Stuttgart. Daimler und Rolls-Royce wollen den Großdieselmotorenhersteller Tognum aus Friedrichshafen übernehmen und in ein Gemeinschaftsunternehmen einbringen. Dazu soll in Kürze ein öffentliches Übernahmeangebot für rund 3,2 Milliarden Euro vorgelegt werden. "Wir wollen bei Daimler profitabel wachsen. Durch den geplanten Zusammenschluss mit Rolls-Royce und die Übernahme von Tognum können wir zusätzlichen Mehrwert für unsere Aktionäre schaffen“, begründete Daimler-Chef Dieter Zetsche während einer Telefonkonferenz das Vorhaben. Daimler wolle im Grundsatz ein Automobilunternehmen bleiben. Dennoch liege kein anderes Geschäft als das von Tognum näher an den heutigen Kernaktivitäten, sowohl was die Märkte als auch die Technologien angehe. "Deshalb können wir das Wachstum mit hoher Sicherheit absichern“, betont Zetsche.
Tognum ist im M-Dax notiert und auf Motoren, Antriebssysteme sowie Komponenten im Bereich Marine, Rüstung sowie anderen industrielle Anwendungen (Off-Highway) konzentriert. Daimler hält bereits 28,4 Prozent an dem in Friedrichshafen ansässigen Unternehmen und liefert von Lkw-Aggregaten abgeleitete Dieselmotoren mit einem Umsatzvolumen von jährlich 250 Millionen Euro. Für das Jahr 2010 prognostiziert der Großdieselhersteller mit knapp 9000 Mitarbeitern einen Konzernumsatz von 2,6 Milliarden Euro. Rolls-Royce ist an der Londonder Börse notiert. Im Geschäftsjahr 2010 erzielten die Briten einen Umsatz von 11,1 Milliarden Pfund und einen Gewinn vor Finanzierung von 1,1 Milliarden Pfund. Rolls-Royce baut Triebwerkwerke für zivile und militärische Flugzeuge, ist besonders stark im Marinegeschäft aufgestellt und verfügt über Aktivitäten bei der stationären Engergieerzeugung.Daimler und Rolls-Royce wollen Tognum übernehmen
Konkret bieten Daimler und Rolls-Royce 24 Euro pro Aktie, was den Deal insgesamt mit maximal 3,2 Milliarden Euro bewertet. Bezogen auf den durchschnittlich gewichteten Aktienkurs von Tognum zahlen die Partner eine Prämie von rund 22 Prozent pro Aktie. Allerdings sind die 24 Euro exakt der Ausgabekurs zum Zeitpunkt des Börsengangs im Jahr 2007. An der Börse legten die Tognum-Papiere weiter zu und notierten über dem Angebotspreis. Damit signalisieren die Investoren, dass sie mit einer Aufstockung der Offerte rechnen. Seit Bekanntwerden des Übernahmeinteresses am Montag hatten die Aktien bereits gut ein Viertel an Wert gewonnen.
Der Aufbau des neuen Anbieters im Industriemotorenmarkt soll in drei Schritten stattfinden. Die Basis bildet ein paritätisches Gemeinschaftsunternehmen (New Co), das heute den Sitz in Stuttgart hat, später aber in Friedrichshafen ansässig sein soll. In dieses Unternehmen bringt Daimler die Beteiligung an Tognum ein (28,4 Prozent). Sobald die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die dort eingereichte Übernahmeofferte genehmigt hat – das soll in maximal zehn Kalendertagen der Fall sein – wird das Angebot an die Tognum-Aktionäre veröffentlicht und beginnt zu laufen. "Die Offerte ist an eine Akzeptanzquote von 50 Prozent plus eine Aktie geknüpft“, erklärt Daimler-Finanzvorstand Bodo Uebber. Sollten den Partnern tatsächlich alle Aktien angedient werden, dürfte Daimler seiner Einschätzung nach maximal 700 Millionen Euro aus der Liquiditätsreserve bezahlen müssen. Inklusive der bestehenden Anteile beläuft sich der Einsatz der Stuttgarter auf 900 Millionen Euro. Auf Rolls-Royce würden maximal 1,4 Milliarden Euro entfallen. Dabei ist noch offen, zu welchem Preis das Marinegeschäft bewertet wird, das die Briten in einem dritten Schritt in das Joint Venture einbringen wollen. Der Wert von "Bergen Motoren“ soll in einem vertieften Prüfverfahren (Due Diligence) noch ermittelt werden. In dieser Einheit hat Rolls-Royce das Geschäft mit mittelschnellen diesel- und gasbetriebenen Kolbenmotoren für Marine-Antriebssysteme und Hilfsgeneratoren gebündelt. Bei einem Umsatz von 400 Millionen Euro dürfte der Wert in ähnlicher Größenordnung liegen. "Die Bündelung der Innovations-, Technologie- und Fertigungsexpertise stellt für Rolls-Royce, Daimler und Tognum eine einmalige Chance dar. Die Bündelung unserer sich perfekt ergänzenden Kompetenzen verschafft uns eine global führende Rolle“, so Sir John Rose, CEO des britischen Unternehmens.Die beiden Partner beziffern den Markt für Industriemotoren auf derzeit mehr als 30 Milliarden Euro und rechnen mit überdurchschnittlichem Wachstum. Treiber sind einerseits die starke Nachfrage aus den Schwellenländern sowie anspruchsvollere Emissionsauflagen, die sich den Grenzwerten bei Lkw annähern. "Ein wesentlicher Baustein in unserem Business Plan ist Wachstum, das wir durch die gemeinsame Unterstützung noch verstärken können. Mögliche Kosteneffizienzen und Synergien wird es geben, diese sind aber nicht vorrangig“, so Zetsche. Daimler und Rolls-Royce versprechen deshalb, keine Stellenstreichungen bei der Stammbelegschaft von Tognum in Friedrichshafen oder anderen Werken zu planen. Die Zentrale von Tognum soll ohne Abstriche erhalten bleiben. Durch die Wachstumsstragie sollen die Arbeitsplätze abgesichert sein. Dagegen soll Tognum vom weltweiten Netzwerk der potentiellen Muttergesellschaften profitieren. Auch an der geplanten Nachfolgeregelung an der Unternehmensspitze wollen die neuen Eigner nach bisheriger Planung festhalten. Im September soll der Vorstandsvorsitz an den aktuellen Finanzvorstand Joachim Coers übergehen.
Während Tognum vor kurzem den Ausstieg aus dem Geschäft mit Brennstoffzellen zur stationären Energieversorgung angekündigt hat, soll nun Rolls-Royce bei einer erfolgreichen Übernahme diese Aktivitäten erwerben und die Geschäftsmöglichkeiten innerhalb von zwölf Monaten neu bewerten. Das heutige Management von Tognum begrüßte die Übernahmeofferte grundsätzlich. "Wir würden einen weltweiten Technologieführer für Antriebssysteme und die dezentrale Energieerzeugung schaffen“, so Tognum-Chef Volker Heuer. Gleichzeitig wäre Tognum mit zwei finanzstarken Investoren hervorragend aufgestellt, die weitere Konsolidierung des Marktes aktiv mitzugestalten. Noch offen ist, ob das Management, das rund zehn Prozent der Tognum-Aktien hält, diese andient.Für Zetsche ist der Schritt eine "wirtschaftlich hoch vernünftige Transaktion“: "Wir haben vor, uns langfristig strategisch in diesem Geschäft zu engagieren. Gleichzeitig haben wir aber auch eine Versicherungspolice geschlossen, die die Werthaltigkeit unseres eingesetzen Kapitals garantiert.“ Dabei handelt es sich um eine im Vertrag mit Rolls Royce fixierte Verkaufsoption (put option). Diese wird unter nicht näher erläuterten Umständen wirksam. Dabei müssen die Briten auf Verlangen von Daimler die Anteile zu Anschaffungskosten übernehmen.
Für Daimler bedeutet die Tognum-Übernahme eine Rolle rückwärts. Der Dieselmotorenspezialist, der damals noch MTU Friedrichshafen hieß, gehörte schon bis Ende 2005 zum Autokonzern, wurde jedoch vom damaligen Daimler-Chef Jürgen Schrempp an den schwedischen Finanzinvestor EQT für 1,6 Milliarden Euro verkauft. Das Unternehmen kam im Juli 2007 zurück an die Börse. 2008 erwarb Daimler dann wieder mehr als ein Fünftel an Tognum. (mit Material von dpa)