Die Branche steht in den kommenden zehn Jahren vor gewaltigen Herausforderungen. Während auf der einen Seite Milliarden an Investitionen in neue Antriebstechnologie notwendig sind, ist der Kunde auf der anderen Seite nicht bereit, mehr Geld für das Autofahren auszugeben. Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise verschärft die Situation dramatisch - unter anderem durch höhere Refinanzierungskosten. Das alles wird die Industrie kräftig durcheinander wirbeln und für neue Strukturen sorgen.
McKinsey: Langfristig kein Jobabbau in deutscher Autoindustrie
Wir rechnen weltweit in den nächsten zehn Jahren mit Investitionen allein in den Powertrain von 20 bis 30 Milliarden Euro. Auf die deutschen Hersteller entfallen davon zwischen fünf und zehn Milliarden Euro. Dazu gehört die Weiterentwicklung des klassischen Verbrennungsmotors ebenso wie alternative Antriebe vom Hybrid über das Elektrofahrzeug bis zur Brennstoffzelle. Weil aber derzeit niemand seriös sagen kann, welche neuen Technologien sich durchsetzen, ist offen, ob sich das eingesetzte Kapital jemals wieder zurück verdienen lässt.
Beim Elektrofahrzeug gibt es derzeit drei große Herausforderungen, auf die wir eine Antwort finden müssen: Wie lässt sich mit derartigen Fahrzeugen zukünftig Geld verdienen und vor allem: Wer wird es verdienen? Welche Rolle muss ein Automobilhersteller in der Wertschöpfungskette spielen, konkret: müssen wir als deutsche Autoindustrie in die Batterietechnologie und gegebenenfalls in die Batteriefertigung einsteigen? Und wie sollte ein Automobilhersteller oder auch die Autoindustrie insgesamt idealerweise organisiert sein, um rasch diese Fahrzeuge hervorzubringen? Darüber hinaus gibt es aber noch weiteren Investitionsbedarf ...
Weil das Wachstum künftig vor allem in den Emerging Markets stattfindet, müssen die Hersteller zum Beispiel in Brasilien, Russland, Indien und China eine Entwicklung und Produktion aufbauen. Für europäische Firmen ist darüber hinaus die Präsenz im nordamerikanischen Markt mit eigenen Werken und einem hohen lokalen Wertschöpfungsanteil ein Thema. Dies dürfte weltweit weitere 10 Milliarden Euro kosten, allein drei Milliarden werden nach unseren Berechnungen die deutschen Hersteller aufbringen müssen.
In den nächsten Jahren, also dann wenn die Investitionen stattfinden müssen, ist der Profitpool äußerst begrenzt. Wenn 2007 den Autoherstellern und Lieferanten weltweit 52 Milliarden Dollar an Gewinnen zur Verfügung standen, lagen wir Ende 2008 bei 17 Milliarden Dollar und dieses Jahr werden wir mit einer Milliarde im Minus ankommen. Das bedeutet, dass die Autoindustrie dieses Jahr insgesamt Verluste schreibt. Unseren Schätzungen nach allein in Nordamerika zehn Milliarden Dollar. Auch Europa und Japan werden negativ sein. Nur in Brasilien, Russland, Indien und China wird etwas verdient. In der Folge muss die Industrie die Kosten radikal senken. Da wird man die eine oder andere heilige Kuh schlachten müssen.
Gerade die deutsche Industrie hat lange Zeit einen Schutzschirm über das Inland ausgebreitet. In einer Art Mischkalkulation wurde die Anzahl der Arbeitsplätze hierzulande in den letzen 20 Jahren nahezu konstant gehalten, während gleichzeitig zur Abfederung ins Ausland investiert wurde. Das wird man sich auf Dauer aber nicht leisten können, wenn der europäische Markt wegbricht und das Wachstum woanders stattfindet. Jeder Hersteller hat ein gewisses Optimierungspotenzial. Da muss man jetzt noch aggressiver ran. Das wird aber nicht ausreichen. Grundsätzlich müssen wir jetzt forciert die strukturellen Kosten in der Industrie deutlich senken.
Kurzfristig sind Kapazitätsanpassungen und damit verbundene Stellenstreichungen je nach Situation des Herstellers nicht auszuschließen. Die Industrie muss sich darauf einstellen, dass erst Ende 2010 wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen ist. Die Kurzarbeit wird Herstellern und Zulieferern helfen, über die nächsten 18 Monate zu kommen. Dann wird sich unserer Einschätzung nach ein Stellenabbau bei Herstellern und Zulieferern kaum vermeiden lassen. Langfristig rechnen wir aber damit, dass die Zahl der Arbeitsplätze in der deutschen Autoindustrie auf gleichem Niveau bleibt, weil die weltweite Nachfrage wächst und gerade die deutschen Automobilhersteller mit einer hervorragenden technologischen Substanz in die Zukunft blicken können.
In Deutschland waren Ende 2007 rund 1,36 Millionen Menschen in der deutschen Autobranche beschäftigt, davon 390.000 bei den Herstellern, 358.000 bei Zulieferern und 612.000 im Kfz-Gewerbe. Bis 2020 werden durch Produktivitätsverbesserungen 190.000 Stellen und durch Outsourcing weitere 104.000 Arbeitsplätze wegfallen. Während also insgesamt 294.000 Jobs verloren gehen, gewinnt die Branche gleichzeitig 286.000 neue Stellen hinzu. Dazu tragen neue Technologien mit 186.000 Arbeitsplätzen bei. Rund 60.000 Stellen kommen durch die höhere Nachfrage nach in Deutschland gefertigten Autos, weitere 40.000 Jobs entstehen, weil die Zahl der Modelle und Nischenfahrzeuge steigt. Allerdings wird ein forcierter Umbau von der Hard- zur Software stattfinden, das bedeutet: immer mehr Elektronik und Software im Auto. Das wird die Herausforderung sein.
Die Industrie muss vor allem Strukturkosten abbauen. Weil alle Hersteller grundsätzlich optimistisch planen, liegen die Überkapazitäten dauerhaft zwischen 20 und 35 Prozent. Das kostet viel Geld. Denkbar wäre nun, dass sich die Branche auf den Abbau der Überkapazitäten einigt, zum Beispiel mit so genannten Spitzenbrecher-Werken. Das sind Fabriken, die Modellvarianten oder Nachfragespitzen auffangen und von allen gemeinsam bezahlt werden. Fahrzeuge verschiedener Hersteller könnten vom gleichen Montageband laufen und die Fabriken von einem Dienstleister hocheffizient betrieben werden. In der Computerindustrie gibt es das schon lange. Außerdem wäre es sinnvoll, viel mehr Komponenten, die nicht markendifferenzierend sind, gemeinsam zu entwickeln und einzukaufen. Vor allem im Kleinwagen-Segment muss ein Strategiewechsel erfolgen.
Derzeit verdient im Polo-Segment und darunter praktisch kein deutscher Hersteller ausreichend Geld. Hier sind die deutschen Hersteller unter Profitabilitäts-Gesichtspunkten schlichtweg nicht ausreichend konkurrenzfähig. Unsere Kostenstrukturen sind mittlerweile so hoch, dass ein Kleinwagen sich unter einer Stückzahl von 250.000 Einheiten kaum rechnet. Die Hersteller müssen also über ihren Schatten springen und Kooperationen eingehen, also Plattformen, Module und Komponenten teilen. Denkbar ist auch der Bau einer gemeinsamen Fabrik an einem günstigen Standort.
Wenn Sie auf einen Zusammenschluss von Mercedes und BMW anspielen, wäre das nach unseren Berechnungen nur eingeschränkt attraktiv. Weil beide mit ähnlichem Anspruch in den gleichen Märkten konkurrieren, sind die Synergieeffekte beispielsweise durch höhere Stückzahlen im Vertrieb eher begrenzt. In Form einer Kooperation bei einzelnen Komponenten mag es Vorteile geben. Allerdings dürfte es schwer sein, viele wirkliche Gleichteile zu finden. Premiumhersteller sollten bei aller Notwendigkeit für Kosteneinsparungen vielmehr darüber nachdenken, wie sie ihre Marke mit neuer Emotionalität aufladen und höhere Preise am Markt erzielen können.
Diese Rechnung geht nicht auf. Die Kosten in den europäischen Werken sind im Vergleich zu den in Amerika und den Schwellenländern erzielbaren Fahrzeugpreisen viel zu hoch. Diese Schere wird künftig sogar noch weiter auseinander gehen. Die Hersteller werden es sich kaum leisten können, ganze Fahrzeuge und Komponenten weltweit durch die Gegend zu transportieren und am Ende zu hoffen, dass eine Marge hängenbleibt.
Am Beispiel China wird die enorme Herausforderung für die Industrie schnell deutlich: Dort erwarten die Kunden eine ähnliche Funktionalität der Fahrzeuge, der Preis liegt allerdings heute schon 30 bis 40 Prozent unter dem europäischen Niveau. In den nächsten zwei bis drei Jahren werden die Preise dort weiter abschmelzen und dann auf dem amerikanischen Level liegen. Mit einer deutschen Engineering- und Premium-Kultur alleine lassen sich unter wirtschaftlichen Aspekten keine Autos für diese Märkte bauen. Wir müssen hier neue Wege gehen und deutlich kreativere technische Lösungen entwickeln. Wir nennen das "Best-of-Global", d.h. die in den verschiedenen Regionen zu findende besten technischen und wirtschaftlichen Lösungen geschickt zu kombinieren.
Das gilt derzeit vor allem für Volumenhersteller, letztlich werden aber auch die Premiumanbieter nicht um den Aufbau lokaler Werke und Engineering herumkommen. Im Grund muss die gesamte Wertschöpfungskette in die Schwellenländer verpflanzt werden – das reicht von der Entwicklung über die Lieferanten bis zur Produktion. Neben den Kosten gibt es ein weiteres wichtiges Argument für einen solchen Schritt: In Asien entwickelt sich derzeit ein ganz eigener Kundengeschmack. Das ist eine Mischung aus amerikanischem Design kombiniert mit einem europäischen Antriebsstrang. Selbst im Premiumbereich kommt man daran nicht vorbei. In den weltweiten Volumenmärkten muss man für die Mittelschicht jeweils genau auf den Kundengeschmack zugeschnittene Autos anbieten.
Nach unserer Rechnung sind die Synergiepotenziale am höchsten, wenn Hersteller in unterschiedlichen Regionen ihre Absatzschwerpunkte haben oder beide in ein völlig neue Stückzahldimension vordringen können. Zudem ist der Austausch von Technologie bei Zusammenschlüssen erfolgskritisch. Natürlich gilt es auch kulturelle Aspekte zu berücksichtigen. Konkret: der Zusammenschluss eines japanischen mit einem amerikanischer Hersteller bürgt rein rechnerisch die höchsten Potentiale. Grundsätzlich ist zu sagen, dass die US-Hersteller operativ bzgl. ihrer Produktivität nicht schlecht sind. Das Geld, das sie in der Vergangenheit verdient haben, haben sie aber für die hohen Gesundheits- und Pensionsverpflichtungen wieder verbraucht. Und natürlich gab es auch ein Defizit an Investitionen in moderne Technologie. Bei den Europäern würde ein Volumenhersteller gut zu einem asiatischen Low-cost-Anbieter passen.
Weil die Banken vor allem bei Firmenkunden versuchen werden, höhere Margen durchzusetzen, , dürften die Zinsen in den nächsten zwei Jahren steigen. Existenziell wird dies vor allem für Unternehmen, die stark fremdfinanziert sind und deren Margen gering sind. Es gibt also eine zweigeteilte Welt: Auf der einen Seite Firmen mit einem geringen Verschuldungsgrad, hohem Eigenkapitalanteil und möglicherweise guten Liquiditätsreserven. Und andererseits solche, die mit dem Rücken zur Wand stehen.
Noch immer gibt es in der Branche viele Akteure. In fünf bis zehn Jahren werden wir vermutlich eine deutlich konzentriertere Industrie sehen. Die deutschen Hersteller und Zulieferer haben eine enorme Substanz, um aus der derzeitigen Krise gestärkt hervorzugehen. Das betrifft die finanzielle Situation ebenso wie technische Entwicklungen und Innovationen. Möglich ist auch, dass sich zwischen der eher technologisch geprägten europäischen und der komfortorientierten amerikanischen Autokultur, zu der sich auch der asiatische Kundengeschmack hin entwickelt, eine noch größere Polarisierung ergibt als es heute schon der Fall ist. Das würde bedeuten: Amerika und Asien rücken näher zusammen, möglicherweise mit entsprechenden Unternehmens-Zusammenschlüssen und einem ganz neuen "Stückzahl- und Effizienzspiel".