Nissan stellt Tsuru in Mexiko ein

Christof Rührmair

Viele Autobauer bieten in Lateinamerika Autos mit mangelhafter Sicherheitsausstattung an. Die drastischen Folgen zeigt ein aktueller Crashtest. Nissan kündigte am Vorabend der Veröffentlichung die Einstellung des betroffenen Autos an.

Freitag, 28. October 2016, 10.54 Uhr

München. Was passiert, wenn man zwei Neuwagen derselben Fahrzeugklasse aufeinander fahren lässt? Selbe Marke, selber Hersteller, selbes Produktionsland. Eigentlich sollte man erwarten, dass die Crashtestergebnisse zumindest ähnlich sind. Doch eines der beiden Autos - in diesem Fall der Nissan Versa - wird in Mexiko für den US-amerikanischen Markt gebaut, das andere, der Tsuru, für den mexikanischen Markt. Der eine Markt hat strenge Sicherheitsrichtlinien, der andere nicht.

Das Ergebnis: Der Fahrer des Tsuru wäre wahrscheinlich tot, der im Versa hätte deutlich bessere Überlebenschancen. Wie unterschiedlich die beiden Autos schon in der Stabilität ihrer Struktur sind, lässt sich deutlich im Screenshot sehen. Wie sich fehlende Sicherheitsausstattung wie ein Airbag auswirkt, zeigt das komplette Video deutlich.

Der Test durch Global NCAP und Latin NCAP, dessen Veröffentlichung vorab angekündigt worden war, zeigt Konsequenzen - so zumindest die Lesart der Sicherheitsorganisationen. Denn am Vorabend des Tests kündigte Nissan an, den Tsuru im kommendem Mai einzustellen. Zwar geht Nissan in seiner Erklärung mit keinem Wort auf mangelhafte Sicherheit oder den Test ein, der zeitliche Zusammenhang ist aber zumindest auffällig. Und der Generalsekretär des Latin NCAP, Alejandro Furas, erklärte: "Ich glaube, Nissan hat diese Ankündigung in Reaktion auf unsere Kampagne zum Stopp der Produktion von Null-Sterne-Autos in Mexiko und ganz Lateinamerika gemacht."

"Potenziell lebensbedrohliches Modell"

Der Auto-gegen-Auto Test zeige deutlich, warum diese Null-Sterne-Autos "unverzüglich vom Markt genommen werden sollten", so Furas, der zudem kritisierte, dass Nissan das Auto erst im Mai einstellt. "Warum sollten mindestens 15.000 weitere Einheiten dieses potenziell lebensbedrohlichen Modells bis Mai verkauft werden? Und warum hat Nissan nach unserem ersten Crashtest, der dem Tsuru null Sterne gab, drei Jahre gebraucht, um dieses unsichere Modell aus der Produktion zu nehmen?"

Auch der Generalsekretär des Clobal NCAP, David Ward, sagte: "Es ist eine lange überfällige Entscheidung, die Produktion eines Autos einzustellen, das fundamental unsicher ist." Es habe viel zu lange gedauert, bis Nissan eingesehen habe, dass es inakzeptabel sei, Sub-Standard-Autos zu verkaufen.

ADAC-Experte: Viele Hersteller bieten solche Autos an

Der ADAC arbeitet eng mit den verschiedenen NCAP-Organisationen zusammen. Teilweise werden deren Tests auch auf dem Gelände des Clubs in Landsberg durchgeführt, dementsprechend kennt der dortige Leiter Fahrzeugsicherheit, Volker Sandner, das Thema gut. In weiten Teilen Südamerikas gebe es keine gesetzlichen Regelungen zur Fahrzeugsicherheit, sagt er. Viele Hersteller ließen Fahrzeugmodelle dort lange laufen, weil sich dann Entwicklung und die Herstellung der Fertigungswerkzeuge umso besser amortisierten und höhere Gewinnmargen erzielbar seien.

Zudem werde in solchen Autos nicht nur Sicherheitstechnik wie Airbags weggelassen, sagt der Experte teilweise fehlten auch stabilisierende Elemente der Karosserie. Wahrscheinlich sei der Tsuru auf dem Stand von vor zwölf oder 15 Jahren, schätzt Sandner. Allerdings geht er davon aus, dass das Auto schon damals wahrscheinlich keine Zulassung in Europa bekommen hätte.

Zwar sei der Tsuru natürlich günstiger, sagt Sandner. "Aber selbst der niedrigere Preis ist durch das, was geboten wird, nicht gerechtfertigt." Auf den Seiten von Nissan Mexico wird der Tsuru mit Preisen leicht oberhalb von 140.000 Peso beworben (rund 7000 Euro). Der Versa ist dort mit Preisen oberhalb von 170.000 Peso (gut 8000 Euro) zwar deutlich teurer, spielt aber nicht in einer vollkommen anderen Liga.

Unterschiede zwischen den Marken

Sandner ist überzeugt, dass die Problematik bei vielen Marken in Südamerika zu finden sei. Einige, wie VW oder Ford hätten allerdings schon viel für bessere Sicherheit unternommen. Auch Fiat sei in dieser Richtung aktiv, lobt er.

Zudem sieht Sandner ein wachsendes Sicherheitsbewusstsein in der Bevölkerung, das die Hersteller unter Druck setze. "Da gibt es immer mehr ein Erwachen und die Kunden fragen sich, ob sie Menschen zweiter Klasse seien." Die Kosten für eine Änderung wären jedenfalls nicht exorbitant. Sandner geht davon aus, dass es deutlich weniger als 1000 Euro pro Fahrzeug kosten würde, die Autos so zu verbessern, dass sie deutlich näher am europäischen Standard wären. Was fehle, sei hier aber auch die nötige Gesetzgebung.