Die Elektronik – also Hard- und Software - gewinnt rasant an Bedeutung, weil sie wichtige Innovationen ermöglicht. Dies betrifft die Motor- und Getriebesteuerung ebenso wie Fahrerassistenzsysteme oder auch das Infotainment mit Telematikfunktionen. Deshalb wird der Elektronik-Anteil im Fahrzeug stark steigen. Auf mittlere und längere Sicht kommen zwei wichtige Treiber dazu.
"Die deutschen Hersteller verpassen eine große Chance"
Die Elektromobilität erfordert viel mehr Elektronik. Denn die Steuerung des Antriebs und des Batteriemanagements läuft fast ausschließlich elektronisch. Dazu kommt ein weiterer Hype: Die Vernetzung des Fahrzeugs – sprich der Einzug des Internets ins Auto.
Dass sich Kunden bewusst für oder gegen ein bestimmtes Modell entscheiden, weil es über ein mobiles Internet verfügt, dürfte erst in fünf bis zehn Jahren der Fall sein. Die Generation, die heute ständig online ist und so etwas auch vom eigenen Auto verlangt, verfügt noch nicht über das Budget für ein teures Fahrzeug. Für den Breitenmarkt und die Bedürfnisse der jungen, nachwachsenden Käuferschichten gibt es derzeit weder Leistungsangebote noch Geschäftsmodelle.
Diese sind aber fast ausschließlich in den Fahrzeugen der Premiumklasse zu finden. Damit verdienen die Fahrzeughersteller im Grunde kein Geld. In den meisten Fällen handelt es sich um proprietäre Ansätze und Dienste, die in erster Linie der Kundenbindung dienen und nicht vorrangig als echter Beitrag zur Wertschöpfung konzipiert sind.
Der kommerzielle Erfolg von Online-Diensten hängt immer davon ab, welchen Nutz- und Unterhaltungswert ihm die Anwender beimessen. Künftig werden intelligent vernetzte Fahrzeuge gefragt sein, die nicht nur Fahrerassistenz, Navigation, Karten- und Wetterupdates oder Hinweise zur Stauvermeidung liefern, sondern eine Art rollendes Endgerät für die Bewohner des World Wide Web sind. Augenblicklich scheinen viele Hersteller noch unsicher, was die tatsächlichen Wünsche des Kunden von morgen und die Wertschöpfungskette von Online Services betrifft. Deshalb gibt es für Autos bisher noch keine "Killer Applikation“. Und selbst wenn es sie gäbe, wären die Markenanbieter weder mit ihren Geschäftsprozessen noch in ihren Vertriebskanälen für die aktive Vermarktung von mobilen Internet-Diensten aufgestellt.
Das ist sicher eine Frage der individuellen, subjektiven Betrachtung. Grundvoraussetzung wäre der freie, unkomplizierte Zugang zum Internet mit allen üblichen Download und Upload-Möglichkeiten in guter Video- und Audioqualität, nebst der Möglichkeit, unterwegs E-Mails zu empfangen und zu versenden. Eine klassische Anwendung, die wohl jeder, unabhängig von Geschlecht und Fahrzeugklasse nützlich finden dürfte, wäre die Übertragung von Umwelt und Fahrzeugdaten (wie etwa eine Kombination aus Außentemperatur, Fahrzeuggeschwindigkeit, Zustandsdaten der Assistenzsysteme) an eine Leitstelle, wo man die Daten sammelt, verarbeitet und dann etwa als Aquaplaning- oder Glatteis-Warnung für den Streckenbereich XY zur Verfügung stellt. Andere Nutzer wünschen sich automatische Hinweise auf Kinder-freundliche Restaurants, Werkstätten, Factory Outlets oder eine Anwendung, die Informationen zu Sehenswürdigkeiten in der Nähe der Autobahn liefert – die Bedürfnis- und Interessenlagen sind so verschieden wie die Autofahrer.
Das weiß kaum jemand besser als wir. Schließlich entwickeln wir ja solche Apps – beispielsweise die "Helps you anywhere“, mit der skandinavische iPhone-Nutzer bei Autounfällen alle wichtigen Schritte einleiten und versicherungsrelevante Fragen gleich vor Ort klären können. Aber beim Fahren mit einem Smartphone herumzufingern ist nicht nur gefährlich, sondern auch gesetzlich verboten. Auch deshalb wird für die Zielgruppen der Digital Natives, aber ebenso für viele der so genannten Digital Immigrants, also Kunden ab 35 Jahre aufwärts, der integrierte, sprachgesteuerte Zugriff auf das Internet und ihre bevorzugten Apps ein immer wichtigeres Kriterium bei der Wahl ihres Autos. Sie wollen unterwegs Telefonie, E-Mail und unbeschränkten Internet-Zugriff haben, und bei ihren Multimedia- und Infotainment-Anwendungen die gewohnte Audio- und Videoqualität. Hinzu kommen wachsende Ansprüche an die Fahrerunterstützung, also müssen die Systeme bruchlos mit der Fahrzeugtechnik und deren Messfunktionen interagieren können.
Momentan sieht es so aus, als würden die Hersteller an ihren proprietären Lösungen festhalten und keine offenen Systeme mit Standards wollen. Dies gilt vor allem für das Premiumsegment. Bei Lösungen für den Breitenmarkt sind die Karten noch nicht gemischt. Hier herrscht derzeit noch Verunsicherung, da eine Standardisierung der notwendigen Infrastrukturen nicht absehbar ist. Daher gibt es bisher weder bei den deutschen Markenanbietern noch bei ihren Hauptzulieferern durchgängige Strategien.
Die deutsche Autoindustrie ist dabei eine große Chance zu verpassen, technologische Standards für den weltweiten Markt zu setzen, wie dies bei anderen Themen der Fall war. Dazu müssten alle Beteiligten an einem Tisch zusammen kommen und sich über Fragen wie Entwicklungsschnittstellen und Geschäftsmodelle verständigen. Im Moment gibt es keine Standards und offene Schnittstellen, außerdem sind die Stückzahlen zu klein, um damit Geld zu verdienen. Um sich in den internationalen Märkten behaupten zu können, sollten sich die Hersteller jedoch mittelfristig breit aufstellen mit soliden technischen Lösungen, differenzierten Online-Diensten und Geschäftsmodellen.
Das ist sogar wahrscheinlich. Japaner, Chinesen und Inder sind wesentlich offener für vernetzte Lösungen und fordern dies auch stärker. Allerdings mit einem geringeren Qualitätsanspruch als hierzulande. Entsprechend dürfte es schwer sein von Deutschland aus Schritt zu halten. Ob die deutschen Hersteller es wollen oder nicht - meiner Ansicht nach wird in fünf bis zehn Jahren jedes Volumenfahrzeug ein umfassendes Infotainment-System an Bord haben. So wie heute eine Klimaanlage.
Ich denke nicht, das wird einfach erwartet. Insbesondere bei der nachfolgenden Generation. Deshalb ist es ja so wichtig für die Hersteller, eigene Lösungen zu entwickeln und sich nicht von Konsumenten und Wettbewerbern außerhalb der Autobranche treiben zu lassen. Heute haben insbesondere Premiumhersteller, die mit hochwertigen Infotainment-Lösungen als Sonderausstattungen gutes Geld verdienen, wenig Interesse an offenen Systemen.
Ja, den gibt es. Derzeit konkurrieren 30 verschiedene Plattformen miteinander. Dabei kämpfen offene Betriebssysteme wie Android von Google, die aus der Programmiersprache Linux abgeleitet sind, mit proprietären Systemen wie etwa QNX. Wie es ausgeht ist noch nicht entschieden, wir denken aber, dass sich Linux mittelfristig mit dem offenen Standard durchsetzt. Die proprietären Systeme werden sich nicht halten lassen, weil sie zu teuer sind.
Auch im Hinblick auf eine breitere Markterschließung wäre es sinnvoll, nicht auf vorinstallierte Systeme und exklusive Partnerschaften zu setzen. Stattdessen sollte man sich auf After Market-Angebote konzentrieren, also Geräte, die nachträglich eingebaut werden können. Ein erster pragmatischer Ansatz, den die Branche hier gerade verfolgt, sind einfache Kommunikationsboxen auf Mobilfunk-Basis, die über USB- und Bluetooth-Schnittstellen für Smartphones und andere Endgerät verfügen. Deren Inhalte und Anwendungen laufen über Anbindung dann auf dem Display des Navigationssystems beziehungsweise der Audio-Anlage. Anspruchsvollere Ansätze sehen eine nachträgliche Anbindung auch an die individuelle Fahrzeugtechnik vor. Doch hierbei handelt es sich oft um reine Show-Cases. Denn die tatsächliche Entwicklung solcher Lösungen ist sehr teuer.
Und dann ist da noch die Frage, mit welchen Netzbetreibern, Dienste-Anbietern und Content-Lieferanten man arbeiten soll. Im Markt der Zukunft ist es nur wenig zielführend, sich exklusiv an Anbieter zu binden. Denn bei den nachwachsenden Käufergruppen ist ein hohes Maß an Plattform-Unabhängigkeit gefragt.
Das beginnt bei der Portal-Entwicklung, geht über Hotline-Support und Kundenmanagement bis hin zur Abrechnung zwischen den beteiligten Partnern. Die Kundenbetreuung ist einer der wichtigsten Aspekte. Denn wenn das integrierte System streikt, Einloggen und/oder Mailabruf nicht möglich sind, kann der traditionelle Fahrzeughändler des Vertrauens nur sehr eingeschränkt weiterhelfen. Man braucht also auch neue Vertriebs- und Supportstrukturen, und nicht zuletzt die Data Center und Server, die nötig sind, um die digitalen Angebote zu schaffen und auszuliefern. Im ersten Schritt aber geht darum, die Konvergenz zwischen den mobilen Endgeräten, der Telekommunikations-Infrastruktur und den Fahrzeugsystemen zu erkennen, darauf aufzusetzen und Standards zu schaffen.
Neben dem jeweiligen Fahrzeughersteller sind das zunächst einmal die die Netzbetreiber wie etwa E-Plus, O2, T-Mobile oder Vodafone, sowie die Service-Provider, die sich um Aufgaben wie Dienstebereitstellung, Registrierung und Hotline kümmern. Ganz wesentlich sind auch die Content Provider. Denn sie aggregieren und liefern die Inhalte und damit den Nutz- beziehungsweise Unterhaltungswert der Anwendungen.
Bei der Integration von Informations- und Telekommunikationstechnologien im Fahrzeug lassen sich vorhandene Technologien und Best Practices aus den anderen involvierten Branchen nicht einfach übertragen. Hier braucht man Techniken und Methoden, die den spezifischen Normen und gesetzlichen Vorgaben (beispielsweise die zuverlässige Abschaltung von TV/Videoinhalten während der Fahrt für den Fahrer) entsprechen und den Umgebungsparametern gerecht werden. Entwickler müssen beispielsweise die in Fahrzeugen üblichen Vibrationen, magnetische und elektrische Felder und Temperaturschwankungen berücksichtigen. Hinzu kommt die bei den verschiedenen Modellen recht unterschiedliche Fahrzeugtechnik, also ist Kompatibilität und Kombinationsfähigkeit ein erfolgskritischer Faktor. Eine weitere Herausforderung ist der lange Lebenszyklus von Autos. Von der ersten Projektierung bis zur Verschrottung vergehen im Durchschnitt 16 Jahre. In der IT-Industrie und im Web aber liegen die Innovationszyklen oft bei 12 bis 18 Monaten. Also müssen die Lösungen modular und erweiterbar sein, um neue Baugruppen mit älteren Komponenten integrieren zu können.
Die GENIVI Allianz arbeitet seit 2009 an einer Referenzplattform auf Grundlage von Open Source. Bis es hier zu validen Ergebnissen kommt, wird es jedoch schätzungsweise noch einige Zeit dauern. Tieto engagiert sich stark in allen wichtigen Gremien, bringt seine breit gefächerten, branchenübergreifenden Erfahrungen und Kontakte ein und trägt so auch zum Know-how Transfer in technischen, betriebswirtschaftlichen und vermarkterischen Fragen bei. Wir sehen uns hier durchaus als Wegbereiter und investieren in die Marktentwicklung. Modellrechnungen und ROI sind hier ebenso Thema wie die Nutzung von Konvergenzen und das Themenfeld offener Schnittstellen und Standards. Ziel ist es, gemeinsame Grundlagen für die Online-Kommunikation und -Infotainment im Auto zu entwickeln, die dann jeder für sich ausdifferenzieren kann.
Im Augenblick vor allem noch über UMTS, aber demnächst definitiv über LTE (Long Term Evolution). Die deutsche Telekom will bis Ende dieses Jahres 500 LTE Standorte in Betrieb nehmen, vor allem in Regionen, die bisher keine Breitband-Anbindung hatten. Bis 2016 sollen laut Vorgabe der Bundesnetzagentur dann 90 Prozent aller Orte an das Highspeed-Netz angeschlossen sein. Mittelfristig wird LTE also auch in Deutschland die bisher gängigen Technologien flächendeckend ablösen und somit auch der Automobilindustrie eine Grundlage für neue Applikationen schaffen: Aufgrund der Bandbreiten, die über die so genannte Luftschnittstelle mit LTE erreicht werden, sind beispielsweise Anwendungen wie Video- und -Audiokonferenzen in Echtzeit möglich.
Fakten zu Tieto
Im Geschäftsfeld Automotive entwickelt Tieto serienreife Lösungen für Antriebstechnik/Powertrain, Fahrwerkskontrolle, Fahrerassistenz, Infotainment, sowie Batterie- und Energiemanagement. Ein wachsendes Arbeitsfeld sind Systeme für die drahtlose Kommunikation und multimediales Entertainment in Fahrzeugen.
Die Kunden sind namhafte OEMs und Zulieferer. In deren Projekte bringt Tieto Know-how aus den Bereichen Embedded Systeme, Telemetrie, Telekommunikation, GUI Entwicklung und Animation, Applikationsentwicklung und -Testing ein. Allerdings treten wir hier nicht nur als Engineering- und IT-Dienstleister auf: Während sich Wettbewerber entweder auf den Entwicklungsprozess oder die nachfolgenden Geschäftsprozesse (etwa Logistik, Datenmanagement, CRM, ERP...) konzentrieren, deckt Tieto in der Beratung und Umsetzung alle Technik- und Business- Aspekte ab. Das Unternehmen entwickelt die nötigen Netzkomponenten ebenso wie Applikationen und Services. Wert legt Tieto vor allem auf die Validierung und Verifizierung der Bedienungsschnittstellen, da die Mensch-Maschine-Interaktion so einfach wie möglich sein soll.
Ohne externe Engineering-, IT- und TK-Partner geht in der Automotive-Industrie eigentlich kaum noch etwas. Manche Anbieter verfügen nicht über ausreichend Know-how und Erfahrung beim Aufbau, Betrieb, Testen und Optimieren von vernetzter Technik. Um die nötigen Netz-Infrastrukturkomponenten und Services selbst zu entwickeln, zu integrieren und zu betreiben, wären riesige Investitionen nötig. Hier kann eine Kooperation mit Entwicklungsdienstleistern, die über spezifisches Know-how verfügen, sinnvoll sein – besonders auch aus wirtschaftlicher Sicht. Das gilt für die Fahrzeug-Elektronik und Software ebenso wie für den Kommunikations- und Infotainment-Bereich. Denn auch auf die Rolle des Anbieters von web-basierten mobiler Diensten, Kommunikationsplattformen und Communities ist die Automobilbranche nur bedingt eingestellt.
Man kann davon ausgehen, dass sich der Kostendruck weiter verschärfen wird und die Anbieter darüber nachdenken, mehr und mehr Entwicklungstätigkeiten auszulagern. Für ihre Stabilität wird es zunehmend wichtiger, dass sich die Dienstleister an den Risiken der Entwicklung beteiligen. Deshalb bieten Firmen wie Tieto ihren Kunden nicht nur Technologie und Prozessmanagement an, sondern auch Kooperationsmodelle, in denen die mit Eigenentwicklung und -betrieb verbundenen Risiken und Kosten für das Geschäftsmodell des Kunden optimiert sind. Komplettlösungen, die von der Idee über Entwicklung und Testing bis hin zur Wartung der Systeme und Anwendungsmanagement reicht, werden weiter an Bedeutung gewinnen.