Die Konferenz gibt es schon seit Anfang der 70er Jahre. Damals gab es eine dramatische Zahl von Verkehrstoten und Schwerverletzten. Die erste Konferenz war ein wichtiger Startschuss zur Verbesserung der passiven Sicherheit. Auf der deutschen Seite haben sich vor allem Daimler und VW sowie einige Hochschulen stark engagiert und erstmals experimentelle Sicherheitsfahrzeuge gebaut. Ingesamt kann man sagen, dass es durch viele Maßnahmen gelungen ist, die Zahl der Verkehrstoten nahezu jedes Jahr zu reduzieren, obwohl gleichzeitig die Neuzulassungen und Fahrleistungen stark gestiegen sind. Seit Anfang der 1990er Jahre geht es zunehmend darum, die Entwicklung und Verbreitung von Systemen der aktiven Sicherheit voranzutreiben.
Dekra fordert gesetzliche Einführung von Basissystemen wie ABS und ESP
Während Knautschzonen, der Sicherheitsgurt und Airbags große Meilensteine der passiven Sicherheit waren, sind weitere Fortschritte vor allem mit Systemen der aktiven Sicherheit zu erreichen. Allerdings muss dann die Verbreitung von Basisfunktionen wie ESP und ABS sowie darauf aufbauenden komplexeren Systemen wie die Kollissionwarnung, dem Spurwechselassistenten bis zur vorausschauenden Notbremsung vor allem in den kleinen Fahrzeugklassen stark zunehmen. Die Statistiken sagen, dass etwa 90 Prozent der Unfallursachen durch menschliches Versagen bedingt sind. Nur rund zehn Prozent entfallen auf Fehler am Fahrzeug und unzureichende Straßen. Es geht also darum, dem Fahrer Hilfestellung zu geben um Unfälle zu verhindern. Allerdings gäbe es auch eine sehr einfache Möglichkeit, die Sicherheit von Fahrzeuginsassen quasi umsonst deutlich zu erhöhen.
Wir haben in Deutschland gemessen mit anderen Ländern eine bereits hohe Anschnallquote von etwas über 90 Prozent bei Pkw. Kämen wir auf 100 Prozent, könnte die Zahl der Verkehrstoten um bis zu 17 Prozent sinken. Im schweren Lkw sind sogar nur die Hälfte der Fahrer angeschnallt.
Dieses Ziel ist in der Europäischen Union wohl nicht mehr zu erreichen. Einzelne Länder wie Deutschland und Frankreich könnten die Halbierung ihrer Verkehrstoten aber noch schaffen. Im Jahr 2008 ging diese Zahl hierzulande um 9,7 Prozent auf 4.467 zurück. Bis zum Jahr 2010 müsste eine Reduzierung auf 3.489 gelingen, entsprechend einer jährlichen Abnahme von jeweils elf bis zwölf Prozent. Die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes liegen für Januar und Februar 2009 vor. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum war hier ein Rückgang um 18 % gegeben. Die aktuelle Wirtschaftskrise führt dazu, dass weniger Güter auf den Straßen transportiert werden. Weniger Verkehrsleistung wirkt sich prinzipiell positiv auf die Unfallstatistik aus. Mit der "Abwrackprämie“ fördert der Staat im Laufe des Jahres 2009 die Verschrottung von bis zu 2 Millionen Pkw mit einem Alter von mehr als neun Jahren. Dies führt zu einer Verjüngung der gesamten Pkw-Flotte, die damit auch sicherer wird. Diese Sondereffekte können somit die Erreichung des ambitionierten Zieles der Halbierung der Zahl der Verkehrstoten bis zum Jahr 2010 unterstützen. Für die gesamte EU, die ja heute 27 Mitgliedstaaten umfasst, sieht das anders aus. Hier konnte von 2006 auf 2007 erstmals kein Rückgang der Verkehrstoten verzeichnet werden. Nach den aktuellen Schätzungen auf Basis der bisher vorliegenden Zahlen von 2001 bis 2007 wird bei Fortsetzung der Trends das Ziel der Halbierung erst im Jahr 2018 gelungen sein. In der vormaligen Union mit 15 Mitgliedstaaten könnte dies im Jahr 2013 erreicht werden.
Dazu hat Dekra ein klare Position: Basissysteme wie ESP und ABS müssen zwingend vorgeschrieben werden. Der Gesetzgeber muss aber auch einen technischen Mindeststandard verankern. Durch die großen Stückzahlen kommen die Mehrkosten für den Hersteller wieder herein. Das grundlegende Problem ist, dass die Mehrheit der Autokäufer nicht bereit ist, für die Sicherheit mehr zu bezahlen. Das liegt auch daran, dass im Autohaus viele Sonderausstattungen wie Infotainment-Systeme und Alufelgen aktiv verkauft werden, nicht aber Fahrerassistenzsysteme. Häufig können die Verkäufer über die Funktion von Systemen der Fahrzeugsicherheit nicht umfassend genug informieren. Da könnten gezielte Schulungen helfen. Außerdem können die Versicherer durch Rabatte für entsprechend ausgerüstete Fahrzeuge die Verbreitung von modernen Fahrzeugsicherheitssystemen erhöhen.
Derzeit haben die Hersteller die Freiheit, das ESP so auszulegen wie sie es wollen. Das führt dazu, dass die Systeme von sehr unterschiedlicher Qualität sein können. Selbst wenn ein grundsätzlich gutes System beim Systemlieferanten eingekauft wird, kann die Leistung in den einzelnen Fahrzeugmodellen sehr differieren – etwa weil es eine Spritsparversion mit schmäleren Reifen ist. Weil die Applikation teuer ist, fällt sie gerade im unteren Preissegment häufig weg. Dekra bemüht sich deshalb mit den Herstellern und Zulieferern, Kriterien für einen Mindeststandard zu schaffen. Ehrlicherweise muss man sagen, dass wir damit zumindest beim ESP zu spät kommen. Hier werden die Verbraucherschutzorganistionen die Messlatte definieren, was aus Industriesicht nicht immer in die richtige Richtung geht.
Im Moment wird alles noch in den Fachgremien beraten. Wahrscheinlich ist aber, dass in Europa ein Testverfahren für ESP aus den USA in der Homologation übernommen wird. Im Prinzip passt das Verfahren nicht optimal auf europäische Straßen. Für die exportorientierten Unternehmen hat ein weltweit einheitliches Verfahren aber große Kostensvorteile. Man muss feststellen, dass insbesondere im Premiumbereich und im mittleren Segment die gesetzlichen Vorgaben sehr viel niedriger sind als das, was der Wettbewerb in Europa fordert.
Das ist richtig. Geplant ist eine neue Skalierung: Es gibt nach wie vor fünf Sterne in der Gesamtbewertung des Fahrzeuges. Aber um die gleiche Anzahl zu bekommen, müssen mehr Kriterien erfüllt werden – dazu gehört auch die aktive Sicherheit. Die Anforderungen für den NCAP-Test sollen dann jedes Jahr an den aktuellen technischen Stand angepasst werden.
In Europa sind wir hier ja schon seit Jahrzehnten auf einem sehr guten Weg. Hier haben wir einheitliche europäische technische Regelwerke der Fahrzeugzulassung, in denen auch Crashtests definiert sind. Eine weltweite Vereinheitlichung ist derzeit die große Herausforderung. In den vergangenen Jahrzehnten sind organisch gewachsene nationale Regeln auf Basis des realen Unfallgeschehens und der Fahrzeugsicherheitsforschung entstanden. Es gibt vor allem in den USA zum Teil deutlich andere Sichtweisen als in Europa. Allerdings steht die weltweite Branche vor zwei großen Herausforderungen: Um Co2 zu sparen, müssen die Fahrzeuge deutlich leichter werden. Außerdem dürfen die Fahrzeuge nicht noch teurer werden. Das darf allerdings nicht zu Lasten der Sicherheit gehen. Mit weltweit einheitlichen Crash-Tests ließen sich enorme Summen an Entwicklungskosten sparen.
Das ist eher unwahrscheinlich. Es macht keinen Sinn, beispielsweise die Geschwindigkeit von 64 km/h beim Euro-NCAP Frontalcrash zu erhöhen. Die erreichten Erfolge und aktuelle Trends zeigen, dass die definierten Standards der passiven Fahrzeugsicherheit zur Minderung von Unfallfolgen wirksam sind. Weitere Fortschritte sind vor allem von der aktiven Fahrzeugsicherheit zur Vermeidung von Unfällen zu erwarten. Darüber hinaus erschließen sich durch eine integrierte Sichtweise mit Verknüpfung von Funktionen der aktiven mit der passiven Sicherheit weitere Potenziale. Künftig geht es aber vielmehr darum, die gleiche passive Sicherheit mit einem leichteren Fahrzeug und einer kostengünstigeren Karrosserie zu erzielen. Ein zentraler Punkt ist dabei die Karosseriesteifigkeit und die Effektivität der Lastpfade. Diese nehmen die Aufprallenergie auf und leiten sie auch in stoßferne Bereiche der Karosserie weiter. Bei einem schweren Unfall muss vor allem die Fahrgastzelle erhalten bleiben, während in der Folge der Rest des Fahrzeuges Schrott sein kann. In dieser intakten Fahrgastzelle sorgen dann hochentwickelte Rückhaltesysteme und Abpolsterungen von anstoßkritischen Bereichen für eine möglichst geringe Belastung der Insassen.
Ein aktuelles Thema ist die Kommunikation zwischen den Fahrzeugen sowie der Fahrzeuge mit dem Verkehrsumfeld. Mit geeigneten technischen Systemen und deren Vernetzung ist es heute schon möglich, dass sich die Fahrzeuge gegenseitig vor Gefahren warnen. Ab einer bestimmten Eskalationsstufe können dann auch Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. In diesen Prozess ist natürlich auch der Fahrer mit einzubeziehen.
Ein relativ neues Thema der Fahrzeugsicherheitsforschung ist das normale, natürliche Fahren ohne Hilfsmittel. Im Fachjargon heisst das "naturalistic driving“. Dazu gab es in den USA eine erste groß angelegte Feld-Vorstudie mit 100 beteiligten Fahrzeugen. In Deutschland steht man hier noch am Anfang. Im Unterschied zu anderen Feldstudien, so genannten Field Operational Tests, die bereits die Auswirkungen eines bestimmten Systems im Fahrzeug auf das Verhalten des Fahrers untersuchen, geht das "naturlistic driving“ an die Wurzeln: Wie gehen die unterschiedlichen Typen von Autofahrern mit ihren Fahrzeug in den verschiedenen Situationen des realen Straßenverkehrs um?