ein starkes, Unternehmen, das finanziell gut dasteht. Doch die allgemeine Situation auf den Finanzmärkten war sehr angespannt.

Es war eine Frage von Stunden, in denen wir entschieden haben, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt ist. Autodoc verdient mehr Aufmerksamkeit, als es an diesem Tag, in dieser Situation bekommen hätte. Der Börsengang von Autodoc ist also nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben.

Zadorozhny: Das hängt von den Finanzmärkten ab. Wir brauchen ein passendes Fenster, eine gute Marktlage und dann werden wir es möglicherweise wieder probieren. Wir sprechen intensiv mit allen beteiligten Parteien, dem Aufsichtsrat, den Banken und Anwälten und versuchen so, mögliche Slots zu identifizieren.

Zadorozhny: Das klingt so negativ. Ich würde eher sagen: Aller guten Dinge sind drei. Wenn die Bedingungen stimmen, dann würden wir das Going Public erneut anvisieren und dann auch erfolgreich mit dem Listing zu Ende bringen.

Lennart Schmidt: Das war Teamarbeit und eine gemeinsame Entscheidung. Als wir beschlossen haben, die Transaktion zu verschieben, gab es eine vollständige Übereinstimmung zwischen den bestehenden Aktionären – also Apollo und unseren drei Gründern – sowie den beteiligten Banken und uns als Managementteam.

Schmidt: Ja, womöglich hätte das passieren können. Lassen Sie mich die Dynamik erklären, die wir gesehen haben: Als es erste Spannungen zwischen Iran und Israel gab, haben wir diskutiert, ob dieser Zeitpunkt der richtige ist. Wir haben dann beschlossen, weiterzumachen, auch in der Erwartung, dass sich die Dinge beruhigen und die Volatilität an den Finanzmärkten und damit die Risiken für einen Börsengang zurückgehen.

Am Wochenende, bevor wir den Preis für den Börsengang festgesetzt hatten, ist der Konflikt aber stattdessen weiter eskaliert. Das führte zu einer deutlich erhöhten Unsicherheit auf den Finanzmärkten.

Schmidt: Wir haben nicht nur von Investoren in Deutschland sehr positives Feedback erhalten, sondern hatten darüber hinaus auch von verschiedenen Hedgefonds starke Nachfrage. Wir waren also auf dem richtigen Weg. Allerdings wäre die Performance nach dem Börsengang höchstwahrscheinlich nicht weiter so positiv gewesen.

Daher haben alle Parteien gemeinsam entschieden, dass das dies nicht der Start ist, den wir für ein erfolgreiches Unternehmen wie Autodoc an der Börse wollen. Wir sind profitabel, quasi schuldenfrei und zahlen seit Jahren Dividenden. Unser Profil ist einzigartig! Da ergibt es keinen Sinn, uns für einen Start an der Börse zu rüsten, der potenziell negativ ist.

Schmidt: Wir erwarten auch dieses Jahr wieder ein starkes Wachstum mit einer Umsatzsteigerung zwischen 14 und 19 Prozent. Grundsätzlich erwarten wir auch danach weiterhin ein zweistelliges prozentuales Wachstum.

Schmidt: Auch die sind nach wie vor stark. Wir rechnen mit einer EBITDA-Marge zwischen 9 und 9,8 Prozent.

Zadorozhny: Wir wachsen weiter sehr stark im B2C-Bereich, das ist unser Kerngeschäft. Aber seit 2023 investieren wir in B2B, und dieses Geschäft wächst rasant. 2023 hatten wir einen Umsatz von 18 Millionen Euro, 2024 waren es bereits 68 Millionen. Das ist ein explosives Wachstum. Und jetzt erweitern wir unser B2B-Geschäft von Frankreich aus in ganz Europa.

Zadorozhny: Wir wollen unsere Position in einigen Ländern weiter verbessern. Wir setzen stark auf Großbritannien und Italien – hier sind wir nicht so stark, wie wir sein könnten. Die Kundenerfahrung in diesen Ländern muss noch besser werden, unter anderem durch ein Lager in UK mit einem marktangepassten Sortiment.

Zadorozhny: Wir sind in Europa sehr stark, sehen aber noch an vielen Stellen Luft nach oben. Mittelfristig fokussieren wir uns deshalb auf unseren Heimatmarkt und wenn wir hier gut dastehen, kommen die nächsten Schritte.

Schmidt: Auf den B2B-Bereich entfallen rund 80 der insgesamt 100 Milliarden Euro Marktvolumen im europäischen Kfz-Teilemarkt. Das Potential ist also riesig. Wir planen in diesem Jahr die 68 Millionen Euro Umsatz aus 2024 etwa zu verdoppeln. Im ersten Quartal 2025 lag unser Wachstum sogar bei rund 173 Prozent.

Damit haben wir selbst nicht gerechnet. Ein klares Ziel, wo wir in ein paar Jahren stehen wollen, gibt es noch nicht. Bisher haben wir uns allein darauf konzentriert, in unserem Pilotmarkt Frankreich alles richtig zu machen und zu lernen. Jetzt folgt der europaweite Rollout.

Zadorozhny: Wir haben 17 Jahre gebraucht, um unser B2C-Geschäft aufzubauen. Wenn wir dem B2B-Geschäft genauso viel Zeit geben, würde ich sagen: Ja, auf jeden Fall.

Zadorozhny: Diese wollen wir gar nicht angreifen. Unser Mehrwert ist ein anderer: Werkstätten zahlen beim Kauf von Teilen über regionale Großhändler einen Aufpreis für deren Infrastruktur vor Ort. Im Gegenzug erhalten sie die Lieferung noch am selben Tag, oft sogar binnen weniger Stunden.

Die Realität ist aber, dass Werkstätten meist mehrere Tage im Voraus wissen, dass ein Kunde zur Wartung kommt und beispielsweise ein Wechsel der Bremsscheiben ansteht. Es ist also bekannt, welche Komponenten benötigt werden.

Wenn sich Werkstätten vorausschauender organisieren und diese Teile vorab bei uns bestellen, können sie diese 20 bis 30 Prozent günstiger als beim Großhändler bekommen. Dieses Margenpotential kann in einem umkämpften Markt wie dem Werkstattgeschäft für sie überlebenswichtig sein.

Zadorozhny: Wir sind nicht so verrückt zu sagen, dass wir alle klassischen Händler ersetzen. Das können und wollen wir gar nicht. Zumal es manchmal auch einfach schnell gehen muss. Wenn zum Beispiel ein Auto auf der Hebebühne steht und Sie merken, dass der Bremssattel defekt ist, sie aber nur Bremsscheiben bestellt haben, dann brauchen Sie die Teilelieferung sofort.

Unser Ziel ist, rund 30 Prozent des Einkaufsvolumens der Werkstätten zu erreichen. Und dass wir allein in Frankreich bereits mehr als 20.000 Werkstätten angeschlossen haben, beweist, dass unsere Kunden für diese Idee empfänglich sind.

Zadorozhny: Nicht für alle. Die großen Distributoren sind weiterhin im Vorteil, weil auch wir bei ihnen bestellen. Und in deren Hauptgeschäft mit gleichtägigen Lieferungen werden wir nicht einsteigen.

Zadorozhny: Wir treten nicht an, um andere Akteure zu verdrängen. Wir haben ein starkes Konzept für einen riesigen Markt. Autos werden immer älter und komplexer. Das macht Reparaturen zusehends aufwendiger und teurer. Damit wächst der Markt insgesamt. Und hier möchten wir eine der ersten Adressen sein.

Zadorozhny: Bisher lagen wir in Frankreich bei zwei bis drei Tagen. Seit wir aber in Belgien ein neues Lager für die Region eröffnet haben, liegt unsere B2B-Lieferzeit bei einem Tag. Wenn Sie vor 16:00 Uhr bestellen, wird die Ware noch am selben Tag versandt und im Idealfall direkt am nächsten Tag geliefert.

Das ist auch unser Ziel. Taggleiche Lieferungen werden wir nicht anbieten, weil wir dafür pro Region mehr als ein zentrales Distributionszentrum bräuchten. Damit wäre unsere schlanke Kostenstruktur nicht mehr zu halten.

Zadorozhny: Unser Sortiment umfasst 6,7 Millionen Artikel. Es gibt so gut wie kein Teil, das Sie bei Autodoc nicht bekommen. Wahr ist aber, dass Sie auf manche Teile ein wenig warten müssen.

Wir haben in unseren Lagern vor allem Waren mit einer hohen Umschlagsgeschwindigkeit, weil wir effizient sein und die Kosten im Auge behalten müssen. Doch selbst die allergrößten Großhändler können nicht alle Artikel vorrätig halten. Auch da kann es Ihnen passieren, dass Sie länger als einen Tag warten müssen.

Schmidt: Wir arbeiten mit mehr als 200 Lieferanten zusammen und aggregieren deren Bestände. Seit diesem Jahr kommt außerdem noch unser Autodoc-Marktplatz dazu, auf dem Verkäufer unsere Plattform und unseren Traffic nutzen können, um Teile zu verkaufen.

Darunter sind viele Händler, die sich auf Nischen wie Oldtimer oder US-Autos spezialisiert haben. Das macht unser Sortiment noch größer als es ohnehin schon ist. Auch hier war Frankreich Anfang des Jahres unser Pilotmarkt. Inzwischen sind auch Deutschland, Österreich, Südeuropa – mit Italien, Spanien und Portugal – sowie die Benelux-Staaten hinzugekommen.

Zadorozhny: Wir vergleichen uns nicht mit Amazon, denn unser Geschäftsmodell ist anders. Wir haben uns auf unser spezifisches Segment spezialisiert. Über 240 Verkäufer aus verschiedenen Ländern sind inzwischen auf unserer Plattform aktiv.

Mittlerweile umfasst unser Marketplace rund 675.000 neue Produkte. Einige Verkäufer liefern zwar in mehrere Länder, wir konzentrieren uns aber auf diejenigen, die sich auf eine Region fokussieren. Das garantiert möglichst kurze Lieferzeiten. 

Vielen Dank für das Gespräch!