Stuttgart. Renault und der französische IT-Dienstleister Atos haben rund um das neue vernetzte Navigations- und Multimediasystem R-Link eine strategische Partnerschaft mit einem weltweit bislang einzigartigen Geschäftsmodell vereinbart. "Wir rechnen transaktionsbezogen ab. Das heißt, wir erhalten pro vernetztem Fahrzeug beziehungsweise pro Dienstleistung einen bestimmten Betrag", sagt Thilo Stieber, der bei Atos für das neue Geschäftsfeld Offering Connected Vehicle verantwortlich ist, im Gespräch mit der Automobilwoche. Offizieller Start ist im Januar, wenn das R-Link-System im neuen Clio erstmals auf den Markt kommt. Später folgt das Elektro-Fahrzeug Zoe, dann soll die Lösung in praktisch alle Baureihen des französischen Herstellers einziehen. Das sprachgesteuerte beziehungsweise mit Lenkradschaltern zu bedienende System ist für das mittlere Preissegment im Volumenmarkt konzipiert. Es besteht aus einem 18 Zentimeter großen Touchscreen und bietet neben der Navigation unter anderem einen Internetzugang, eine Vorlesefunktion für E-Mails sowie verschiedenste Online-Services, die über Apps aus dem so genannten "Renault R-Link-Store" genutzt werden können.
Die Basis für das System bildet die Connected Vehicle Platform (CVP), die intern Atos Wordlink genannt wird. An dieses IT-Backendsystem können unterschiedliche Diensteanbieter angebunden werden. Derzeit hat Atos rund 250 mögliche Partner beziehungsweise Apps auf der Liste. Der App-Store ist ebenfalls Teil der CVP. Auch eine Bezahlfunktion, die bei R-Link im Fahrzeug verfügbar ist, gehört dazu. Erster Kunde auf der Plattform ist Renault, im kommenden Jahr folgt ein international tätiger Reifenhersteller, der für Flottenbetreiber alternativ zum Reifenkauf ein Mietmodell mit Abrechnung auf Kilometerbasis anbieten will. Auch mit dem Reifenhersteller hat Atos das so genannte "Revenue Risk Sharing Model" vereinbart. "Wir hängen bei diesem Geschäftsmodell natürlich vom Erfolg von Kunden ab. Die Renditechancen sind für uns aber auch höher", so Thomas Collins, Leiter des weltweiten Autogeschäfts bei Atos. Die Abrechnung der Dienste kann zum Beispiel per einzelner Transaktion, per Abonnement der Online-Dienste, per einzelner App oder auch monatlich pro vernetztem Fahrzeug erfolgen. Alternativ dazu bietet Atos auch die klassische Lösung an, wie sie etwa für Daimler realisiert wurde. Dabei haben die Franzosen im Auftrag des Stuttgarter Autokonzerns das Backend für das Mercedes-Multimediasystem "Comand Online" aufgebaut und betreiben dies.Renault teilt Risiko mit IT-Dienstleister Atos
Markteinführung von R-Link verzögert
Atos hat im Jahr 2011 die chronisch Verluste schreibende Siemens-Tochter IT Solutions und Services (SIS) übernommen und sieht sich nun mit einem Konzernumsatz von 8,5 Milliarden Euro als größter europäischer IT-Dienstleister. Der Siemens-Konzern ist mit 15 Prozent an den Franzosen beteiligt. Durch SIS hat Atos in der Autobranche stark an Bedeutung gewonnen. Im Ranking der Automobilwoche liegt das Unternehmen mit einem Umsatz von 85 Millionen Euro auf Platz acht der 25 größten IT-Dienstleister in der Autobranche in Deutschland. Zu den wichtigsten Kunden hierzulande zählen Daimler, der VW-Konzern und Zulieferer Continental. Für Conti ist Atos großer Lieferant von embedded software, die in unterschiedlichsten Steuergeräten und im Infotainment zum Einsatz kommt. Größter Automotive-Kunde ist Renault, gefolgt von der Volkswagen-Gruppe.
Vor allem von den "Mobility Services" mit dem so genannten "High-Tech Transactional Business" verspricht sich Atos hohe Wachstumsraten und ein einträgliches Geschäft. "Wir gehen davon aus, dass das transaktionsbezogene Modell in Zukunft stark nachgefragt wird", so Collins. Für die Autoindustrie hat seiner Ansicht nach diese Vorgehensweise große Vorteile gegenüber dem Aufbau eigener Lösungen: Die hohen Anfangsinvestitionen werden vermieden. Die Zeit für die Einführung neuer Apps und Services wird stark verringert, wobei jeder Hersteller dennoch wettbewerbsdifferenzierende Dienste anbieten kann. Umgekehrt muss Atos wie bei Renault darauf achten, ein Mitspracherecht bei wichtigen Geschäftskriterien wie Investitionen, Produkten und Diensten zu haben. Dann sind in einem solchen Modell prozentual zweistellige Margen möglich, während im klassischen IT-Service nur einstellige Renditen erzielt werden. Auch das Volumen der Aufträge ist deutlich höher. "Wir haben konkrete Aufträge von verschiedenen Kunden, so dass wir die CVP-Plattform bis 2014 in den 27 Ländern der Europäischen Union, in Nord- und Südamerika ausrollen“, so Stieber.