München. Zwar hat Toyota in jüngster Zeit wieder aufgeholt: Per Ende August legte die Marke in der EU um 7,9 Prozent zu, Lexus gar um 30,2 Prozent. Dennoch verschieben sich die Gewichte der japanischen Autobauer in Europa. Denn Nissan steigerte den Absatz im gleichen Zeitraum um 9,6 Prozent, Mazda gar um 22,8 Prozent. Ein Blick auf den Langfrist-Trend unterstreicht diesen Eindruck. Ausgerechnet Toyota, weltweit größter Autobauer, Erfinder der modernen Automobilproduktion mit geringer Fehlerquote und schlanker Lagerhaltung, ist ins Hintertreffen geraten. Vor zwei Jahrzehnten stürzte Japans Branchenprimus die europäischen Autobauer mit seiner Effizienz noch in Existenzängste. Heute zittert man in Wolfsburg, Turin und Paris eher vor Hyundai. „Toyota hat sich in Europa verschätzt, vor allem in Deutschland. Von den dort ursprünglich einmal angepeilten 200.000 Einheiten sind noch 74.000 übrig geblieben“, sagt Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management (CAM). Viele Faktoren hätten dazu geführt, vor allem aber eine langjährige Fehleinschätzung der europäischen Kunden, stellt Bratzel fest. „Die Produktbreite und die Produkttiefe waren in den vergangenen Jahren nicht wirklich an die europäischen Bedürfnisse angepasst.“ Zwar habe Toyota immer wieder einmal passende Fahrzeuge angeboten wie den RAV4 oder den Celica – „aber dann wurde nicht nachgelegt.“ Auch Clemens Wasner, als Partner der Unternehmensberatung EFS seit zehn Jahren in China und Japan lebend, ist immer wieder erstaunt über Wissenslücken und Fehleinschätzungen in Japan. „Die Koreaner haben in Europa vieles schneller begriffen. Zum Beispiel, dass man beim Design den europäischen Geschmack ernst nehmen muss“, sagt er. Und viel zu lange hätten die japanischen Hersteller, allen voran Toyota, an einem zu engen Premium- Begriff festgehalten: „In Japan begreift man Premium fast ausschließlich als höchste Qualität. Aber in Europa zählen auch sehr das historische Gewicht einer Marke und immer weiter vorangetriebene Technologiekonzepte.“ Daran sei letztlich Lexus in Europa gescheitert, urteilt Wasner. „Lexus wird in Westeuropa nicht als Premiummarke wahrgenommen.“ Autoexperte Bratzel sieht noch weitere Probleme: „In japanischen Unternehmen gibt es traditionell eine zu starke Selbstbezogenheit.“ Andere Hersteller wie Hyundai hätten viel schneller gelernt, was in Europa zählt, etwa gutes Design und eine Qualität, die sich in überdurchschnittlichen Garantieversprechen ausdrücke. Aber der kritische Experte sieht auch Fortschritte: „Es ist wieder Realismus bei Toyota eingekehrt. Die Marke will deutlich emotionaler werden.“ Einer der führenden Toyota- Händler in Deutschland, der langjährige Verbandspräsident Burkhard Weller, sieht Toyota ebenfalls wieder in der Wachstumsspur. „In Europa geht es tüchtig vorwärts, Toyota gibt endlich wieder Gas“, sagt er. Allerdings macht er auch klar, dass die Marke in Deutschland nicht mehr zu alter Stärke zurückfinden werde: „Heute besetzt der Volkswagen-Konzern jede Marktnische.“ Da bleibe für Importmarken auch bei Vans und SUVs nichts mehr übrig. Den oft kritisierten Mangel bei der Diesel-Motorisierung sieht Weller nicht mehr als entscheidend an: „Wir haben mit der Hybridisierung eine Kernkompetenz und ein Standing, das keiner sonst hat. Und bei uns sucht keiner mehr wirklich für alle Modelle einen Diesel – zumal wir mit den zugekauften Motoren von BMW vorläufig noch ein gutes Angebot machen können.“ Freilich wünscht sich auch Weller mehr Emotionalität und europäisches Design bei Toyota. „Wir haben jetzt zwar den GT86, aber das Sportwagen-Segment haben wir zu lange links liegen gelassen.“ Auch sei der RAV4 immer größer geworden, während der Wettbewerb mit immer kleineren Crossovern Erfolge einfahre. Toyota habe diese Lücken aber erkannt und arbeite an neuen Modellen. „Toyota hat die Reset-Taste in Europa gedrückt. Niemand sollte uns zu schnell abschreiben.“
Niedergang der Musterknaben
Größter Herausforderer ist Nissan, hinter Toyota der zweitgrößte japanische Importeur in Europa. „Carlos Ghosn hat auf Angriff geschaltet. Dazu wird viel investiert in neue Modelle und eine Verbreiterung der Produktpalette“, beobachtet Auto forscher Bratzel. Mit frischem Design und neuen Karosserieformen wie beim Qashqai und beim Juke habe Nissan den europäischen Geschmack getroffen. „Toyota hat zwar das Hybridthema, Nissan aber ist breiter aufgestellt und reagiert flexibler auf die Markttrends. Außerdem ist das Nissan- Marketing wesentlich frischer als das von Toyota“, urteilt Bratzel. Sehr schwer tut sich in Europa auch die einstige Technologiemarke Honda. Im Frühjahr legte Honda eine seiner beiden Fertigungslinien im englischen Swindon still, 340 Stellen wurden gestrichen. Das 1992 eröffnete Werk baut die Modelle Civic, Jazz und CR-V für den europäischen Markt und hat eine Kapazität von jährlich 250.000 Einheiten. „Wenn wir für die nächsten Jahre kein Wachstum prognostizieren können, dann müssen wir die Kapazität unserer Fertigung nach und nach an diese Situation anpassen“, sagt dazu Honda-Europa-Chef Ian Howells. „Honda verliert den europäischen Markt aus dem Blick“, stellt Bratzel dazu fest. „In den vergangenen fünf Jahren ist hier nicht mehr allzu viel geschehen. Bestimmt wird die Strategie des Unternehmens dagegen immer mehr von den Wachstumsmärkten.“ Wenn Honda noch einen Tick mehr Marktanteil verliere, drohe ein Absturz, warnt Bratzel: „Honda muss aufpassen, nicht aus dem ,Relevant Set‘ der Autokäufer zu fallen. Irgendwann ist man so klein, dass man nicht mehr wahrgenommen wird.“