Stuttgart. Während in den deutschen Pkw-Werken von Daimler noch tausende Ferienarbeiter beschäftigt sind, muss der Stuttgarter Autobauer im Werk Sindelfingen überraschend kurzfristig auf die Bremse treten. Die Produktion werde an die Nachfrage angepasst, so ein Unternehmensprecher. Darüber habe es Gespräche mit dem Betriebsrat gegeben. Dabei scheinen Mercedes-Produktionsvorstand Wolfgang Bernhard und Daimler-Personalvorstand Wilfried Porth allerdings nicht nur die Drosselung der Fertigung im Auge zu haben, sondern auch auf zusätzliche Kosteneffekte zu schielen. Dem Betriebsrat zufolge kam es bei den Verhandlungen über die Schichtpläne für das vierte Quartal zu Meinungsverschiedenheiten. In der Folge hat das Unternehmen nun eine Schiedsstelle angerufen, die bei Konflikten rund um Themen des Betriebsverfassungsgesetzes vermitteln soll.
Entzündet hat sich der Streit, weil Daimler eine kostengünstige Schichtvariante durchsetzen wollte. Fährt das Unternehmen statt einer Früh- und Spätschicht nur noch mit der Frühschicht fallen Spätschichtzulagen für die Mitarbeiter weg. Die Alternative wäre beide Schichten mit einem reduzierten Programm beizubehalten. Kurzarbeit ist nicht geplant. "Wir fordern das Unternehmen auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und mit uns gemeinsam eine tragfähige Lösung zu suchen. Wir haben konstruktive Vorschläge, wie die Fahrweise im 4. Quartal für alle Beteiligten vernünftig geregelt werden kann", so Ergun Lümali, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender im Werk Sindelfingen.Daimler-Sparzwang provoziert Streit mit Betriebsrat
Daimler- und Mercedes-Chef Dieter Zetsche hat in der vergangenen Woche überraschend eine Gewinnwarnung für die Pkw-Sparte herausgegeben. Aufgrund der sinkenden Nachfrage in China und in Europa wird Mercedes-Benz Cars demnach einen rückläufigen Gewinn vor Zinsen und Steuern (EBIT) im Gesamtjahr ausweisen. Im Jahr 2011 hat die Sparte knapp 5,2 Milliarden Euro und eine Rendite von 9,0 Prozent erzielt. Gleichzeitig hat Zetsche ein Sparprogramm angekündigt, das Unternehmenskreisen zufolge eine Millarde Euro bringen soll. Vor wenigen Monaten erst kündigte Bernhard die Reduzierung der Materialkosten um sechs Milliarden Euro bis 2017 an. Daimler strebt in der Pkw-Sparte schon seit Jahren nach einer operativen Rendite von zehn Prozent. Im kommenden Jahr soll dieses Niveau erreicht und im Durchschnitt über die Geschäftszyklen gehalten werden. Außerdem will Daimler bis 2020 BMW und Audi beim Absatz und der Profitabilität überholen, die beide mehr als zwölf Prozent erreichen. Im zweiten Quartal war das EBIT von Mercedes-Benz Cars um 16 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro zurückgegangen. Die Umsatzrendite schwächte sich von 10,7 auf 8,6 Prozent ab.
In Sindelfingen laufen neben C-Klasse und CLS auch S- und E-Klasse vom Band. Die Nachfrageschwäche wirkt sich vor allem bei der S- und E-Klasse aus. "Wir spüren bei diesen Modellen einen gewissen Life-Cycle-Effekt", räumt ein Mercedes-Sprecher ein. Die S-Klasse erhält im kommenden Jahr einen Nachfolger, bei der E-Klasse steht eine umfassende Modellpflege an. In Sindelfingen wurden im vergangenen Jahr 484.000 Fahrzeuge produziert. "Unser Produktionsprogramm ist in diesem Jahr aber auf Wachstum ausgelegt. Wir planen für 2012 mit einem Rekordabsatz", betonte der Sprecher. Im vergangenen Jahr 2011 hat die Sparte über 1,381 Millionen Fahrzeug der Marken Mercedes-Benz, Smart und Maybach verkauft. In den ersten acht Monaten liegt die Sparte mit über fünf Prozent im Plus. Dagegen ist das Kompaktwagenwerk Rastatt mit der neuen A- und B-Klasse voll ausgelastet. Auch im Werk Bremen, wo die C-Klasse und der Luxussportwagen SL gefertigt werden, läuft die Produktion normal.Noch vor wenigen Wochen hatten Zetsche und Bernhard von prall gefüllten Auftragsbüchern und einer insgesamt hohen Kapazitätsauslastung geschwärmt. Deshalb hat Daimler in den deutschen Pkw-Werken über den Sommer mehr als 4300 Ferienarbeiter eingestellt und unter Hochdruck produziert. Auch in der Finanz- und Wirtschaftkrise im Laufe des Jahres 2008 war Daimler lange auf dem Gas geblieben, während andere Hersteller die Produktion bereits frühzeitig gedrosselt haben. Später mussten die Stuttgarter so abrupt auf die Bremse treten, dass sie tief in die roten Zahlen fuhren. Damals musste Daimler Milliarden Euro notsparen und Mitarbeiter heftige Einbussen bei ihren Bezügen verkraften. Noch heute leidet die Pkw-Sparte unter diesen Effekten - etwa bei der Produktivität.