Frankfurt/Main. Vor gut drei Jahren stürzte eine Rückrufaktion den größten Reifenhersteller der Welt in eine Krise: Ford-Fahrzeuge in den USA mit Reifen der US-Tochter Firestone waren in tödliche Unfälle verwickelt. Bridgestone hat sich seitdem erfolgreich erholt. Vorstandschef Shigeo Watanabe sprach mit Automobilwoche über seine Expansionsstrategie, über neue Technologien und die Schlussfolgerungen aus der Rückrufaktion in den USA.
Automobilwoche: Vor kurzem verkündeten Sie sehr gute Halbjahreszahlen und haben die Gewinnprognosen fürs Gesamtjahr angehoben. Ist Bridgestone wieder voll in der Spur?
Shigeo Watanabe: Das Jahr verläuft sehr erfolgreich. Zum Halbjahr verzeichneten wir Rekordumsätze – dies peilen wir auch für das Gesamtjahr an. Aber damit geben wir uns nicht zufrieden. Es gibt noch viel zu tun.
Automobilwoche: Was denn zum Beispiel?
Shigeo Watanabe: In Europa sind wir weder mit Marktstellung noch unserem Image zufrieden. Wir wollen hier eine führende Stellung erobern. Deshalb waren wir erstmals seit zwölf Jahren wieder auf der IAA, haben die Werbemaßnahmen verstärkt und setzen auch auf die Wirkung weiterer Erfolge der Formel-1-Wagen von Ferrari, die mit unseren Reifen fahren. Seit vergangenem Dezember haben wir 400 Millionen Euro in Bridgestone Europe investiert. Damit soll auch das Vertriebsnetz gestärkt werden. Wir sehen in Europa noch großes Wachstumspotenzial.
Automobilwoche: Sie haben auch zugekauft.
Shigeo Watanabe: Richtig, wir haben rund 19 Prozent am finnischen Reifenherstellers Nokian Tyre erworben, nutzen dessen Vertriebsnetz und erreichen weitere Synergien.
Automobilwoche: Ist eine höhere Beteiligung an Nokian denkbar oder geplant?
Shigeo Watanabe: Nein, wir wollen unseren Anteil vorerst nicht weiter aufstocken.
Automobilwoche: Ihr US-Geschäft litt unter dem Image-Verlust von Firestone nach der Rückrufaktion im Zusammenhang mit den Ford Explorer-Unfällen. Haben Sie in Amerika wieder Fuß gefasst?
Shigeo Watanabe: Auf dem amerikanischen Kontinent waren wir schon im vergangenen Jahr wieder profitabel. Wir machen gute Fortschritte trotz höherer Preise für Rohmaterialien. Wir konnten diese durch eine Erhöhung unserer Preise im Januar kompensieren. Ab Oktober werden wir die Preise noch einmal heraufsetzen. Das haben wir in diesem Jahr übrigens auch erfolgreich in Asien, dem Mittleren Osten, Australien und Afrika getan.
Automobilwoche: Nach der Explorer-Unfallserie ging Ihre über hundertjährige Geschäftsbeziehung zum US-Konzern in die Brüche. Gibt es denn wieder eine Annäherung zu diesem wichtigen Hersteller?
Shigeo Watanabe: Wir sagen weiterhin, dass der Fehler nicht bei Firestone lag, sondern allenfalls in der Kombination aus Reifen und Auto. Ford hingegen sieht die Schuld bei uns. Deshalb gibt es weiter keine Kooperation mit Ford USA. Kürzlich gab es aber wieder erste Gespräche darüber.
Automobilwoche: Was haben Sie denn aus dieser Affäre gelernt?
Shigeo Watanabe: Dass in den USA wegen der enormen Prozess- und Schadenersatzrisiken ein ganz anderes Risikomanagement notwendig ist als in Europa oder Japan. Wir haben darauf reagiert: mit besserem Risikomanagement, intensiverer Lobbyarbeit, Gesprächen mit Medien und dem US-Kongress. Wir haben deshalb auch ein Büro in Washington DC eröffnet.
Automobilwoche: Sie haben Ihr Wachstumspotenzial in Europa erwähnt. In welchen Regionen sehen Sie ähnliche oder größere Potenziale?
Shigeo Watanabe: Die Nachfrage steigt besonders in China rasant an. Dort verstärken wir unseren Vertrieb, indem wir eine Handelskette namens Che-zhi-yi aufbauen. Die erste Filiale wurde im August eröffnet, in drei Jahren sollen es 200 Standorte sein. Zusätzlich erhöhen wir die Kapazität von Fabriken in Japan und bauen ein neues Werk im Wachstumsmarkt Thailand auf.
Automobilwoche: Bridgestone definiert sich als Innovationsführer: Welche neuen Entwicklungen sind in Sicht?
Shigeo Watanabe: Einige! Auf der IAA präsentierten wir ein Dämpfer-System für radintegrierte Motoren. Es verbessert Leistung, Komfort und Sicherheit von Elektrofahrzeugen mit radintegrierten Motoren. Auch unser vollautomatisches Produktionssystem "BIRD" ist ein Beispiel. Es wird das erste System sein, bei dem wirklich die gesamte Reifenproduktion automatisch läuft, von den Rohmaterialien bis zur Inspektion der fertigen Reifen. Die Massenproduktion ist schon für nächstes Jahr vorgesehen.