Amazon drängt ins Geschäft mit Gebrauchtwagen

Erst waren es nur Neuwagen, doch demnächst folgt der nächste Schritt: Der Onlinehandelsriese Amazon dringt in den USA immer tiefer in den Autohandel vor. Man werde "bald in den Gebrauchtwagenmarkt einsteigen", sagte Fan Jin, Direktorin von Amazon Autos, unlängst dem US-amerikanischen Automobilwoche-Schwestermagazin "Automotive News".

"Das ist unser nächster großer Meilenstein", so Jin. Auch die Expansion nach Europa könnte schon bald auf der Tagesordnung stehen.

Aktuell können US-Verbraucher in 71 US-Metropolen auf Amazon Neuwagen der Marke Hyundai kaufen, finanzieren oder leasen, weitere Städte und vermutlich auch andere Marken werden folgen. Nach dem Onlinekauf können sich Kunden das Auto liefern lassen oder beim Händler abholen. Dieser bleibt auch Vertragspartner der Käufer. Ähnlich soll es bei Gebrauchtwagen laufen.

Perspektivisch dürfte sich Amazon keineswegs auf die USA beschränken. Der Konzern verfügt in Luxemburg über eine Auto-Abteilung. Aus dem Umfeld des Konzerns heißt es, dass der Konzern daran arbeite, auch in Europa in den Autohandel einzusteigen.

"Die Gerüchte, dass Amazon in Europa ins Autogeschäft einsteigt, halten sich schon lange. Ich kann mir das gut vorstellen. Es wird sicher bald die ersten Pilotprojekte geben", meint Christopher Ley. Er ist Partner bei Berylls by AlixPartners und spezialisiert auf Onlinevertriebsmodelle.

Amazon selbst teilt auf Anfrage mit, dass man sich zu Zukunftsplänen nicht äußere. "Für den Start von Amazon Autos in Deutschland haben wir keine Ankündigung gemacht", so ein Sprecher.

Auf dem Papier wären die Voraussetzungen aber gut, meint Andreas Kühnen, Inhaber der gleichnamigen, auf den Autohandel spezialisierten Online-Marketingagentur. "Amazon weiß enorm viel über das Kaufverhalten und die Vorlieben seiner Kunden. Dieser Datenschatz bietet theoretisch viel Potenzial für die gezielte Vermarktung von Pkw."

Doch ein Anlauf ist bereits gescheitert: 2016 hatte Amazon in einem Pilotversuch mit Fiat in Italien den Fiat 500 und Panda verkauft, so Ley. Dieser wurde jedoch nicht ausgeweitet. "Das war ein Vorläufer des Hyundai-Modells in den USA."

Und auch jetzt sind die Experten skeptisch. "Die Verbraucher in Europa sind konservativ. Das Marktpotential für einen reinen Online-Kauf liegt aktuell bei 15 bis 20 Prozent, auch wenn seit Jahren alle etwas anderes prognostizieren", sagt Ley.

"Ich glaube, dass es in Deutschland noch eine ganze Weile dauert, bis die Akzeptanz eines reinen Online-Autokaufs groß genug ist, um daraus ein Massengeschäft zu machen", sagt auch Kühnen.

Das legen auch die entsprechenden Online-Kauf-Angebote der deutschen Gebrauchtwagen-Platzhirsche Mobile.de und Autoscout24 nahe: Von den rund 1,5 Millionen auf Mobile gelisteten Inseraten gibt es nur bei knapp 15.000 die Möglichkeit zum Onlinekauf.

Konkurrent Autoscout24 kommt auf 17.000.  "Die Direktkaufangebote von bestehenden Gebrauchtwagenbörsen werden weniger genutzt als initial erwartet", sagt Ley.

Vor allem bei Gebrauchtwagen wollen die meisten Menschen das Auto vor dem Kauf besichtigen. Auch Auto1 mit seiner Tochter Autohero kam 2024 auf nur 74.400 online an Endkunden verkaufte Autos – bei einem Gesamtmarkt von 6,5 Millionen Besitzumschreibungen.

Amazon könne aber durchaus eine Rolle in der Kaufanbahnung spielen und potenzielle Kunden an Händler vermitteln, betont Ley. Derzeit läuft bereits ein Pilotprojekt zwischen Amazon und Hyundai, bei dem deutsche Kunden auf Amazon Neuwagen-Angebote von Händlern anfordern können.

Steigt Amazon in die Leadvermittlung (Vermittlung von Kontakten zu potenziellen Kunden) bei Gebrauchten ein, wäre das ein Frontalangriff auf das Geschäftsmodell der Platzhirsche Mobile.de und Autoscout24, die genau dasselbe tun und damit aus Mangel an ernstzunehmenden Konkurrenten prächtig verdienen. 

Auf deren Geschäftsmodell hat es auch der US-Techriese Google abgesehen. Dieser ist mit seinem Format "Vehicle Ads" hierzulande bereits einen großen Schritt weiter als Amazon. Vehicle Ads befindet sich in Deutschland derzeit in der Closed Beta Phase.

Ausgewählte Händler können dabei schon jetzt Gebrauchtwagen direkt in den Ergebnissen der Google Suche ausspielen lassen – ähnlich wie es etwa bei Turnschuhen oder Smartphones bereits seit Jahren üblich ist. Die Kunden landen in diesen Fällen direkt auf der Händlerwebsite statt auf einer Drittplattform.

Für Autohändler birgt der Angriff der Tech-Riesen eine enorme Chance: Durch die neuen Möglichkeiten zur Diversifikation sinke die Abhängigkeit von einzelnen Akteuren, so Ley. Das könnte sich positiv auf die Gebühren von Plattformen wie Mobile.de auswirken.

In den USA hätten die dortigen Gebrauchtwagenbörsen etwa 15 Prozent ihres Geschäfts an Google verloren, so Ley. Auch in Deutschland könnten die Marktanteile durch neue Wettbewerber etwas sinken.

Erste Anzeichen dafür gibt es. Die Erfahrungen der Händler mit Vehicle Ads seien überaus positiv, berichtet Kühnen, der mit seiner Agentur Händlern bei der Vermarktung über Vehicle Ads hilft. Während Leads der Gebrauchtwagenbörsen in fünf bis acht Prozent der Fälle in echten Käufen münden, seien es bei Leads über Vehicle Ads etwa 15 Prozent. "Erste Kunden, die Google Vehicle Ads nutzen, sind bei mobile.de in kleinere Pakete gewechselt", berichtet Kühnen.

Den Gebrauchtwagenbörsen deshalb schon den Rücken zu kehren, sei aber nicht ratsam, warnt Kühnen. Diese lieferten derzeit etwa 70 bis 80 Prozent aller Leads. Ein radikales Umschwenken von Mobile.de und Autoscout24 zu Amazon und Google birgt darüber hinaus das Risiko, letztlich nur einen Monopolisten durch einen anderen zu ersetzen.

"Die wachsende Konkurrenz könnte sich zunächst positiv auf die Gebühren auswirken. Andererseits wollen auch Google und Amazon Geld verdienen. Sobald das Geschäft bei ihnen läuft, werden sie die Preise anziehen", warnt Ley.