Während die Elektronische Datenverarbeitung zunächst für vergleichsweise einfache Tätigkeiten, etwa in der Lohnabrechnung, genutzt wurde, entwickelte sich die IT immer mehr zu einem unverzichtbaren Werkzeug in der Produktentwicklung, der Produktion, im Vertrieb und auch im Management. Heute sehen wir den nächsten Evolutionsschritt: IT wird zunehmend unverzichtbar bei der Fahrzeuginnovation und im Auto selbst. Hier legt der Elektronikanteil mit entsprechender Embedded Software permanent zu. Elektrochemische Prozesse ersetzen den Verbrennungsvorgang, auch diese müssen gesteuert werden. Dazu kommt die Vernetzung des Autos mit der Umgebung und dem Internet. Der Autosektor steht vor einem fundamentalen Umbruch: Das reicht von der Technologie bis zu neuen Geschäftsmodellen. Der Trend, ein Fahrzeug nur nutzen zu wollen, anstatt es zu kaufen wird dabei nur eine der kleineren Veränderungen sein.
"In der Autobranche herrscht zu viel Kleinstaaterei"
Die Voraussetzungen in Deutschland und Europa sind grundsätzlich sehr gut: Die Branche verfügt über großes Know-how und Innovationsfähigkeit, die Prozesse sind enorm entwickelt, ebenso die Infrastruktur. Das gilt auch für die IT. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch hohe Risiken, dass die Industrie den Umbruch mit Blick auf die Elektromobilität nicht in führender Position schafft. Das Wettbewerbsumfeld beim Thema Elektromobilität stellt völlig neue Herausforderungen.
Verglichen etwa mit Asien und besonders mit China herrscht bei uns in der Politik und der Autobranche zuviel Kleinstaaterei. Jeder tritt gegen den anderen an. Die Rollenverteilung zwischen OEM und Zulieferern wird unklar. Neue Kernkompetenzen und Produkte erfordern aber sehr hohe Investitionen, die können einzelne Firmen nicht leisten. Wenn wir es nicht schaffen, bei wichtigen Themen koordinierter vorzugehen, werden wir Gefahr laufen, hinterherzuhinken. Elektrochemie ist da ein gutes Beispiel: Wir liegen bei der aktuellen Li- Ionen Technologie zurück. Ich sehe in Deutschland und Europa aber zu geringe Anstrengungen, um hier wieder in eine führende Position zu gelangen. Wir brauchen gemeinsame Forschung und Entwicklung. Embedded Systems ist ein weiteres Beispiel: Auch hier sind signifikante Anstrengungen nötig, um Know-how aufzubauen. Das bringt Wettbewerbsvorteile und schafft gleichzeitig neue Arbeitsplätze in Deutschland und Europa. Die dritte Herausforderung der Elektromobilität liegt in Fragen der Integration. Steckerstandards alleine bringen uns nicht viel weiter, wir brauchen eine Integration von Information und Prozessen auf offenen Standards und neue Entwicklungsmethoden. Hier liegt auch unser Entwicklungsschwerpunkt. Wir sind offen für weitere Partnerschaften.
Mit der Elektromobilität, der dafür notwendigen Vernetzung und durch neue Services wird die Komplexität der Branche weiter zunehmen. Diese weiter wachsende Komplexität werden wir mit dem heutigen Modell für Innovation in Deutschland nicht erfolgreich gestalten können. Dazu ist der Standort Deutschland zu teuer. Also muss die Gesamteffizienz im Unternehmen und der Branche besser werden.
Wir müssen die Strukturen ändern, um Ineffizienzen in der Innovation zwischen den Unternehmen auszumerzen. Die Entwicklungsprozesse und Methoden von Automobilherstellern und Tier 1 bis Tier N Zulieferern sind heute noch auf das jeweilige Unternehmen optimiert. In der Integration der verschieden Stufen liegt noch enormes Verbesserungspotential, insbesondere im Hinblick auf Innovationsvolumen, -geschwindigkeit und Kosten. Zusätzlich gibt es eine Notwendigkeit, sich gemeinsam auf die Kernfelder der Elektromobilität zu konzentrieren. Zersplitterung ist da nicht effizient, kein einzelnes Unternehmen wird das schaffen.
Ich vermisse aber eine klare Rollenverteilung zwischen OEM und Zulieferern, einen Investitionsfokus auf Schlüsseltechnologien, einen Fokus auf effiziente Entwicklungsmethoden und -prozesse sowie die Integration des Ganzen. Elektromobilität wird das Ergebnis gelungener Integration und klar fokussierter Aktionen sein.
IBM hat eine lange Historie in der Automobilindustrie. Wir sind als IT-Dienstleister und -Berater in der Autoindustrie weltweit führend. Einen wichtigen Beitrag hierfür liefert auch unsere Forschung. Unsere Aktivitäten auf diesem Gebiet gehen weit über das hinaus, was in der IT-Branche generell üblich ist. Wir investieren unter anderem in die Entwicklung neuer Batterie-Technologien und in so genannte Embedded Systems – also Funktionen, die voll im Auto integriert sind, wie etwa Fahrerassistenzsysteme. Wir sind in der Lage, breite Unterstützung bei der Bewältigung der genannten Herausforderungen zu geben und gehen dafür auch in Vorleistung, etwa auf dem Gebiet der Integration. Insgesamt glaube ich, dass wir bei Batterieforschung, Systementwicklung und im Feld der Embedded Software mit Methoden, Prozessen, Technologien und Menschen einen wesentlichen Beitrag im gesamten Wertschöpfungsnetzwerk leisten können.
Das ist richtig. Die IBM verfügt traditionell über Hochleistungsrechner und das Know-how, mathematische Modelle zur Beschreibung kritischer Prozesse zu entwickeln und für Simulationen zu nutzen. Zum Beispiel sind wir heute in der Lage, einen kompletten elektrischen Antriebstrang virtuell abzubilden – von der Steuerung über die Batterie bis zum gesamten Bordnetz mit allen Steuereinheiten sowie Last- und Ladesituationen. Um diese Felder herum bauen wir Services auf, unter anderem um konkrete Simulationsprobleme für unsere Kunden zu lösen oder auch einfach nur durch Rechnerleistung aus der Cloud, die wir zur Verfügung stellen. Dazu kommen weitere Felder...
Prozessberatung in allen automobilen Kernprozessen sowie die Entwicklung, Implementierung und Integration von Lösungen. Dabei konzentrieren wir uns auf den Fahrzeugentwicklungsprozess, die Beschaffung und Produktion oder auch Kunden- und Händlermanagement-Systeme. Wir bieten natürlich auch das Outsourcing von IT-Infrastrukturen und ganzen Geschäftsprozessen an.
Ja, wir entwickeln mit Partnern eine Plattform zur Integration des Fahrzeugs in das Internet der Dinge, in das traditionelle Internet und in existierende Backendsysteme. Wir werden diese Cloud-basierte Elektromobilitätsplattform auch gemeinsam mit unseren Kunden betreiben. Dabei gibt es zwei Ansatzpunkte: Zum einen Services für den "Digital Native“, der sein Fahrzeug vernetzten, sein Smartphone integrieren und alles selbst konfigurieren will. Der zweite Ansatzpunkt geht in Richtung Effizienzverbesserung in der Fahrzeugnutzung. Dazu gehören standortbezogene Dienste wie zum Beispiel Parkplatzreservierung oder neue Services zur Steuerung der Reichweite und dem optimierten Aufladen einer Batterie. In diesem Umfeld entsteht ein Ökosystem für moderne Services und Anbieter. Dafür ist die Plattform gemacht.
Die heutigen IT-Ausgaben werden vor allem als Kosten gesehen. Aus den bereits genannten Gründen muss IT aber als strategischer Faktor und Teil des Produktes begriffen werden. Dies wird meiner Einschätzung nach zwar zu steigenden IT-Anteilen führen, darf aber nicht zu steigenden Produktpreisen führen. Diese Entwicklung erfordert neue Geschäftsmodelle, aber auch die kontinuierliche Komplexitätsreduzierung und Standardisierung der bestehenden IT-Landschaft. Neue Online-Dienstleistungen wie beispielsweise eine Ferndiagnose bei Funktionsproblemen und dem anschließenden Routing in eine Werkstatt werden gleichzeitig zur Wertschöpfung beitragen und Potenziale zur Kostenreduzierung beinhalten. Bei allen Veränderungen geht es aber in erster Linie nicht um Kosten.
Um kundenorientierte Innovation, die bezahlbar bleiben muss. Die Kernkompetenz in der Autobranche wird sich dabei dramatisch verändern – Elektrochemie, Leistungselektronik und IT lauten die Stichworte. Das bringt uns als IBM der Branche noch sehr viel näher als dies in den letzten Jahrzehnten der Fall war.
IBM feiert in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag und hat sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder neu erfunden. Ich denke, das ist für die Autobranche interessant. Triebfedern waren der technische Fortschritt und die sich damit ändernden Bedürfnisse und Anforderungen unserer Kunden. IBM ist gut damit gefahren, sich rechtzeitig von weniger wertschöpfenden Dingen im Portfolio zu trennen und in neue Wachstumsfelder zu investieren, wie zum Beispiel Software und Services. Dieses Vorgehen einer permanenten Marktanpassung und Innovationsbereitschaft gilt auch für die Autobranche.
Vita Gerhard Baum:
Der Diplom-Ingenieur der Luft- und Raumfahrt sowie der Informationstechnologie ist seit 2007 bei IBM für die europäische Autoindustrie sowie für alle wichtigen globalen Wachstumsmärkte verantwortlich.
"Das vernetzte Fahrzeug“ ist Thema der Automobilwoche Konferenz am 4. Mai 2011 in München. Dabei soll es um neue Lösungen für Kommunikation, Infotainment und Sicherheit im Auto sowie um die Steuerung von Verkehrsströmen gehen. Denn bei der Vernetzung des Autos bieten sich nahezu unbegrenzte Möglichkeiten – von der Online-Navigation über die Kommunikation mittels mobilem Internet bis zur Unfallverhütung durch Car-to-Car-Kommunikation. Eine Entwicklung, die erst ganz am Anfang steht.
Über das Thema werden unter anderem Ford-Chef Bernhard Mattes, Bosch-Entwicklungschef Volkmar Denner, Google-Entwicklungschef Wieland Holfelder und Reinhard Clemens, Vorstandschef von T-Systems, reden. Nähere Informationen finden Sie auf der