Stuttgart. Daimler hat den Streit mit dem Betriebsrat um die Drosselung der S-Klasse-Produktion im Werk Sindelfingen beendet. Die Werksleitung und der Betriebsrat haben eine Vereinbarung getroffen, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung des Stuttgarter Autoherstellers und der Arbeitnehmervertretung. "Wir haben mit dem Betriebsrat eine Einigung erzielt, bei der wir uns in wesentlichen Punkten durchsetzen konnten. Dabei haben wir auch die Problematik der hohen Minuskonten erfolgreich gelöst. Mit dieser Vereinbarung ist uns ein weiterer Schritt in Richtung mehr Flexibilität im Werk Sindelfingen gelungen", so Werkleiter Willi Reiss.
Der Mitteilung zufolge wird die S-Klasse statt wie bisher im Zweischicht- nun nur noch im Einschicht-Betrieb montiert. Dies gilt bis zum Anlauf des Nachfolgemodells im neuen Jahr. In der Praxis heißt das, das die Mitarbeiter einer Schicht weiter das Modell im Wechsel von Früh- und Spätschicht bauen und damit ihre Spätschichtzulage erhalten. Die Mitarbeiter der zweiten Schicht wechseln in die Montage der C-Klasse. "Die Sindelfinger Mannschaft und ihr Betriebsrat sind so flexibel wie immer, wenn es erforderlich ist und dabei auch die Interessen der Belegschaft berücksichtigt werden. Das wichtigste Anliegen der Beschäftigten der S-Klasse ist, weiterhin in der Wechselschicht zu arbeiten. Damit bleiben ihr Lebensrhythmus und ihre Schichtzulagen erhalten. Das konnten wir erfolgreich durchsetzen", so Erich Klemm, Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei Daimler. Außerdem hob der IG-Metaller hervor, dass das Unternehmen auch die Kündigung der Betriebsvereinbarung zur Arbeits- und Betriebszeit zurückgenommen hat. "Wir freuen uns, dass wieder Vernunft eingekehrt ist. Wir haben auf dem Verhandlungsweg eine tragfähige Lösung gefunden", so Klemm.Daimler beendet Streit mit Betriebsrat um S-Klasse-Produktion
Umgekehrt setzte sich Daimler beim Streit um die Regelung bei den Zeitkonten durch. Im Werk Sindelfingen gab es bislang eine Betriebsvereinbarung, die im Falle von Minusstunden (ein Mitarbeiter arbeitet weniger als die Regelarbeitszeit, erhält aber das volle Gehalt) dem Beschäftigten eine Wahlmöglichkeit ließ: Sollte er eine Zusatzstunde etwa am Samstag leisten, konnte er sich diese Zeit entweder ausbezahlen oder mit den Minusstunden verrechnen lassen. Diese Regelung galt in einem Korridor von einer bis zu 100 Minusstunden. Das Daimler-Management wollte diese Regelung abschaffen. Dies wurde in der Vereinbarung erreicht. Individuelle Freischichten sind künftig erst ab einem positiven Zeitkonto möglich. Bei einem negativen Zeitkonto wird Mehrarbeit zum Ausgleich genutzt. Diese Vereinbarungen gelten für das ganze Werk. In der S-Klasse-Produktion sind in diesem Jahr pro Mitarbeiter im Durchschnitt 100 Minusstunden aufgelaufen, im gesamten Werk liegt der Schnitt bei 47 Minusstunden.
Weil im Frühjahr 2013 die Nachfolgegeneration der S-Klasse auf den Markt kommt, lässt die Nachfrage nach der Oberklasse-Limousine nach. Allerdings sind die Abrufe stärker zurückgegangen als dies Daimler ursprünglich geplant hatte. Deshalb sollte im vierten Quartal die Produktion gedrosselt werden. Nach Informationen der Automobilwoche sollen in diesem Jahr 8000 Fahrzeuge weniger als geplant gebaut werden. An der Ausgestaltung des Schichtmodells hat sich der Streit mit dem Betriebsrat entzündet. Das Unternehmen hat dann kurzfristig sogar eine Schiedsstelle beim Arbeitsgericht angerufen - dies ist in den Augen des Betriebsrats ein in den vergangenen 50 Jahren einmaliger Vorgang im Werk Sindelfingen.Erst am vergangenen Freitag hatte Gesamtbetriebsrat Klemm einerseits an das Unternehmen appelliert, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und andererseits damit gedroht, auf Zeit zu spielen, so dass in diesem Jahr praktisch keine Produktionsdrosselung umsetzbar wäre. Der Konflikt kam für Daimler zur Unzeit: In den nächsten Wochen müssen die Schichtpläne und Werksferien für die Zeit um die Weihnachtsfeiertage beziehungsweise Neujahr verhandelt werden. Außerdem steht auch bei der E-Klasse eine Drosselung der Fertigung bevor, weil dieses Modell 2013 in einer neuen modellgepflegten Version auf den Markt kommt und die Nachfrage ebenfalls deutlich zurückgeht."Ende gut – Alles gut! Aber man darf schon fragen, wer sich auf Arbeitgeberseite profilieren wollte und dabei in Kauf genommen hat, viel Porzellan zu zerschlagen", so Jörg Hofmann, IG Metall-Bezirksleiter Baden-Württemberg. Die Vorgehensweise des Daimler-Managements lässt die Arbeitnehmervertretet im Werk Sindelfingen vermuten, dass das Unternehmen mit seinen immer neuen, anspruchsvolleren Forderungen die Mitbestimmung generell aushebeln und sich mit Vorratsbeschlüssen in der Schublade für schlechtere Zeiten wappnen wollte.
Die Pkw-Sparte Mercedes-Benz Cars fährt auf der einen Seite einen rasanten Expansionskurs, zudem die Ausweitung der Produktpalette ebenso gehört wie der Aufbau neuer Kapazitäten vor allem in Wachstumsmärkten. Auf der anderen Seite wachsen die direkten Konkurrenten BMW und Audi schneller - und sie sind viel profitabler. Erst vor kurzem musste Daimler- und Mercedes-Chef Dieter Zetsche zugeben, dass der Spartengewinn in diesem Jahr nicht wie angekündigt auf dem Vorjahresniveau von rund 5,2 Milliarden Euro, sondern darunter liegen wird. Auch das seit Jahren formulierte Ziel, bis 2013 eine Rendite von zehn Prozent zu erreichen und nicht mehr abzugeben wurde kassiert. Vor einigen Monaten hat Produktions- und Einkaufschef Wolfgang Bernhard zusätzliche Einsparungen von sechs Milliarden Euro bei den Materialkosten angekündigt. Auch bei der Produktivitätskennziffer "hours per vehicle" ist Mercedes noch vom Zielwert entfernt.