Stuttgart. Was auf den ersten Blick wie absurde Größenwahn-Phantasien von Fiat-Chef Sergio Marchionne anmutet, erweist sich bei genauerer Betrachtung als kühl kalkulierter Schritt: Der vor wenigen Jahren schon tot gesagte Fiat-Konzern will nach dem beschlossenen Einstieg beim insolventen US-Hersteller Chrysler nun auch Opel übernehmen und dann weltweit zweitgrößter Pkw-Hersteller nach Toyota werden. Marchionne nutzt eine vielleicht einmalige historische Chance, um sich mit einem großen Schlag aus der Defensive zu befreien. Der Fiat-Chef hält im Volumensegment nur die Hersteller für langfristig überlebensfähig, die zwischen 5,5 und sechs Millionen Pkw im Jahr produzieren. Davon ist Fiat mit knapp 2,2 Millionen Pkw und leichten Nutzfahrzeugen meilenweit entfernt. Während sich zaudernde Autobosse weltweit darauf beschränken, die Produktion zu kürzen, Sparpakete zu schnüren und den Mittelabfluss einzudämmen, ergreift der Italo-Kanadier deshalb die Initiative. Er agiert damit als wahrer Manager und scheut auch Risiken nicht.
Diese sind allerdings nicht so hoch, wie sie scheinen. Bei Chrysler beispielsweise befreit die Insolvenz das hohe Verluste schreibende Unternehmen von Altlasten - wie 6,9 Milliarden Dollar Schulden, zu hohen Tarifabschlüssen und vor allem Gesundheits- und Pensionslasten, die das Engagement des früheren Fusionspartners Daimler letztlich zum Milliardengrab werden ließ. Während Marchionne die Grobsanierung also der US-Regierung überlässt, schielt er gleichzeitig auf die üppigen, öffentlichen Finanzspritzen die dem drittgrößten US-Hersteller auf Jahre hinaus das Überleben sichern sollen. Experten schätzen, dass Chrysler nochmal 20 Milliarden Dollar benötigt, bis die Produktion von neuen Kleinfahrzeugen mit Fiat-Technologie angelaufen ist.
Dies ist der dritte clevere Schachzug von Marchionne: Weil er weiß, dass der ebenfalls mit Milliarden Euro verschuldete Fiat-Konzern selbst überhaupt nicht in der Lage ist, Chrysler mit Cash zu unterstützen, bringt er eigene Plattformen und Motorentechnologie ein. Das heißt er bekommt den Anteil an Chrysler quasi umsonst - und er muss sicherstellen, dass er die anteiligen Verluste nicht in die eigene Bilanz übernehmen muss.
Das Risiko für Fiat ist also überschaubar. Die Chance, endlich in den USA Fuß zu fassen und damit neben den 2,5 Millionen Fahrzeugen von Chrysler eigene Kleinwagen dort zu verkaufen ist dagegen riesengroß.