Stuttgart. Welch ein Wandel! Was Golf-Enthusiasten von Loch zu Loch beförderte und gehbehinderte Fluggäste zu weit entfernten Gates brachte, setzt nun die komplette Autoindustrie unter Hochspannung: Elektrofahrzeuge stehen kurz vor dem Durchbruch zur Massenfertigung. Sie gelten als Lösung für die globalen Klimaprobleme und letztlich als Retter der individuellen Mobilität. „Momentan erleben wir in Sachen Mobilität einen fundamentalen Umbruch. Die Menschen wollen Kraftstoff sparen, die Umwelt schützen - aber im Auto auch weiterhin Leistung spüren, die Spaß macht", sagte Technikvorstand Karl-Thomas Neumann im Interview mit der Automobilwoche.
Experten bescheinigen alternativen Antrieben innerhalb von kaum zwei Fahrzeuggenerationen riesiges Potenzial. Die Unternehmensberatung Roland Berger erwartet in einer Szenario-Analyse, dass Fahrzeuge, die ganz oder teilweise elektrisch fahren können, in Europa bereits im Jahr 2020 einen Marktanteil von 25 Prozent haben. „Steigende Ölpreise, die zunehmende Besorgnis in der Bevölkerung bezüglich des Klimawandels und die herausfordernden Umweltauflagen haben das Potenzial, in den nächsten zehn Jahren tief greifende Veränderungen in der weltweiten Automobilindustrie außulösen - dramatischer als alles, was in den letzten 50 Jahren passiert ist", urteilen Analysten der Deutschen Bank in einer aktuellen Studie. Der Wandel wird die gesamte Branche erfassen - Hersteller, Zulieferer und den Handel.
HERSTELLER: Kampf um neue Batterien
Inzwischen haben alle Hersteller auf die veränderten Rahmenbedingungen reagiert und für die nächsten Jahre Fahrzeuge mit Verbrennungs- und Elektromotor (Hybride) beziehungsweise reinem Elektroantrieb angekündigt. „Die Zukunft, das ist sicher, wird den emissionsfreien Elektromotoren gehören - betankt an der Steckdose", sagte VW-Chef Martin Winterkorn vor Kurzem beim Start eines Flottenversuchs mit 25 sogenannten Plug-in-Hybrids. Diese können im Gegensatz zum herkömmlichen Hybridfahrzeug über Nacht an der Steckdose aufgeladen werden, was für eine höhere Reichweite sorgt.
Ab 2015 dürften Fahrzeuge mit Batterieantrieb signifikante Stückzahlen erreichen und bereits einen Beitrag zur CO2-Reduzierung leisten, so der oberste Powertrain-Entwickler von Daimler, Herbert Kohler. Als Schlüssel für Hybride und rein elektrische Fahrzeuge gilt die Lithium-Ionen-Batterie, die in einem sogenannten milden Hybrid der Mercedes S-Klasse 2009 weltweit zum ersten Mal in einem Pkw auf den Markt kommt. Entwicklungs- und Zulieferpartner ist Continental.
Um schnell konkurrenzfähige Produkte zu entwickeln, ist ein Kampf der Autoproduzenten und Zulieferkonzerne um die innovativsten Batterie- und Zellenlieferanten entbrannt. „Die Batterien können bis zu 75 Prozent der Zusatzkosten für ein Hybridfahrzeug ausmachen", kalkulieren Analysten der Deutschen Bank. Ob der Durchbruch für Hybrid- und Elektrofahrzeuge tatsächlich gelingt, hänge vorrangig von der erzielbaren Kraftstoffeinsparung ab. So könne sich ein Plug-in-Hybrid innerhalb von vier Jahren amortisieren.
Der französische Autohersteller Renault ist zuversichtlich, dass sich das Elektroauto bis 2013 rechnet. „Die Kosten der Bauteile werden sinken und der Wert der Fahrzeuge ohne Schadstoffausstoß steigen. Dadurch werden solche Projekte rentabel", so Renault-Markenchef Patrick Pélata.
Eine weitere wichtige Rolle beim angestrebten Durchbruch der Batteriefahrzeuge ist die Infrastruktur. „Die Technologie steht in den Startlöchern", so Daimler-Chef Dieter Zetsche, „jetzt ist es an der Zeit, dass auch Energieversorger und Mineralölkonzerne ihr Engagement unter Beweis stellen." Die Chancen dafür sind so gut wie noch nie in der Geschichte des Automobils. „Es steht bereits eine ganze Reihe von Energieversorgern und anderen Unternehmen in den Startlöchern, um eine flächendeckende Infrastruktur zum Aufladen der Batterien aufzubauen", sagt Unternehmensberater Wolfgang Bernhart. Der Düsseldorfer Energieversorger EON etwa beteiligt sich an dem Flottenversuch von VW. Attraktiv ist der neue Markt laut Bernhart deshalb, weil die Versorger den notwendigen Energiebedarf aus den ohnehin vorhandenen Nachtstromkapazitäten decken können und die Investitionen in Aufladestationen überschaubar sind.
Ungeklärt ist bislang, wer die Elektroantriebe bauen wird, Zulieferer oder Hersteller. Und: Was passiert mit den Tausenden Motorenbauern in den Unternehmen?
ZULIEFERER: Getriebe werden überflüssig
Massive Auswirkungen werden die neuen Antriebe vor allem auf das
jahrzehntelange Verhältnis der Autohersteller zu ihren traditionellen Powertrain-Zulieferern haben. Dabei kommen die Lieferanten gleich von zwei Seiten unter Druck: weil Motoren- und Getriebekomponenten überflüssig werden und weil die Autohersteller das wachsende neue Geschäft mit Batterien und Elektromotoren zu einem großen Teil selbst für sich beanspruchen dürften. „Die Batterie und der Elektromotor sind für uns keine Commodities, die wir einkaufen wollen. Wenn man diese Komponenten von Dritten bezieht, muss man Kompromisse eingehen, die sich vielleicht ein Volumenhersteller leisten kann, nicht aber ein Premiumanbieter wie wir", stellt Mercedes-Manager Kohler klar. Welchen Weg Daimler einschlägt, werde sich in Kürze entscheiden.
Bei Continental ist man sich dessen bewusst. „Große Hersteller wie VW und BMW müssen sich schon jetzt überlegen, wie sie ihre Mitarbeiter in der Antriebsentwicklung und im Motorenbau eines Tages beschäftigen wollen", sagt Vorstand Neumann. „Den Zulieferern können sie das Arbeitsgebiet Elektromotoren nicht komplett überlassen, sonst nehmen ihnen die Lieferanten bei Weitem zu viel Wertschöpfung weg."
Auch wenn der Verbrennungsmotor, wie alle Experten unisono betonen, noch mindestens 20 Jahre lang der beherrschende Antrieb auf der Welt bleiben wird, beginnt das Marktvolumen für Powertrain-Komponenten schnell zu schmelzen. Sowohl beim reinen Batteriefahrzeug als auch beim Plug-in-Hybrid fällt das Getriebe weg. Während das reine Elektrofahrzeug keinen Verbrennungsmotor mehr braucht, ist dieser beim Plug-in-Hybrid ein hoch standardisiertes Hightech-Produkt. „Zwischen 2010 und 2020 werden auf der Motoren- und Getriebeseite rund elf Milliarden Euro Umsatz wegfallen. Das sind rund 25 Prozent weniger als heute", schätzt Bernhart mit Blick auf den prognostizierten Marktanteil von 25 Prozent für Plug-in-Hybride und reine Elektrofahrzeuge.
„Nicht alle Zulieferer sind auf dieses Szenario vorbereitet", weiß der
Unternehmensberater.
HANDEL: Kein Motoröl, keine Zündkerzen
Die Werkstätten hingegen bereiten sich auf eine Zukunft mit weniger Motoröl und Zündkerzen vor, ihre Service-Ausrüster arbeiten an der nötigen Technik. „Die Autobauer müssen bereits zur Markteinführung der Elektro-Modelle Diagnosewerkzeuge anbieten", sagt Harald Hahn vom Verband der Service-Ausrüster (ASA). Das Deutsche Kfz-Gewerbe (ZDK) bereitet zusammen mit Berufsgenossenschaften und Herstellerverbänden Schulungen für den neuen Service vor. „Wir brauchen eine Weiterbildung für Arbeiten an den Hochvolt-Anlagen", sagt ZDK-Geschäftsführer Helmut Blümer.