Berlin. Wenn Daimler-Konzernchef Dieter Zetsche auf der Hauptversammlung am Mittwoch den Aktionären Rechenschaft über das abgelaufene Geschäftsjahr ablegt und die Perspektiven für das Unternehmen erläutert, werden im Publikum rund 150 Zuschauer sitzen, die das Ganze als eine Art Reality-Theateraufführung verfolgen. "Eine solche Versammlung ist in sich selbst hochinszeniert. Es gibt ein Bühnenbild. Die Vorstände, der Aufsichtsrat und die Aktionäre haben verschiedene Rollen," beschreibt Stefan Kaegi, einer der drei Regisseure von Rimini Protokoll. Ziel des Berliner Theateraktionisten ist es, allen die Augen öffnen, dass der durch ritualisierte Treff von Managern und Aktionären auch nur eine Inszenierung ist. Störaktionen sind jedoch keine geplant, wie Kaegi klarstellt.
Um normales Theaterpublikum in die Hauptversammlung zu schleusen, zu der normalerweise nur Aktionäre Zutritt haben, haben Rimini Protokoll Daimler-Aktionäre im Vorfeld dazu aufgerufen, ihre Rechte abzutreten oder eine Begleitperson mitzunehmen. Auch der Kauf einer Aktie wurde empfohlen, die Transferkosten bezahlen die Theatermacher. Auf diese Art und Weise kamen 150 "Eintrittskarten" zusammen. Kaegi schätzt dass weitere 50 bis 100 Leute auf eigene Faust dazu stoßen.
Während der "Aufführung" können die Theaterbesucher über Handy Tonspuren abrufen: Dabei wird beispielsweise die Rede von Zetsche mit Opermusik untermalt. Oder es lassen sich typische Theatergeräusche wie Applaus, Pfiffe und Buhrufe herunterladen. In den Pausen finden an verschiedenen Orten im Veranstaltungsgebäude so genannte Nischengespräche statt. Dabei haben die Theaterbesucher die Gelegenheit, mit Aktionärsvertretern, einen Aufsichtsrat und einem ehemaligen Daimler-Manager zu sprechen.
Reguläre Aktionäre können übrigens jederzeit mitmachen und sich zum Beispiel ein Programmheft besorgen. Dort finden sich die Beschreibung der einzelnen Rollen ebenso wie die Erläuterung des Bühnenbilds sowie fiktive Dialoge realer Personen. Das Programmheft gibt es am Infostand vor dem Haupteingang des Berliner Kongresszentrums. Es wird auch drinnen verteilt.
Rimini Protokoll sind Helgard Haug (Jahrgang 1969), Stefan Kaegi ( Jahrgang 1972) und Daniel Wetzel (Jahrgang 1969). Sie haben am Giessener Institut für Angewandte Theaterwissenschaft studiert und arbeiten in unterschiedlichen Konstellationen unter dem Label Rimini Protokoll. Sie gelten als die "Protagonisten und Begründer eines neuen Reality Trends auf den Bühnen“ (Theater der Zeit), der die junge Theaterszene geprägt hat. Die Arbeiten finden in der bunten Zone zwischen Realität und Fiktion statt und haben international Aufmerksamkeit erregt. Seit 2000 entwickeln sie auf der Bühne und im Stadtraum ihr Experten-Theater, das nicht Laien sondern Experten der Wirklichkeit ins Zentrum stellt. Im Zentrum ihrer Arbeit steht die Weiterentwicklung der Möglichkeiten des Theaters, ungewöhnliche Sichtweisen auf unsere Wirklichkeit zu ermöglichen. Seit 2004 haben Rimini Protokoll im Hebbel am Ufer ein Büro und damit Berlin zur Ersten Adresse ihrer internationalen Theaterarbeit gemacht.