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EU-Flottenziel 2035: Zwischen Ladehemmung und Wasserstoff-Hoffnung

Die EU will Pkw-Flotten bis 2035 emissionsfrei machen – doch wie realistisch ist das? Experten forderten beim „Wiener Motorensymposium“ mehr technologische Offenheit und warnen: Nur auf E-Autos zu setzen, greift zu kurz.

Foto: iStock/Stadtratte

Die Verordnung (EU) 2019/631 legt verbindliche CO₂-Emissionsziele für neue Pkw und leichte Nutzfahrzeuge fest. Ab 2020 gelten EU-weite Flottengrenzwerte von 95 g CO₂/km für Pkw und 147 g CO₂/km für leichte Nutzfahrzeuge. Die Reduktionsziele betragen 15 % bis 2025, 55 % (Pkw) bzw. 50 % (Transporter) bis 2030 und 100 % ab 2035. Hersteller, die diese Ziele überschreiten, müssen Strafzahlungen leisten. Die Verordnung unterstützt die EU-Klimaziele und fördert emissionsfreie Fahrzeuge. Kein Wunder: Auf dem "46. Internationalen Wiener Motorensymposium" war dies ein heißes Thema. 

Lassen wir erst gar keine Zweifel aufkommen: Die Flottenregulierung der Europäischen Union, die ja bis 2050 Klimaneutralität anstrebt – mancher würde wohl sagen: ganz im viel gescholtenen Brüsseler Stil von oben herab vorschreibt – war in der Automobilindustrie noch nie unumstritten. Gelinde gesagt. Kurz zur Idee: Die "Verordnung (EU) 2019/631", seit 2015 gültig für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge, für schwere Nutzfahrzeuge (Lkw) erst 2019 festgelegt und seit 2025 in Stufen, bezieht sich auf CO2-Grenzwerte für Fahrzeuge, die in der EU zugelassen werden.  

Elektrifizierung vorantreiben

Zentrales Ziel ist es laut Brüssel, die Flottenemissionen bis 2035 auf Null zu bringen, was faktisch den Verkauf von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren untersagen und auf u.a. diese Weise die Elektrifizierung des Pkw-Marktes vorantreiben soll. Doch wie realistisch ist es, dass die aktuellen Vorschriften das langfristige Ziel der Defossilisierung der Pkw-Flotten tatsächlich erreichen? Fast unvermeidlich, dass das Dauerbrenner-Thema auf dem "46. Internationalen Wiener Motorensymposium" in der Wiener Hofburg ausführlich diskutiert wurde.

Regulierung trifft auf Realität

Dr. David Bothe, Director in den Kölner und Berliner Büros von Frontier Economics, einer der heute größten Wirtschaftsberatungen Europas, mahnte ernsthafte Bedenken bezüglich der Umsetzung an: "Es bleibt abzuwarten, ob die rapide Einführung von BEVs (Batterieelektrischen Fahrzeugen) die gesamte Flotte bis 2035 vollständig umstellen kann".

Der Experte für Energiemärkte, Klimapolitik, Mobilität, quantitative Marktanalysen, Regulierungs- und Politikdesign wies darauf hin, dass insbesondere bei der Ladeinfrastruktur, den Produktionskosten für BEVs und der Verfügbarkeit von Rohstoffen für Batterien noch große Herausforderungen bestünden. Diese Faktoren könnten das Tempo der Elektrifizierung erheblich bremsen. Bothe versicherte, dass eine rein auf BEVs ausgerichtete Regulierung nicht alle Sektoren ausreichend abdecke, insbesondere nicht den Langstreckenverkehr und schwerere Fahrzeuge, die von BEVs aufgrund ihrer Energieanforderungen und der Ladezeiten noch nicht optimal bedient werden können. 

Foto: Ranger/ÖVK

"Es bleibt abzuwarten, ob die rapide Einführung von BEVs (Batterieelektrischen Fahrzeugen) die gesamte Flotte bis 2035 vollständig umstellen kann".

Dr. David Bothe, Director in den Kölner und Berliner Büros von Frontier Economics

LCA: Gesamtbetrachtung ist entscheidend

Daher plädierte der Frontier Economics-Director für einen technologieoffenen Ansatz, der neben BEVs auch alternative Technologien wie Wasserstoff und eFuels berücksichtigt. Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe böten den Vorteil, dass sie mit bestehenden Verbrennungsmotoren genutzt werden können und somit eine schnellere Integration in bestehende Fahrzeugplattformen ermöglichen. Bothe empfahl zudem, die Lebenszyklus-Emissionen (im Fachenglisch: "Life Cycle Assessment"“ oder abgekürzt: LCA) in der Regulierung stärker zu berücksichtigen, da die tatsächlichen CO2-Emissionen eines Fahrzeugs über den gesamten Lebenszyklus, von der Produktion bis zum Betrieb, entscheidend seien.

Elektrifizierung als Goldstandard?

Damit stieß Bothe eine der zentralen Diskussionen auf dem Symposium an: den Vergleich zwischen batterieelektrischen Fahrzeugen und kohlenstoffneutralen Technologien. Dr. Norbert W. Alt, Chief Operating Officer (COO) und Geschäftsführer FEV Group GmbH stellte fest: „Auf der Langstrecken und für größere Fahrzeuge könnte Wasserstoff eine wichtige Ergänzung darstellen.“ Wasserstoffbetriebene Verbrennungsmotoren (H2-VKM) würden zunehmend als Alternative diskutiert, vor allem aufgrund der schnelleren Umsetzbarkeit in der Serienproduktion und der geringeren Kosten im Vergleich zu Brennstoffzellen.

Alt ging außerdem auch auf das Thema eFuels ein: Sie könnten eine zentrale Rolle in der Dekarbonisierung des Verkehrssektors spielen, insbesondere für Fahrzeugflotten, die schwer zu elektrifizieren sind, wie etwa Schwerlastfahrzeuge, Langstrecken-Lkw oder Bestandsfahrzeuge. Diese Kraftstoffe bieten die Möglichkeit, CO2-neutral produziert zu werden, wobei grüner Wasserstoff und CO2 als Ausgangsstoffe dienen. Laut Alt sollten eFuels als integraler Bestandteil der EU-Flottenregulierung anerkannt werden, da sie eine praktikable Lösung für die Umstellung von Verbrennungsmotoren auf emissionsfreie Technologien darstellen, ohne dass sofortige Investitionen in neue Fahrzeuge oder Infrastruktur erforderlich sind.

Foto: iStock/kasezo

E-Fuels sind synthetische Kraftstoffe, die aus Wasserstoff und CO₂ unter Nutzung von Strom aus erneuerbaren Quellen hergestellt werden. Sie können in bestehenden Verbrennungsmotoren verwendet werden und bieten potenziell klimaneutrale Mobilität. Allerdings ist ihre Produktion energieintensiv und derzeit kostspielig. E-Fuels gelten daher als ergänzende Lösung, insbesondere für schwer elektrifizierbare Bereiche wie Luft- und Schifffahrt.

Frederik Zohm, Executive Board Member für Research & Development sowie Chief Technology Officer (CTO) bei MAN Truck & Bus, stieß ins gleiche Horn: „Neben BEVs sollten auch andere Technologien wie eFuels und Wasserstoff-Verbrennungsmotoren (H2-VKM) als mögliche Lösungen betrachtet werden“, so der MAN-Vorstand.

Mehr Flexibilität, mehr Offenheit, mehr Optionen

Einigkeit herrschte in Wien, dass die EU-Flottenregulierung mit der Defossilisierung des Pkw-Marktes und der Verringerung der CO₂-Emissionen bis 2035 auf Null ein ehrgeiziges Ziel verfolge. Die Fortschritte bei BEVs seien zwar vielversprechend, doch die Regulierung müsste flexibler und technologieoffener gestaltet werden, um die vollständige Umsetzung der Klimaziele zu ermöglichen. Alternative Technologien wie fortschrittliche Biokraftstoffe und eFuels müssten ebenfalls in Form einer Systembetrachtung anstatt des tailpipe (rein Auspuffausstoß)-Ansatzes als mögliche Optionen zur Erreichung der Netto-Null-CO₂-Emissionen berücksichtigt werden. 

Die kommenden Jahre werden zeigen, ob der Gesetzgeber die Signale aus der Branche hört und in konkrete Politik ummünzt: nämlich die Regulierung an die sich entwickelnden technischen Möglichkeiten anzupassen.
 

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