Rüsselsheim. Um den Autobauer Opel ist es schlecht bestellt – aber nicht erst seit heute. In Deutschland ist der Marktanteil seit den 90er Jahren von 17 Prozent auf jetzt gut sieben Prozent eingebrochen, Tendenz weiter sinkend. Auch um den Absatz ist es schlecht bestellt: Im April ist dieser hierzulande erneut um elf Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gesunken. Das sind aber nicht die einzigen Probleme, mit denen Opel zu kämpfen hat. Vielmehr geht es laut dem "Handelsblatt" um eine Mischung aus Managementfehlern, um Unverständnis der Konzernmutter und um die veränderten Marktbedingungen.
Viele Jahre galten Autos aus dem Hause Opel als cool, weil sie sportlich waren, Stichwort: Ascona und Mantra. Damals standen die Kunden laut Frank Behrendt, Vorstand der PR-Agentur Fischer-Appelt, treu zu ihrer Marke. "Heute wäre Opel froh, wenn es noch Witze gäbe, die um das Produkt und nicht um Werksschließungen oder Entlassungen kursieren", so die Meinung von Behrendt. Carl-Peter Forster, von 2001 bis 2004 Opel-Vorstandsvorsitzender, hatte dieses Problem schon früh erkannt. Zu Beginn seiner Turn-around-Strategie gab er zu bedenken, "dass es mindestens zehn Jahre dauert, das Image einer Marke zu drehen". Opels Mutterkonzern General Motors gab ihm weder die Zeit noch das Geld, was Michael Brandtner, Spezialist für strategische Marken- und Unternehmenspositionierung zu folgender These führt: "Heute ist niemandem mehr klar, wofür Opel eigentlich steht". Nicht minder zu diesem Verwirrspiel haben sicher auch die ständig wechselnden Slogans beigetragen: "Technik, die begeistert" wurde durch "Frisches Denken für bessere Autos" abgelöst – danach hieß es auf einmal "Entdecke Opel". Momentan erklärt Opel: "Wir lieben Autos". Was kommt als Nächstes, wie geht es weiter mit einem Autobauer, der nicht nur mit Absatzeinbrüchen sondern auch mit Überkapazitäten zu kämpfen hat? Ende Juni will Opel-Chef Karl-Friedrich Stracke seinen Plan vorstellen. Schon jetzt sagte er dem "Handelsblatt": "Sparen allein ist kein Konzept, da gebe ich Ihnen völlig recht". Vielmehr versteht er seinen Revitalisierungsplan als einen "umfassenden und offensiven Wachstumsplan, mit Milliarden-Investitionen in 30 neue Modelle bis 2014, in sparsame Motoren, in eine profiliertere Marke oder etwa eine Qualitäts- und Kundenzufriedenheitsoffensive". Stracke hat sein Ziel klar vor Augen: "Opel muss so bald wie möglich wieder profitabel arbeiten". Angesichts des schwachen Marktes wolle er aber heute noch keine Prognose abgeben, ab wann Opel wieder schwarze Zahlen schreiben wird."Heute ist niemandem mehr klar, wofür Opel eigentlich steht"
Vielmehr setzt Stracke auf Wachstum. Dem "Handelsblatt" sagte er: "Wir wollen und können nicht auf den Rückenwind des Marktes warten. Trotzdem sehen wir die Chance, auch in Europa zu wachsen". Dazu beitragen sollen "nagelneue Modelle in Segmenten, in denen wir bisher nicht vertreten waren". Gemeint sind etwa der Mokka bei den kleinen SUVs und der Opel Adam bei den kleinen, stilvollen City-Autos. Außerdem spricht Stracke im Interview mit dem "Handelsblatt" von einem Cabrio oberhalb des Astra, "dessen Namen ich heute noch nicht verraten kann". Zusätzlich will Stracke eigenen Angaben zufolge die Komplexität in der Fertigung senken und eine Vollauslastung im Dreischichtbetrieb in allen Werken anstreben.
Neben neuen Modellen soll auch die Erschließung neuer Märkte zum Wachstum beitragen. So wolle man bei Opel künftig stärker auf China setzen. 2011 wurden dort rund 5000 Autos verkauft – "das wollen wir sukzessive auf zehn-, zwanzig- oder dreißigtausend Einheiten" ausbauen. Auch Australien und Russland spielen in den Wachstumsplänen eine große Rolle. In Australien soll im vierten Quartal 2012 der Vertrieb gestartet werden, in Russland soll der Marktanteil in diesem Jahr um ein Prozent auf 3,5 Prozent ausgebaut werden. Darüber hinaus soll das Engagement in der Türkei und in Israel fortgeführt werden. "Gleichwohl wird Deutschland immer unser Rückgrat bleiben", erklärt Stracke.
Eine Chance sieht der Opel-Chef in der "Positionierung als Volksmarke, als deutscher Hersteller mit emotionalem Design, der High Tech breiten Massen erschwinglich macht". In der Vergangenheit haben man nicht immer die Stärken so ausgespielt, wie es möglich gewesen wäre. Das solle sich künftig ändern. Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Allianz mit PSA, die laut Stracke viele Chancen im Bereich Logistik, Einkauf und bei der Entwicklung gemeinsamer Architekturen bringen wird. "Wir werden mehr Modelle auf den Markt bringen können, und das in deutlich kürzeren Intervallen", verspricht er. Befürchtungen, dass Opel als Verlierer der Allianz hervorgehen könnte, erstickt Stracke im Keim. "Wichtig ist, dass wir die Opel DNA klar bewahren werden und die Allianz auf Ausgewogenheit ausgerichtet ist; dadurch fallen keine Stellen in der Entwicklung weg. Wenn PSA ein Modell für uns entwickeln sollte, würden wir im Austausch eines von PSA bekommen".Wie steht die Opel-Mutter General Motors zu Strackes Plänen? "Wir haben Entscheidungen gemeinsam getroffen, wir müssen auch gemeinsam wieder nach vorne blicken. Außerdem: Kennen Sie eine Mutter, die ihrem Kind etwas Schlechtes wünscht?" – so beantwortet Stracke die Frage. "Wir müssen damit aufhören, überoptimistische Ziele zu setzen und unerreichbare Marktanteile einzuplanen", so lautet die Antwort von Opel-Aufsichtsratschef und GM-Vizepräsident Stephen Girsky. GM-Boss Dan Akerson jedenfalls hält an seinen Zielen fest, Opel weiterhin als regionale Angelegenheit zu betrachten. Autos dürften demnach nur im westlichen Europa verkauft werden, außerhalb des Gebiets "nur in Ländern, wo es Sinn macht". Stracke spricht übrigens in diesem Zusammenhang nicht von einem Verbot für Opel, sondern von Ergebnissen von Wirtschaftlichkeitsberechnungen.
Den Opelanern wird ein zwiegespaltenes Verhältnis zu GM nachgesagt. Viele meinen, dass Opel bestenfalls eine Randnotiz für GM ist. Ein nicht näher genannter Arbeitnehmervertreter geht im Interview mit dem "Handelsblatt" sogar noch weiter: "Es gibt einige in Detroit, für die sind wir das Geschwür am Arsch von GM". In Amerika hingegen herrscht laut Analystin Rebecca Lindland vom Branchenanalysedienst IHS das Gefühl, dass "wir unseren Teil zur Restrukturierung erbracht haben, jetzt muss Opel seinen Teil beitragen". Schwierig dürfte auch das Verhältnis zwischen den Opel- und den Chevroletmitarbeitern sein. General Motors hatte während des Konkursverfahrens 2009 den Verkauf aller Töchter erwogen – mit einer Ausnahme: Chevrolet. Stattdessen trennte sich GM lieber von Pontiac, Saturn, Hummer und Saab. Auch Karl-Friedrich Stracke könnte den Zorn der Chevrolet-Mitarbeiter auf sich gezogen haben. Sein Zukunftsplan sieht nämlich vor, die Opel-Kapazitätsauslastung in Europa durch den zusätzlichen Bau von Chevrolet-Modellen zu verbessern. Stracke verspricht sich davon eine Erhöhung der Auslastung um 300.000 Fahrzeuge pro Jahr. Weniger optimistisch gibt sich der GM-Korea-Chef Sergio Rocha. Am Rande der Busan Auto Show in Südkorea sagte er: "Denken wir darüber nach? Ja, immer. Aber tun wir irgendetwas? Nein". Noch laufen die meisten Chevrolets in Korea vom Band. Eine endgültige Antwort von GM steht noch aus. Vielleicht gibt es diese ja am 28. Juni, wenn Karl-Friedrich Stracke seinen Opel-Rettungsversuch vorstellt. (Fotos: W. Schüring/Opel)