Auto-Experte Diez erwartet weitere Schließungen von Werken in Europa

Hamburg. Der "Auto-Professor" Willi Diez prognostiziert "sehr spannende Jahre" für die deutsche Fahrzeugbranche und rechnet weltweit mit der Schließung von Autowerken sowie mit deutlichen Einschnitten in das hiesige Handelsnetz der Vertriebspartner. Dies sagte der Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft im schwäbischen Geislingen an der Steige am gestrigen Dienstagabend (16. 2.) als Redner am "Internationalen Institut für Politik und Wirtschaft" im "Haus Rissen Hamburg".

Die Veranstaltung "Die Zukunft der Automobilbranche – Konsequenzen für den Automobilstandort Hamburg" in der Hansestadt hatten die Hamburger Niederlassungen von BMW und Mercedes-Benz sowie das Audi-Zentrum Hamburg gemeinsam gestaltet. "Der stürmische Wandel des Autosektors und dessen Folgen für die wichtigste Schlüsselindustrie der deutschen Wirtschaft möchten wir an diesem Abend erörtern", hieß es im Einladungsschreiben. "Dies gilt auch für den Automobilstandort Hamburg mit seinen mehr als Tausend Arbeitsplätzen".

Als erster von zwei Hauptreferenten bekräftigte Axel Gedaschko, Präses der Behörde für Wirtschaft und Arbeit in Hamburg, das Bekenntnis seiner Kollegen auf politischer Ebene zur Schaffung weiterer Beschäftigungsverhältnisse in der Autobranche in Hamburg und dem Umland der norddeutschen Metropole. "Dabei wollen wir kein weiteres Krisen-Cluster wie in Süddeutschland schaffen", so Gedaschko in Anspielung auf die aktuellen Probleme zahlreicher Hersteller und Zulieferer aus dem Süden der Republik in der anhaltenden Autokrise. "Es muss uns gelingen, etwas mehr zu tun".

Als Beispiel führte Gedaschko innovative Technologien rund um die Brennstoffzelle an, von der neben der Fahrzeug- auch die in Hamburg ansässige Flugzeugindustrie profitieren könne. So sei anstelle vereinzelter "Insellösungen" in Hamburg ein breit angelegter "technischer Korridor" denkbar, von dessen Know-how-Transfer etwa der Fahrzeughersteller Daimler und der Jet-Produzent Airbus gleichermaßen profitieren könnten. Daimler werde unter anderem den Einsatz brennstoffzellengetriebener Busse im öffentlichen Nahverkehr der Hansestadt ausweiten und habe Patente für die Umwandlung von Wasserstoff, deren Nutzungsrechte zwischenzeitlich in den USA lagen, gezielt wieder zurückgekauft. Airbus arbeite beim künftigen Modell A 350 an Brennstoffzellen für Hilfsaggregate des Personen-Jets, den Radnabenantrieb des Flugzeugfahrwerks sowie die Einspeisung entsprechend anfallenden Brauchwassser in das System der Bordwaschräume. Für die nahe Zukunft stellte Gedaschko die Einrichtung einer Forschungsprofessor für Wasserstofftechnologie im Norden in Aussicht.

Willi Diez, der zweite Redner im Haus Rissen Hamburg, verwahrte sich in seinen Ausführungen zunächst gegen einen allzu sorglosen Umgang mit dem Terminus "Autokrise" in Industrie, Handel und Medien. "Wir werden 2010 in Deutschland mit etwas Glück rund drei Millionen Neuwagen verkaufen", so der Auto-Professor aus Baden-Württemberg. "Und das ist ein ganz normales Niveau für einen weitgehend gesättigten Automarkt wie Deutschland". Für das jüngst begonnene Geschäftsjahr erwarte er hier zu Lande "keinen massiven Abbau von Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie, da sich der Markt stabilisiert".

Gleichwohl bleibe die internationale Fahrzeugindustrie seiner Ansicht nach mit dem drängenden Problem der Überkapazitäten konfrontiert. Diez: "Wir könnten weltweit in diesem Jahr rund 80 Millionen Autos produzieren, werden aber lediglich rund 50 Millionen benötigen". Daher seien kurz- und mittelfristig "sehr spannende Jahre" zu erwarten. So rechnet Diez neben der von GM beabsichtigten Einstellung des Betriebs in der belgischen Pkw-Fabrik Antwerpen "fest mit weiteren Werksschließungen in der Branche". Diez wörtlich mit Blick auf die allgemeine Lage der Autoindustrie: "Antwerpen ist nicht das Ende der überfälligen Bereinigung". Auch für das deutsche Autohandelsnetz sagt der Professsor aus dem "Ländle" tiefe Einschnitte voraus. "Verglichen mit anderen Ländern", so Diez, "haben wir hier einen um rund die Hälfte zu hohen Bestand von Vertriebspartnern". Eine entsprechende Bereinigung sei "schmerzhaft, aber notwendig".