Neuer Bosch-Chef fragt Mitarbeiter um Rat

Stuttgart. Der neue Bosch-Chef Volkmar Denner tritt sein Amt mit einer ungewöhnlichen Maßnahme an. In einem Brief forderte er die mehr als 300.000 Beschäftigten zur Mitarbeit bei der Neustrukturierung des Unternehmens auf: "Bei der weiteren Ausrichtung unserer strategischen Schwerpunkte in der Balance zwischen Stabilität und Veränderung sind mir Ihr Wissen und Erfahrung ganz besonders wichtig." Konkret formulierte der 55-jährige promovierte Physiker zwei Fragen: Was hat sich bei Bosch bewährt, was sollten wir auf jeden Fall beibehalten? Was sollten wir verändern, um uns für die Zukunft erfolgreich aufzustellen?

Denner übernimmt zum 1. Juli den Vorsitz der Geschäftsführung bei der Robert Bosch GmbH. Er löst Franz Fehrenbach ab, der dafür die Bosch Industrie Treuhand KG leitet, die Machzentrale hinter den Kulissen. Dabei wird Fehrenbach nicht nur die operative Unternehmensführung überwachen und strategische Impulse geben, sondern auch in der Öffentlichkeit gesellschaftliche Themen besetzen.

Mit seinem Brief und der Meinungsumfrage verordnet Denner dem traditionsbewussten Stiftungsunternehmen einen ziemlich radikalen Kulturwandel. In einem hierarchisch und mit einer Null-Fehler-Mentalität geprägten Unternehmen fordert er, "dass wir überraschende innovative Lösungen stärker in offener kritischer Diskussion entwickeln, im Führen durch Fragen und weniger über umfrangreiche Präsentationen". Dass der neue Chef diesen Weg gehen und dabei von Fehrenbach unterstützt wird, ist schon seit längerer Zeit klar. In der Mitarbeiter-Zeitung "Bosch-Zünder" hat Fehrenbach zu Jahresbeginn bereits kritisch angemerkt: "Wir sollten uns fragen, ob es uns bisweilen nicht an Beweglichkeit, Wendigkeit, Flexibilität und an Risikobereitschaft fehlt."

Die Notwendigkeit für eine Veränderung ist allerdings nicht auf den ersten Blick ersichtlich: Der Automobilzulieferer und breit aufgestellte Technologiekonzern ist in vielen Bereichen technologisch führend, kann wie kein anderes Unternehmen hohe Stückzahlen in höchster Präzision produzieren und ist als Stiftungsunternehmen vor kurzfristigen Aktionärsinteressen gefeit. Ein Blick in den Jahresabschluss 2011 zeigt allerdings auch, dass trotz jahrelanger Bemühungen um ein besseres Ausbalancieren der Sparten die Kfz-Technik noch immer der Gewinnbringer im Unternehmen ist. Im vergangenen Jahr lieferte sie mit 2,3 Milliarden Euro 85 Prozent des operativen Konzerngewinns.

Dagegen rutschte die Industrietechnik mit 364 Millionen Euro in die roten Zahlen. Auslöser dafür war der Geschäftsbereich Solarenergie, in den Bosch seit 2008 mehr als zwei Milliarden Euro investiert hat. Der Gewinn des Unternehmensbereichs Gebrauchsgüter und Gebäudetechnik stagnierte bei 730 Millionen Euro.

In seinem Brief an die Mitarbeiter erinnerte Denner deshalb dran, dass "weder eine lange Firmengeschichte noch eine dominierende Marktposition Garantien für Erfolg in der Zukunft sind". Dies zeigten einige prominente Beispiele anderer Firmen aus der jüngsten Zeit. "In Zeiten zunehmend dynamischerer und vernetzer Märkte mit höherer Unsicherheit müssen wir den erfolgreichen Pfad in die Zukunft sorgfältig absichern", so der Bosch-Chef.

Auslöser für die Neuausrichtung von Bosch ist maßgeblich die Vernetzung von Gebrauchsgegenständen mit dem Internet. Dies betrifft nahezu jedes Produkt der Stuttgarter – angefangen vom Auto über den Kühlschrank und Elektrowerkzeuge bis zu Maschinen und Anlagen in der Industrie. Dadurch verändern sich Geschäftsmodelle und ganze Industrien - viel schneller als jemals zuvor. Hiervon will Bosch profitieren, dürfte aber mit der traditionellen technokratischen Ausrichtung im Wettbewerb mit der experimentierfreudigen IT- und Consumer-Electronics-Industrie Schwierigkeiten haben. "Hier können wir nicht mit klassischen Lasten- und Pflichtenheften operieren. Hier müssen wir ganz andere Freiheitsgrade und Vorgehensweisen zulassen", so Fehrenbach im "Zünder".

Für Denner heißt die neue Devise "nutzerzentrierte Produktentwicklung", die als Querschnittsaufgabe für alle Sparten die Marschrichtung darstellen soll. Vereinfacht gesagt will Bosch Produkte schaffen, die den wahren (unausgesprochenen) Bedürfnissen der Nutzer entsprechen. Dass die Kunden zufrieden sind, reicht dem neuen Bosch-Chef nicht mehr: "Wir wollen Produkte, die unsere Kunden begeistern, geschaffen von Menschen mit Leidenschaft und Herz." (Foto: Bosch)