Chinamarken: Wie hoch das Marktpotential in Deutschland ist

Chinesische Autohersteller tun sich in Deutschland weiterhin schwer. Während sie etwa in Großbritannien bereits bei acht Prozent Marktanteil stehen, kommen die neun chinesischen Marken im deutschen Markt im ersten Halbjahr zusammen gerade einmal auf 1,69 Prozent. 

Doch es scheint Fortschritte zu geben. Etliche Marken erreichen enorme Zuwachsraten: BYD verzeichnete im ersten Halbjahr ein Zulassungsplus von 426 Prozent, Great Wall Motor (GWM) erreichte 42,1 Prozent. Lynk&Co kam sogar auf 1113 Prozent Steigerung.

Doch der Schein trügt: Dass die Zuwachsraten so exorbitant hoch ausfallen, liegt auch an den niedrigen Vorjahreszahlen. Und speziell bei BYD und Great Wall kommt hinzu, dass die Neuzulassungen mithilfe von Eigenzulassungen der Händler sowie durch Geschäfte mit Vermietern und Carsharing-Anbietern gestützt werden.

Im ersten Halbjahr entfielen 59 Prozent der GWM-Zulassungen auf Händler und zehn Prozent auf den Vermieter-Kanal. Bei BYD waren es 37 Prozent Händlerzulassungen und ein Viertel Zulassungen über Vermieter, Auto-Abo- und Carsharing-Anbieter.

Erst im Juni gab BYD eine Partnerschaft mit Finn bekannt. Zu der Vereinbarung gehört, dass der Auto-Abo-Anbieter in den kommenden zehn Monaten bis zu 5000 Fahrzeuge abnimmt.

Zur Einordnung: Im ersten Halbjahr kam BYD auf 6300 Neuzulassungen insgesamt. "Ein hoher Anteil an Händler- und Vermieter-Zulassungen ist eine riskante Strategie. Das ist nicht nachhaltig und kann sehr leicht nach hinten losgehen", sagt Arthur Kipferler, Partner und Managing Director bei Berylls by AlixPartners.

Diese Ansicht teilt auch Professor Stefan Reindl, Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft (IfA): "Problematisch könnte werden, dass Flottenrückläufer den Gebrauchtwagenmarkt unter Druck setzen könnten. Die daraus resultierende Restwertproblematik könnte in der daran anschließenden Vermarktungsphase als Gebrauchtwagen zu Preisverfall und zur Markenabwertung führen."

Niedrige Restwerte hemmen zudem den Neuwagenabsatz, weil sich mit niedrigen Restwerten keine guten Leasingraten kalkulieren lassen. "Wer viel mit Eigenzulassungen und Vermietern arbeitet, braucht ein sehr gutes Remarketing. Genau das haben junge Marken aber oft noch nicht", warnt Kipferler.

BYD verweist darauf, dass man über Vermieter und Abo-Anbieter vielen Autofahrern einen ersten Zugang zu den Fahrzeugen ermögliche. Zudem bereite man damit schon einmal das künftige Gebrauchtwagengeschäft der Händler vor. Diese halten das Vorgehen auch grundsätzlich für sinnvoll, wie ein Händler im vertraulichen Gespräch berichtet. 

Eine Wette auf die Zukunft ist das Vorgehen gleichwohl. Setzt es doch voraus, dass einerseits der Aufbau des Händlernetzes weit genug vorangeschritten ist und andererseits ausreichend Nachfrage der Kunden da ist, wenn die Fahrzeuge zurückkommen.

Langfristig ist das Potenzial für eine hohe Nachfrage indes vorhanden. "Ich kann mir vorstellen, dass chinesische Marken in Deutschland perspektivisch auf einen Marktanteil von 15 Prozent kommen", sagt Kipferler. Das werde aber noch eine Weile dauern und hänge auch von der Entwicklung der Zölle ab. 

Reindl ist zurückhaltender: "Ich gehe davon aus, dass das Marktpotenzial angesichts der einheimischen Konkurrenzmarken und -produkte begrenzt ist." Das mögliche Potenzial liege in etwa auf dem Niveau koreanischer und japanischer Hersteller. Diese bewegten sich 2024 bei 5,9 und 8,6 Prozent. Das wäre in etwa das Niveau, das chinesische Marken derzeit schon in Großbritannien erreichen.

Doch bis das auch in Deutschland erreicht ist, ist Geduld gefragt – meist keine Stärke chinesischer Hersteller. "Viele neue Marken wollen schnelle Erfolge und haben völlig unrealistische Erwartungen. Da bleiben dann nur noch Eigenzulassungen und der Anruf bei den großen Autovermietern", so Kipferler.

Eigentlich müssten Hersteller wie BYD ihre Vertriebsziele "drastisch" senken und sich Zeit nehmen, um etwa das Flottengeschäft aufzubauen. 

"Beim Blick in die Vergangenheit zeigt sich, dass der Markteintritt eines Importeurs eine Zeitspanne von rund einer Dekade in Anspruch nimmt", sagte Reindl der Automobilwoche im Mai.

Ein Beispiel für ein geduldigeres Vorgehen ist MG. Die Marke des SAIC-Konzerns ist mit am längsten in Deutschland aktiv und ist mit einem Marktanteil von 0,8 Prozent weiter als jeder chinesische Wettbewerber.

"Das Management hier hatte Geduld, die Marke ist auch nicht nur von BEVs abhängig", erklärt Kipferler. Allerdings kämpft MG derzeit auch mit Problemen. Zur Jahresmitte liegt die Marke 15 Prozent unter dem Vorjahresniveau.

Zudem wird der Absatz auch hier gestützt: Rund 26 Prozent der Neuzulassungen entfallen auf Händler und elf Prozent auf MG selbst. Letzteres kommt bei anderen chinesischen Marken so gut wie gar nicht vor. Hinzu kommen derzeit zwölf Prozent Vermieter-Zulassungen. Diese dürften allerdings bald merklich nach oben gehen: Ähnlich wie BYD hat MG eine Vereinbarung über 5.000 zusätzliche Fahrzeuge allein 2025 geschlossen.

Um den Absatz nachhaltig anzuschieben, empfiehlt Berylls eher den Weg über aggressives Pricing sowie eine hohe Händlervergütung und Incentives.

"Sobald Händler erkennen, dass sie trotz aggressiver Preispunkte solide Margen realisieren können, steigt auch ihre Bereitschaft, in Sichtbarkeit, Verkaufsförderung und Markenbekanntheit zu investieren", sagt Philipp Purrucker, Project Manager bei Berylls by AlixPartners.

Ein Beispiel dafür, dass aggressives Pricing Erfolg haben kann, ist derzeit Leapmotor. Modelle wie den T03 zum Neupreis ab 18.900 Euro gibt es im Leasing bereits für unter 100 Euro pro Monat. Die Nachfrage sei enorm, sagt ein Händler.

Tatsächlich gingen 1450 von 2070 Neuzulassungen im ersten Halbjahr an Privatkunden – ein Anteil von 70 Prozent. BYDs Anteil lag dagegen bei 9,8 Prozent beziehungsweise 617 Fahrzeugen.