Nio-Europachef Hui Zhang: "Ich dachte, das wird ein easy Auftrag werden"

Als Nio vor zehn Jahren sein Designzentrum in München eröffnete, hatte das chinesische Start-up noch nicht einmal entschieden, welcher der 1500 Logo-Entwürfe einstmals die Fahrzeuge zieren würde.

Inzwischen steht der Standort exemplarisch für die globale Ausrichtung des Elektroauto-Herstellers. Zwölf Modelle inklusive Showcars hat Chefdesigner Kris Tomasson in zehn Jahren von München aus entwickelt.

Nio zählt global zu den Innovationstreibern in der Elektromobilität und der Digitalisierung und gilt global als einer der großen Herausforderer der deutschen Premiumhersteller BMW, Mercedes und Audi.

Allerdings drückt sich die Innovationskraft noch nicht in den Absatzzahlen in Europa aus: Während Nio mit seinen Submarken Onvo und Firefly in China im ersten Halbjahr 2025 fast 115.000 Fahrzeuge verkauft hat, bewegt man sich in Europa auf Exoten-Niveau.

Beunruhigt wirkt Europachef Hui Zhang im Interview deshalb aber nicht. Statt über kurzfristige Verkaufszahlen spricht er lieber über langfristige Strategien. Fassungslos macht ihn da schon eher die deutsche Bürokratie.

Eigentlich mit sehr kleinen. Ich hatte damals den Auftrag von Nio-Chef William Li, den Businessplan umzusetzen. Der sah für München ursprünglich so aus, ein kleines Designcenter mit 30, maximal 40 Mitarbeitern einzurichten. Das schien eine kleine Aufgabe.

Ich war damals von Leoni zu Nio gewechselt und hatte in China Verantwortung über 1000 Leute in Produktion, Forschung und Entwicklung. Da dachte ich zunächst: 30 bis 40 Leute, das sollte easy sein.

Nein. Es hat sich schnell gezeigt, dass es um viel mehr geht. Die Aufgabe war auch, viel zu lernen über die Mentalität und die Kultur in Deutschland, um überhaupt ein Verständnis für die Erwartungen der Kunden, aber auch unserer Partner zu entwickeln.

Ich war damals einer von noch ganz wenigen Chinesen, die in Managementverantwortung nach Europa gekommen sind. Da gab es viel zu lernen und Erfahrungen zu sammeln.

Dafür gab es drei Gründe. Zum einen wollten wir für unser Designzentrum die besten Talente gewinnen und da ist München ein sehr guter Platz. Zudem sind im süddeutschen Raum viele der für uns wichtigen Zulieferer angesiedelt, Bosch, Conti, ZF, Schaeffler, Webasto und noch viele mehr. Und drittens ist München eine der lebenswertesten Städte weltweit.

Als wir vor zehn Jahren kamen, hatten waren wir ein Niemand, wir hatten noch kein Auto, wir hatten noch nicht einmal eine Entscheidung, wie unser Logo aussehen würde.

Unser Kalkül war, dass München als Standort so interessant ist, dass wir die besten Talente für uns gewinnen können, obwohl wir ja nur ein Versprechen für die Zukunft waren. Das war dann auch so. Wir konnten exzellente Mitarbeiter aus Berlin, Köln und Mailand zu uns holen.

Unser Gründer William Li wollte von Anfang an ein globales Start-up. Deswegen sind wir bereits sechs Monate nach der Registrierung des Unternehmens in Schanghai in München gestartet und ein Jahr später, 2016, in Oxford.

Wir waren im der Saison 2014/15 das erste aus China kommende Team in der Formel E und haben unseren Rennstall in der Nähe von Silverstone angesiedelt. Auch in San José im Silicon Valley sind wir seit 2016 vertreten.

Ich sage, es hat funktioniert. Es kommt aber immer darauf an, in welchem Umfeld man sich bewegt. Es ist schon so, dass in deutschen Medien oft von der China-Marke geschrieben wird.

Das liegt sicherlich daran, dass wir auf dem chinesischen Markt in allen Bereichen die größte Präsenz haben, wir arbeiten stark daran als globale Marke wahrgenommen werden und gerade in den Beziehungen zu unseren Lieferanten ist das auch so.

Die Bürokratie. Die Zeit für eine Baugenehmigung für eine Batteriewechselstation, also unsere Swap-Station, in Deutschland liegt jetzt bei zehn bis zwölf Monaten. In Norwegen dauert das maximal drei bis vier Monate, in den Niederlanden auch.

Das ist schon schwer verständlich: Wir haben die Mittel, wir sind gewillt, in die Infrastruktur zu investieren und dann dauert es Monate, bis die behördliche Papierarbeit getan ist.

Anfangs habe ich das noch verstanden. Da waren Swap-Stationen etwas Neues und man musste sich bei den Genehmigungsbehörden erst einmal damit befassen, worum es geht. Aber inzwischen? Ich verstehe die lange Dauer bis zur Genehmigung nicht. Das ist ein relevantes Hemmnis für eine Geschäftsentwicklung.

Da möchte ich zunächst den Aufbau unseres hoch kompetenten Teams nennen. Wir haben in Europa mit einer Handvoll Mitarbeiter begonnen, heute sind es 800 in sieben Ländern, davon 400 in Deutschland mit München als größtem R&D-Center.

Zweitens ist es uns gelungen, die Marke adäquat aufzubauen – sowohl was die öffentliche Wahrnehmung anbelangt, als auch in der Automobilindustrie. Drittens haben wir unsere Modelle erfolgreich am Markt platziert. Das bezieht sich nicht allein auf die Fahrzeuge, sondern auch darauf, wie wir mit unseren Kunden umgehen. Wir bekommen da sehr viel positives Feedback.

Viertens sind wir mit dem Aufbau der Infrastruktur schon recht weit. Wir haben 19 Point of Sales, 60 Swap-Stationen in Europa, davon jeweils 20 in Deutschland und Norwegen, zehn in den Niederlanden und acht in Schweden.

Das ist eine Frage des Blickwinkels. Wir orientieren uns beim Aufbau des Swap-Netz an den Erfordernissen im jeweiligen Markt und wachsen mit den steigenden Absatzzahlen. Zugrunde liegt dabei eine interne Berechnung, wie viele Fahrzeuge eine Swap-Station bedienen soll. Details dazu möchte ich nicht nennen.

Aber nehmen wir Schanghai als Beispiel. Dort haben wir mehr als 100.000 Nutzer, die wir mit 190 Swap-Stationen bedienen. Wenn man dieses Verhältnis als Maßstab nimmt, sind die 20 Stationen in Deutschland fast schon viel.

Natürlich möchten wir mehr Autos verkaufen. Dass dies momentan nicht gelingt, hängt auch mit geopolitischen Gründen zusammen. Wir reflektieren kontinuierlich unsere strategischen Entscheidungen, beispielsweise den Direktvertrieb unserer Marken. Wir haben entschieden, dass wir für unsere Marke Firefly nicht wie bei Nio den Direktvertrieb nutzen, sondern auf die Zusammenarbeit mit Handelsbetrieben setzen.

Man muss die zehn Jahre in drei Phasen betrachten. In Phase 1 von 2015 bis 2020/21 haben wir uns voll darauf konzentriert, das Designstudio und unsere Engineering-Kompetenz hier aufzubauen, um die ersten Fahrzeuge in China auf den Markt zu bringen.

In Phase 2. ab 2021-23 haben wir angefangen, unsere Modelle im Markt einzuführen. Als erstes Nio-Modell in Europa war der ES8 im Oktober 2021 verfügbar, ein Jahr später sind wir mit dem ET7 in vier weiteren europäischen Märkten gestartet, darunter auch in Deutschland.

So betrachtet sind wir mit kaufbaren Modellen erst seit drei Jahren am Markt. Die Phase 3 ab jetzt beschreibt die Einführung der Smart Technologies, die explizit auf den europäischen Markt zugeschnitten sind.

Nio setzt in Europa auf eine langfristige Strategie und konzentriert sich nicht nur auf kurzfristige Verkaufszahlen, auch nicht im Vergleich zur Konkurrenz. Wir verfolgen einen eigenen Ansatz, der auf D2C-Vertrieb setzt und mit dem wir nachhaltigen Erfolg erzielen möchten.

In den letzten vier Jahren haben wir dafür eine solide Basis geschaffen: mit unserem Power-Swap-Stations-Netzwerk, den NIO Houses und unserem Service-Netz.

Unser Ziel ist es, eine stabile Nutzerbasis aufzubauen und Angebote speziell für den europäischen Markt zu entwickeln. Dafür setzen wir auf unser Innovationszentrum in Berlin und das Smart Driving Technology Center in Schönefeld sowie weitere F&E-Standorte in Europa.

Wir verfolgen klare Wachstumsziele, kommunizieren jedoch keine konkreten Absatzzahlen. In Märkten wie Norwegen und den Niederlanden sehen wir bereits eine positive Resonanz. In Deutschland und anderen Regionen setzen wir auf ein schrittweises Wachstum mit Fokus auf langfristigen Erfolg.

In Europa sind wir aktuell bei sechs Modellen, in China bei neun bis elf, je nachdem wie man die Varianten zählt. Im September ist unser Nio-Day, da werden wir einen Ausblick in die Zukunft geben. Aktuell sind wir sehr zufrieden mit unserem Portfolio.

Ich bin überzeugt, dass wir mehr Verständnis füreinander und mehr Kooperation miteinander brauchen. Die Automobilindustrie ist eine globale Industrie. Nehmen Sie den ET9, in dem Fahrzeug stecken ganz viele und wichtige Komponenten deutscher und bayerischer Zulieferer.

Steering by Wire ist von ZF, die Vorderachse ist von Schaeffler, das Glas-Schiebedach von Webasto und die Farbe von BASF. Wir beziehen Lieferumfänge in dreistelliger Millionenhöhe aus Europa. Diese Art von Kollaboration ist einfach notwendig.

Steering by Wire  ist fast eine "Must-have"-Technologie für das autonome Fahren. Der ET9 ist das erste Fahrzeug, das in China die Zulassung für diese Technologie erhalten hat und nach dem Tesla Cybertruck, das zweite Fahrzeug, dass die Technologie in Serie einsetzt.

Wir arbeiten gerne mit dem Lieferanten zusammen, der diese Spitzentechnologie anbietet und die deutschen Zulieferer haben auch in anderen Technologien die Vorreiter-Position.

Natürlich sind deutsche und chinesische Autobauer Konkurrenten. Aber letztlich sind wir eine globale Industrie, die um die besten Lösungen ringt. Nach meiner Erfahrung ist es das Sinnvollste, wenn wir zusammenarbeiten. Das ist  angesichts der geopolitischen Verwerfungen noch wichtiger geworden. Abschottung hilft da nicht, wir müssen Brücken bauen. Wenn ich etwas dazu beitragen kann, nehme ich das gerne an.