Stuttgart. Getrag spürt zunehmend Gegenwind durch die schwache Automobilnachfrage in Europa und stellt sich auf noch schwierigere Zeiten ein. "Die Situation ist ernst. Wir sind extrem vorsichtig, was das Jahr 2013 angeht", so Mihir Kotecha, Chef des Getriebeherstellers mit Sitz in Untergruppenbach bei Heilbronn. Sollte sich die Situation weiter verschlechtern will Getrag mit Schließtagen in einzelnen Werken beziehungsweise mit Kurzarbeit regieren. Eine Reduzierung der Kapazitäten durch Werksschließungen und Entlassungen sind nicht geplant - auch nicht im Joint Venture mit Ford. Für das kommende Geschäftsjahr peilt Kotecha einen Umsatz von 3,3 Milliarden Euro an.
Getrag erzielt in diesem Jahr mit 1,8 Milliarden Euro 60 Prozent des Konzernumsatzes in Europa. Größter Kunde ist Ford. Der US-Hersteller hat vor kurzem die Schließung von drei Werken in Europa angekündigt und rechnet in diesem und dem nächsten Jahr mit einem Verlust von je 1,5 Milliarden Dollar. Trotz der schwierigen Lage in Europa zeigt sich die Getrag-Gruppe in diesem Jahr stabil: Kotecha stellt einem Umsatz von 3,1 Milliarden Euro und einen Gewinn vor Zinsen und Steuern (EBIT) von 188,9 Millionen Euro in Aussicht. Die operative Marge liegt bei 6,2 Prozent und damit über der selbst gesteckten Mindestrendite von fünf Prozent.Der Automobilzulieferer schneidet damit etwas schlechter ab als er noch im Mai in Aussicht gestellt hatte: Damals hatte Kotecha einen Umsatz von 3,2 Milliarden Euro und einen stabilen Gewinn angepeilt. Im Jahr 2011 hatte Getrag Erlöse von 3,0 Milliarden Euro und ein EBIT von 191,6 Millionen Euro ausgewiesen. Darin enthalten war allerdings das Achsengeschäft der ersten neun Monate, das dann verkauft worden war. Anstatt wie geplant in diesem Jahr 3,1 Millionen Handschalter zu verkaufen und den Absatz von Doppelkupplungsgetrieben erstmals auf über eine Million Einheiten zu steigern, kam Getrag auf knapp 2,8 Millionen Handschalter und 943.000 Doppelkupplungsgetriebe.Getrag fährt "extrem vorsichtig" ins Jahr 2013
In Europa geht Getrag auf absehbare Zeit nicht von einer Rückkehr zu den hohen Neuwagenverkäufen der Jahre 2007 und 2008 aus. Deshalb versucht das Unternehmen, die Fertigung innerhalb der verschiedenen Werke in Europa auszugleichen und vorhandenen Kapazitäten zu nutzen, um andere Regionen zu bedienen. So beliefert das Werk im italienischen Bari die Doppelkupplungsfertigung in Mexiko, von wo aus der amerikanische Markt bedient wird. "Generell profitieren wir davon, dass wir mit den Doppelkupplungsgetrieben wachsen und hier der Fertigungsumfang höher ist als bei Handschaltern", so Vertriebsvorstand Bernd Eckl: "Möglicherweise müssen wir 2013 aber in einigen Bereichen kurzarbeiten."
Insgesamt sieht Kotecha das Unternehmen viel flexibler und konjunkturresistenter aufgestellt als noch vor wenigen Jahren: "Wir sind seit 2011 net cash positiv und planen das auch für 2013. Unser Ziel ist es, die Verschuldung in den nächsten Jahren weiter abzubauen." Der Getriebehersteller im Besitz der Familie Hagenmeyer war Ende 2008 aufgrund der Wirtschaftskrise und eines hochgradig fremd finanzierten Expansionskurses in heftige Turbulenzen geraten. Nach hohen Verlusten in den Jahren 2008 und 2009 wurde vorübergehend sogar eine Bürgschaft des Landes Baden-Württemberg über 20 Millionen Euro benötigt, um einen Zwischenkredit abzusichern. Im November 2010 hatte Präsident Tobias Hagenmeyer die Führung überraschend an Mihir Kotecha übertragen.Die Gefahr, dass sich Getrag angesichts der ehrgeizigen Expansionspläne erneut verheben könnte, sieht Kotecha derzeit nicht: "Im Gegensatz zu 2008 verdienen wir mit dem Doppelkupplungsgetriebe bei einem Volumen von knapp einer Millionen Einheiten Geld." Während heute rund ein Drittel des Umsatzes auf das Doppelkupplungsgetriebe entfällt und der Rest auf Handschalter, dürfte das Verhältnis in fünf bis sieben Jahren bei je der Hälfte des Umsatzes liegen. Insgesamt will der Konzern sowohl mit Handschaltern in Schwellenländern als auch mit Doppelkupplungsgetrieben in reifen und jungen Märkten stark wachsen. 2016 rechnet Getrag mit einem Absatzvolumen von 5,6 Millionen Getrieben und einem Umsatz von 3,6 Milliarden Euro. Innerhalb der kommenden fünf Jahre erwartet das Unternehmen allein in Asien einen Umsatz von einer Milliarde Euro.
Getrag nimmt für sich in Anspruch, der Anbieter mit dem breitesten Produktportfolio bei den Doppelkupplungsgetrieben zu sein. Das Angebot reicht von Getrieben für Kleinfahrzeuge im Low-Cost-Segment bis zu High-Performance-Anwendungen. Mit dem neuen Sieben-Gang Doppelkupplungsgetriebe 7DCT300 und dem darauf basierenden 7HDT300 Doppelkupplungsgetriebe für Hybridfahrzeuge deckt das Unternehmen nun weitere Drehmomentbereiche und Fahrzeugapplikationen ab. Das 7DCT300 ist das erste Getriebe einer modular aufgebauten Familie von Automatikgetrieben. Sie wird in den nächsten Jahren mit dem 7DCT500 und dem ab 2015 in China gefertigten, kompakten 6DCT150 weiter ergänzt."Bis 2018 wollen wir unser Portfolio konsolidieren und das Gleichteil-Volumen dramatisch steigern", so Kotecha. Ziel sei es, die Zahl der Plattformen von heute sieben auf weniger als die Hälfte zu reduzieren. Das hohe Niveau der Forschungs- und Entwicklungsausgaben soll beibehalten werden.Nach Ansicht von Entwicklungsvorstand Didier Lexa wachsen die Chancen für Getrag auch, weil viele Hersteller, die heute noch Getriebe selbst fertigen, zunehmend Aufträge nach draußen geben müssen: "Wir sehen diesen Trend. Die Hersteller wollen möglichst alle Segmente besetzen, diese Vielfalt - auch mit der Elektrifizierung des Antriebsstrangs - können sie alleine nur noch schwer darstellen."
Die deutschen Werke Neuenstein und Rosenberg haben jeweils Großaufträge erhalten, die zu einer vollen Auslastung bis 2020 führen. In Rosenberg werden zwei neue manuelle Sechsgang-Gang Getriebe (6MTT220, 6MTT350) gefertigt werden. Das geplante Gesamtproduktionsvolumen liegt bei 300.000. Der Produktionsstart ist für September 2013 geplant.In Neuenstein wird der Masterplan, der für die Umstrukturierung des Werkes zu einem Doppelkupplungsgetriebewerk steht, wie geplant zum Jahresende abgeschlossen. Das Werk wird bis 2017 Schritt für Schritt das Fertigungsportfolio auf Doppelkupplungsgetriebe umstellen. "Diese beiden Beispiele zeigen, dass wir auch in Deutschland nach wie vor in der Lage sind, wettbewerbsfähig zu produzieren", so Kotecha.