Automarkt in China weiter unter Druck

Peking. Nach den verheerenden Explosionen in der Hafenstadt Tianjin mit mindestens 121 Todesopfern gingen Bilder endloser Reihen ausgebrannter Autos um die Welt. Das explodierte Lagerhaus für giftige Chemikalien stand nahe den Terminals für Autoimporte; tausende Stellplätze für gerade eingeführte Wagen liegen in unmittelbarer Nähe. Mindestens 10.000 Autos wurden nach Angaben des Wirtschaftsmagazins Caixin zerstört.

Knapp zwei Wochen liegt das Inferno zurück, und noch immer ist die Ursache unklar. Verantwortliche des Lagerhausbetreibers werden verhört. Stellplätze in einem Umkreis von drei Kilometern sind aus Sicherheitsgründen weiterhin abgeriegelt, so dass die Autobauer weder das genaue Ausmaß der Schäden einschätzen, noch die Autogerippe entsorgen können. Rund 2700 verschiedene Importmodelle seien beschädigt worden, bestätigte Volkswagen China. Toyota berichtete von 4700 zerstörten Fahrzeugen, einschließlich Lexus. Die nahe gelegene Fabrik der Japaner bleibt bis mindestens Mitte nächster Woche geschlossen – es ist die größte des Konzerns in China: 2014 liefen dort mehr als 430.000 Autos der Modelle Crown, Reiz, Corolla and Vios vom Band. Nach Schätzungen von IHS Automotive entgeht Toyota nun jeden Tag eine Produktion von 2200 Autos.

Die Baustelle eines neuen Werks von VW ist dagegen weit genug entfernt, ebenso wie das Getriebewerk des Konzerns in Tianjin. Beide laufen nach VW-Angaben normal weiter.

Auch ohne die Katastrophe von Tianjin ist der Sommer 2015 für Autobauer in China eher trostlos. Der Markt macht eine Schwächephase durch. Zusätzlich zum Abflauen des Wirtschaftswachstums auf nur noch sieben Prozent im ersten Halbjahr 2015 setzen den Autobauern die kürzliche Abwertung der Landeswährung Yuan und vor allem Turbulenzen an Chinas Börsen zu. Allein am Montag stürzten die Kurse um rund neun Prozent ab – der stärkste Einbruch seit 2007.

Im Juli schrumpften die Autoverkäufe in China um 6,6 Prozent auf 1,27 Millionen Fahrzeuge – das entspricht etwa dem Niveau von vor 17 Monaten. Premium-Marktführer Audi verkaufte 12,5 Prozent weniger Autos als im Vorjahresmonat, BMW 7,4 Prozent weniger, General Motors vier Prozent weniger. Die Volkswagen-Gruppe China gibt nur Quartalszahlen heraus; im ersten Halbjahr ging der China-Absatz des Konzerns um 3,9 Prozent zurück. Einziges positives Segment sind die Sportgeländewagen: In den ersten sieben Monaten 2015 legten SUV um 47 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu, auf knapp drei Millionen Fahrzeuge.

Nur Mercedes, Toyota und Honda wuchsen gegen den Trend stark – alle drei aber nicht zuletzt aufgrund überwundener Probleme, die in der Vergangenheit die Verkäufe gedrosselt hatten. Daimler etwa hatte Probleme mit der Struktur seines Händlernetzes, die japanischen Autobauer mit einem politischen Konflikt zwischen Tokio und Peking. Mercedes hat zudem nach Ansicht von Experten derzeit das aktuellste Modellportfolio – darunter die Ende 2014 gelaunchte Langversion der C-Klasse und den seit April lokal in China gefertigten Kompaktgeländewagen GLA – laut Daimler einem der "Wachstumstreiber" der Stuttgarter. 15 neue oder aufgewertete Modelle will Daimler 2015 in China starten. Am Verkaufsziel von "deutlich über 300.000 Autos" hält der Konzern fest.

Generell glauben viele Beobachter, dass sich der Markt wieder erholen wird. Denn eine Grundvoraussetzung gilt weiter: Die Autodichte ist gering, der Wunsch nach individueller Mobilität groß. "Ende 2014 gab es auf 1000 Menschen 107 Fahrzeuge und nur 70-80 Pkw", sagt Yale Zhang, Direktor von Automotive Foresight in Schanghai. "Die Wirtschaft wächst zwar langsamer, aber auch sechs Prozent sind ja so schlecht gar nicht." Dass der Automarkt schwächelt, liegt nach Ansicht von Zhang daher zum allergrößten Teil an dem Auf und Ab an Chinas Börsen.

Im Frühjahr hatte die Regierung Resktriktionen sowohl für Börsengänge als auch das Anlagen privater Börsenkonten gelockert.

"Infolgedessen wurden in vier Monaten 32 Millionen neue Börsenkonten angelegt", sagt Zhang. "Anstatt ihr Geld auszugeben, wollten die Menschen es an der Börse vermehren." Autokäufe wurden verschoben. Die Kurse schossen in die Höhe. Doch von Mitte Juni bis Ende Juli fielen sie um 23 Prozent, und die Talfahrt hält bis heute an.

"Viele Menschen sorgen sich um die Zukunft. Und wer Angst hat, gibt kein Geld aus", sagt ein Autohändler, der nicht genannt werden will. Zugleich gebe es weiterhin Druck der Autobauer, Fahrzeuge abzunehmen, sagt der Händler. "Sie wollen so viele Autos wie möglich in den Markt bekommen." Jeder ist bemüht, zumindest den Marktanteil zu halten.

Kürzlich wertete zudem die Zentralbank den Yuan um 4,4 Prozent gegenüber dem US-Dollar ab. Das verteuert in Fremdwährung berechnete Importe – ohne dass die Automarken dies im Zweifelsfall an ihre Kunden weitergeben könnten. Eingeführt werden vor allem Premium- und Luxusmodelle. Und auf diese müssen die Händler laut Zhang derzeit Preisnachlässe von zehn bis 15 Prozent gewähren, damit sie ihre Wagen verkaufen können. Die Maßnahme drückt zudem in der Landeswährung verbuchte Gewinne der Autobauer. Dennoch sind die Folgen der Abwertung weit weniger gravierend als jene des Börsencrashs. Sie habe nur "geringfügige Auswirkungen auf das Daimler-Währungsergebnis für das laufende Jahr, da wir nahezu vollständig gesichert sind", heißt es etwa bei Daimler in Peking. Seit Jahresbeginn fakturiere Daimler auch die Fahrzeugimporte in Yuan.

Wenn sich die Börsenaufregung gelegt habe, lösen die Kleinanleger ihre Konten auf und haben wieder freies Geld für den Autokauf, erwartet Analyst Zhang. "Sofern sich der Aktienmarkt stabilisiert, bin ich immer noch zuversichtlich", sagte auch Daimler-Chinavorstand Hubertus Troska am Montag in Peking. Langfristig geben sich die Autobauer ohnehin optimistisch. "Wir erleben diese Unbeständigkeit in allen Schwellenländern", sagte kürzlich BMW-Vorstandschef Harald Krüger. Vor allem für Luxusmodelle sei China immer noch ein Wachstumsmarkt. General Motors schätzt, dass die jährlichen Verkäufe von heute rund 20 Millionen im Lauf der nächsten Dekade auf 35 Millionen Autos steigen. Das Hyperwachstum früherer Jahre ist aber vorbei. Peter Fuss von der Beratungsfirma EY etwa erwartet künftig jährliche Zuwächse von fünf bis acht Prozent.

Noch aber ist Geduld gefragt in der Hängepartie – und Flexibilität im Umgang mit Tianjin: Der Hafen fällt vorerst aus, Autoimporte müssen über Schanghai oder andere Häfen umgeleitet werden. BMW etwa wird nach Angaben eines Sprechers 2000 zusätzliche Fahrzeuge wöchentlich über Schanghai einführen. Volkswagen schickt die normalerweise via Tianjin ankommenden Autos über Schanghai und Guangzhou. Gemessen an den derzeitigen Anfragen werde der Umschlag in Schanghai um etwa zehn Prozent steigen, sagt ein Offizieller der Shanghai Haitong International Automotive Terminal Co. Kapazitätsprobleme bereite das aber nicht. Der Terminal sei auf zwei bis drei Millionen Autos im Jahr ausgelegt. 2014 importierte ganz China 1,4 Millionen.

Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer warnt die Branche. In einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur DPA sagte er, angesichts der Entwicklungen sei nicht auszuschließen, dass der Automarkt in China bereits in diesem Jahr schrumpfen werde. "In den ersten sieben Monaten des Jahres wurden in China 10,66 Millionen Pkw verkauft. Das ist noch ein Plus von 5,3 Prozent." Sollte das Minus in den kommenden Monaten überschaubar bleiben, könne in diesem Jahr noch ein minimales Plus stehen. "Die Autobauer müssen sich auf ein schwieriges Jahr 2016 einstellen."