Stuttgart. Die Hoffnung auf eine Entspannung ist groß – sie könnte sich als trügerisch erweisen. Zwar haben staatliche Kaufanreize vor allem in Europa die Autobranche vor dem Komplettabsturz im ersten Halbjahr bewahrt. Die Rechnung wird den Herstellern und Zulieferern aber im nächsten Jahr präsentiert. Die Nachfrage in Westeuropa dürfte 2010 um 13 Prozent auf 11,4 Millionen Pkw zurückgehen, wie die Rating-Agentur Standard & Poor's und J.D. Power schätzen. In Deutschland wird das Auslaufen der Abwrackprämie einen Einbruch um 32 Prozent auf knapp 2,7 Millionen Fahrzeuge auslösen. Immerhin soll die weltweite Nachfrage wieder anziehen – um 2,5 Prozent auf 60,7 Millionen Einheiten. Allein der US-Markt dürfte um 13,1 Prozent auf 11,2 Millionen zulegen.
Hohe Wachstumsraten werden auch für China, Indien und Russland vorhergesagt. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres ging die weltweite Pkw-Nachfrage um fast 18 Prozent zurück. General Motors und Chrysler mussten von der US-Regierung mit Milliarden am Leben erhalten werden und rutschten zeitweilig in die Insolvenz. Auch außerhalb der USA ist die Bilanz verheerend: Von sechs europäischen Autokonzernen schreiben drei rote Zahlen. Während Volkswagen stark von der Abwrackprämie und der Premiumtochter Audi profitierte, geriet Daimler gleich doppelt unter Druck: Die Pkw-Produktion war viel zu spät gedrosselt worden. Zusätzlich drückte das eingebrochene Nutzfahrzeuggeschäft die Stuttgarter tief ins Minus. BMW hingegen schaffte einen kleinen Gewinn. Außer Honda weisen alle Japaner Verluste im zweiten Geschäftsquartal aus.
Nun scheint die finanzielle Talfahrt gestoppt. Im zweiten Halbjahr ist eine Normalisierung wahrscheinlich, weil Überbestände abgebaut und Materiallager geleert sind. Die Sparprogramme greifen, die Unternehmen haben sich mittlerweile auf die schwierige Situation vorbereitet. Die strukturellen Probleme der Branche sind aber nicht einmal im Ansatz gelöst. Denn auch 2010 dürfte das weltweite Absatzvolumen um 8,3 Millionen Fahrzeuge unter dem des "normalen“ Autojahrs 2007 liegen. Und bereits damals hatte die Autoindustrie große Überkapazitäten. Bislang konnten gerade die deutschen Hersteller und Zulieferer durch die Kurzarbeit und das Strohfeuer der Abwrackprämie einen massiven Stellenabbau vermeiden.
Wenn sich die Perspektiven aber nicht deutlich aufhellen, werden sich Personalanpassungen kaum vermeiden lassen, heißt es in Industriekreisen. Gerade im Zulieferbereich dürften die äußerst düsteren Prognosen für den Lkw-Markt für zusätzlichen Druck sorgen. Für Volumenhersteller ergibt sich ein weiteres Problem, weil die Abwrackprämie einen wahrscheinlich dauerhaften Preisrutsch ausgelöst hat. Eine echte Entspannung der Lage ist also nicht in Sicht.